Theater

Güllen am Boden

d'Lëtzebuerger Land vom 07.02.2020

Hinlänglich bekannt sein dürfte die unerbittliche Forderung der Claire Zachanassian an die verwahrlosten Güllner: Eine Milliarde für Ills Leiche, eine Milliarde für Gerechtigkeit. Als „tragische Komödie“ untertitelt der Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt sein dramatisches Werk aus dem Jahre 1956 mit dem lässig lakonischen Titel Der Besuch der alten Dame. Meisterhaft setzt er die Mittel präzise kalkuliert ein, um den verschiedenen Szenen eine komische Kraft zu verpassen.

Vor allem aber zwei Ankündigungen sind es, die jede Komik zur zynischen Groteske erweitern: Auf die Ablehnung des ethisch verwerflichen Angebots reagiert die bei Dürrenmatt zur Medea überhöhte Rachegöttin süffisant mit den Worten: „Ich warte“. Als Lehrer und Polizist verzweifelt an Claires Menschlichkeit appellieren, schmettert sie dieses Flehen unbeirrt und gnadenlos mit den Worten ab: „Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell.“ Die Güllner werden Ill töten, in ihm einen Schwerverbrecher sehen, um ihre kollektive Tat zu legitimieren. Wochen schon genießen sie Luxus auf Pump.

Die Württembergische Landesbühne Esslingen gastierte vergangenen Freitag im Marnacher Cube 521 mit Christof Küsters Interpretation. Die an wenigen Stellen etwas zähe, über weite Strecken jedoch stimmig rhythmisierte Inszenierung birgt Stärken und Schwächen.

Star des Abends ist zweifellos die Bühne von Marion Eisele. Güllen liegt sprichwörtlich am Boden. Den Stiegen einer Büßertreppe nachempfunden, bewegen sich die Darsteller auf der kleinbürgerlichen Fassade eines Fachwerkhauses in leichter Schräge. Jedes Fenster besteht aus einer Bühnenklappe. Die ausgezehrten Bewohner treten aus diesen Löchern. Die Zargen dienen als Sitzgelegenheit im Rathaus, als Lager für Ills Krämerladen, als Grab für Claires Ehemänner. Auf dieser klug durchdachten Bühne kann das Ensemble aus dem Vollen schöpfen.

Köster hat sich dazu V-Effekte und Regie-Einfälle en masse ausgedacht, wie den aus Kunststoffrohr zusammengeklebten Konradsweiler-Wald und die atmosphärisch starke Pantherjagd – die Güllner schieben einen Plüschpanther zwischen den Luken hin und her. Kraftvoll ist auch das Eingeständnis des Lehrers, zunehmend zum Mörder zu werden. Wie gekreuzigt wirkt der tote Ill mit Verband ums Gesicht, in eine goldene Rettungsdecke gehüllt. Die aktualisierte Lexik des Kapitalismus mit Putin, Schröder und SAP geben Dürrenmatts Drama einen netten Neuanstrich. Schließlich aber – und damit ist es Zeit für eine erste Schwäche der Regie – leistet sich Köster eine Plattitüde, die völlig unnötig ist und doch vom Publikum mit einem Lacher belohnt wird: Keine zwei Minuten steht das Güllner Empfangskomitee auf der Bühne, da biedert es sich dem Luxemburger Publikum mit der lokal zugeschnittenen Existenz eines Jean-Claude-Juncker-Ehrenparks an. Überflüssig und platt, als habe man von der Revue abgekupfert.

Die zentrale Schwäche aber erstreckt sich über die gesamte Inszenierung: Köster verlässt mit einer Reihe schnöder Popsongs die feine, durchkalkulierte Sprache der tragischen Komödie und rutscht ins Alberne ab. Mit Abbas Money, Money, Money über Prestons You Are so Beautiful bis hin zu Breakdance-Einlagen reduziert der Regisseur Dürrenmatts Bloßstellung menschlicher Abgründe auf wenige plakative Slogans und vergeht sich damit am Grundton des Texts. Claires sadistischer Versuch, Ill das anfänglich als Imponiergehabe eingesetzte You Are so Beautiful noch einmal singen zu lassen, als dessen Tod beschlossene Sache ist, rettet den Abend wieder in die Groteske zurück. Generell aber tut sich die Regie mit diesen stellenweise an Südsee-Hotelabende erinnernden Musikeinlagen keinen Gefallen.

Für mancherlei Geschmack fällt Sabine Bräunings Darstellung der Claire Zachanassian zu psychologisch, bisweilen heiter aus. Sie wirkt zu wenig zu jener Rachegöttin stilisiert, die den Güllnern ihren Spiegel vorhält. Claire als Mensch oder Claire als Idee: Das bleibt trotz allem legitime Textdeutung. Insgesamt sind Bräuning, Oliver Moumouris als Ill und den weiteren Darstellern gute Noten auszusprechen. Gewinner des Abends ist und bleibt jedoch diese einfache, klug designte Bühne, die die Güllner Unterwelt bedeutet.

„Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt; eine Produktion der Württembergischen Landesbühne Esslingen; Regie von Christof Köster; Bühne und Kostüm von Marion Eisele; Dramaturgie von Michaela Stolte; mit u.a. Sabine Bräuning, Gesine Hannemann, Oliver Moumouris, Eberhard Boeck. Cristian Koch, und Markus Michalski. Keine weiteren Vorstellungen.

Claude Reiles
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