EU-Referendum in Großbritannien

Camerons Eigentor

d'Lëtzebuerger Land vom 24.05.2013

Nun ist es also passiert: Die britische Regierung hat der Bevölkerung ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft versprochen. Der Gesetzentwurf, der vergangene Woche offen gelegt wurde, bestimmt sogar die Frage des Referendums („Meinen Sie, dass das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleiben soll?“). Der Entwurf wird in den nächsten Wochen im Unterhaus debattiert, doch bereits jetzt sehen die konservativen Hinterbänkler ihn als persönlichen Erfolg. „Dies sind gute Nachrichten, auf die wir 40 Jahre lang gewartet haben“, so ein Hinterbänkler im konservativen Daily Express, ein Boulevardblatt, das sich nach seinem langen „Kreuzzug“ gegen die EU die rezenten Entwicklungen nun selbst zuschreibt.

Es war die Regierungserklärung (auch „Queen’s Speech“ genannt), mit der die Koalition das Programm des kommenden politischen Jahres preisgibt, das die Tories wieder zum Rebellieren brachte. In der von der Queen gelesenen Rede nämlich kam das Thema des von manchen Tories so sehnlich herbei gewünschten EU-Referendums überhaupt nicht vor. Mehr als 100 Rebellen der konservativen Partei drückten ihr „Bedauern“ über diese Unterlassung aus, indem sie für eine Abänderung der Regierungserklärung stimmten.

Dass Parlamentarier gegen die „Queen’s Speech“ stimmen, ist eher selten, doch Premierminister David Cameron, der bereits auf die Rebellion vorbereitet war, erlaubte die freie Abstimmung. Ein harter Schlag für den Premier, der gehofft hatte, ein vor der Regierungserklärung eilig vorgeschlagener Gesetzentwurf zum EU-Referendum würde die EU-Skeptiker in den Rängen seiner Partei besänftigen. Doch die Volksbefragung würde erst 2017 stattfinden, also nach der Wahl. EU-skeptischen Hinterbänkler ist dies zu spät. Außerdem trauen sie Cameron nicht, hat er sich doch längst für die EU-Mitgliedschaft ausgesprochen, seiner Meinung nach müsste das Machtverhältnis mit Brüssel jedoch neu verhandelt werden. „Er hat die Kontrolle über seine Partei komplett verloren“, lästerte Labour-Chef Ed Milliband, die stellvertretende Vorsitzende Hariet Harman bezeichnete Cameron gar als „Witzfigur.“ Auch wenn die Opposition auch keine Lösung des EU-Problems hat, liefert Cameron ihr doch ein einfaches Spiel.

Ein Schock für alle war jedoch der Erfolg der UK Independence Party (UKIP) bei den Lokalwahlen: Die rechten und populistischen EU-Skeptiker haben geschätzte 26 Prozent der Stimmen gewonnen, in einigen Bezirken ließen sie sogar die Konservativen hinter sich. Obwohl UKIP dies nicht gerne zugibt, stammen viele dieser Stimmen von frustrierten Tories, für die der EU-Austritt nicht schnell genug kommen kann. „Schickt die Clowns herein“, jubilierte Nigel Farage, Leader von UKIP nach der Wahl. Diese Aussage ist ein Wink für Cameron, der Mitglieder der Partei einst als „Verrückte und latente Rassisten“ beschrieb.

Außer den Clowns, die den Tories die Parteimitglieder wegschnappen, steht Cameron noch unter Druck aus dem Ausland. Und zwar nicht nur in Europa, sondern von dem beliebtesten aller Partner: den USA. Wahrend seines Staatsbesuchs dort hatte US-Präsident Barack Obama unterstrichen, dass im Falle eines Referendums „die Leute des Vereinigten Königreichs ihre eigene Entscheidungen treffen“. Er betonte aber auch die Wichtigkeit, erst einmal zu versuchen, „das Kaputte zu reparieren,“ bevor man alles abbricht.

Dies ist leichter gesagt als getan, in Großbritannien scheint die allgemeine Stimmung derzeit eher so, als wollen die meisten überhaupt nicht reparieren. In einer Umfrage der Tageszeitung Observer wünschen sich 67 Prozent aller Wähler, Cameron würde mehr auf die Hinterbänkler hören. Laut Yougov würden 43 Prozent in einem Referendum zur EU Mitgliedschaft „Nein“ stimmen, 35 Prozent „Ja“. Und würde das Referendum morgen stattfinden, würden Bildungsminister Michael Gove und Verteidigungsminister Philip Hammond sofort mit „Nein“ ankreuzen.

David Cameron kann es seit Längerem keinem Recht machen, doch noch nie waren seine Aussichten so gut, das nächste Opfer des Tory EU-Fluches zu werden. Das bestätigte ein Geist der konservativen Vergangenheit, der den Premier vergangene Woche aufsuchte. Kein anderer als Ex-Kabinettmitglied Geoffrey Howe, der damals Margret Thatcher stürzte, bezeichnete die Rebellion als neuen Tiefpunkt in der EU-Debatte der Partei. Das parteiinterne Problem werde langsam national, warnte Howe. „Diese Woche hat wieder gezeigt, dass Großbritanniens langer Nervenzusammenbruch über die EU weitergeht, und dass das, was eigentlich ein Tory-Problem ist, nun wieder zum nationalen Problem geworden ist.“ Dies sei die Schuld von Cameron und Co: „Die konservative Führung hat vor ihren eigenen Hinterbänklern Angst, ohne über die UKIP zu reden. Sie hat es erlaubt, dass Anti-EU Gefühle die Seele der Partei infiziert haben.“ Ein Austritt wäre „gefährlich“ und „ein tragischer Ausdruck unserer schwindenden Influenz in der Welt.“ Wenn die konservative Partei „den Kopf verliere,“ werde Labour und den Liberaldemokraten viel Verantwortung bevorstehen, sagte Howe voraus. Dass Camerons Wiederwahl zum großen Teil von seiner Handhabung der erneuten EU-Krise abhängt, weiß wohl keiner besser als der Premier selbst.

Claire Barthelemy
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