Dienstleistungsrichtlinie

Fortsetzung folgt

d'Lëtzebuerger Land vom 15.04.2010

Droht die Rückkehr des polnischen Klempners? Die Umsetzung der Dienstleistungsdirektive, früher besser bekannt unter der Bezeich­nung Bolkestein-Direktive, rückt näher. Seit vergangener Woche liegt das Gutachten des Staatsrats zu der Gesetzesvorlage auf dem Tisch, mit der die Regierung die Richtlinie in nationales Recht umsetzen will, und es gibt viele formale Einwände.

Die Direktive, aus der nach massenhaften Protesten das Prinzip des Ursprungsland gestrichen wurde, nach dem ein Dienstleistungsanbieter der Gesetzgebung seines Heimatlandes unterliegt, egal in welchem Staat er seine Dienstleistung erbringt, liest sich wie der Kompromiss, den sie darstellt. Es ist ein mit Ausnahmen gespicktes Flickwerk, in dem man nur schwerlich den Überblick behält. Es ist das Ergebnis der Bemühungen des EU-Parlaments, einerseits die Direktive zu erhalten und Hindernisse im Binnenmarkt niederzureißen und andererseits Barrieren gegen Sozialdumping aufzubauen.

So sind von vornherein eine ganze Reihe von Aktivitäten aus dem Anwendungsbereich der Direktive ausgeschlossen: Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die nicht-wirtschaftlicher Natur sind, Finanz- elektronische Transportdienstleistungen, für die es sektorspezifische EU-Regeln gibt, die Zeitarbeitsbranche, Gesundheits- und soziale Dienstleistungen unter anderem. Die Direktive schreibt weniger Maßnahmen vor, als dass sie andere verbietet, welche die Dienstleistungsfreiheit, also das Recht, Dienstleistungen in anderen EU-Staaten anzubieten, ohne dort eine Niederlassung zu gründen, sowie eben just das Recht, Niederlassungen in anderen EU-Staaten zu gründen, einschränken. Anders als andere Direktiven beschränkt sich die Dienstleistungsrichtlinie nicht nur darauf, Umänderungen auf legislativer Ebene vorzugeben. Damit der Verkehr im Binnenmarkt künftig besser fließt, hat die Richtlinie zum Ziel, die Prozeduren für Genehmigungen aller Art zu vereinfachen.

Vor allem auf der Ebene der Genehmigungsprozeduren sind deswgen die Neuerungen zu finden, welche die Dienstleistungsdirektive mit sich bringt. Sie fordert die Einrichtung von elektronischen Guichets uniques und führt das Prinzip der Autorisations tacites ein. Wenn also eine Verwaltung im Rahmen einer Genehmigungsprozedur innerhalb einer gewissen Frist, die für die jeweiligen Prozeduren im Voraus bekannt sein muss und nur einmal verlängert werden kann, nicht antwortet, gibt die Verwaltung dadurch automatisch ihre Zustimmung. Das ist ein Kehrtwende im Vergleich zum bisher in Luxemburg gültigen Prinzip: Funkstille gleich Absage. Das erlaubte Antragstellern, die innerhalb von drei Monaten keine Rückmeldung erhielten, diese Verweigerung vor Gericht anzufechten. Laut Gesetzesvorlage müssen die Behörden, die sich vor Ablauf der festgelegten Frist nicht beim Antragsteller zurückgemeldet haben – Frist, die dann anläuft, wenn das Antragsdossier komplett ist – die Genehmigung „ohne Verzögerung“ ausstellen. Allerdings darf sie später wieder zurückgezogen werden, falls es Ursachen dafür gab, sie überhaupt nicht auszustellen. Eine Bestimmung, gegen die der Staatsrat aus Gründen der Rechtssicherheit formal Einwand erhebt.

Dass die Richtlinie und auch die Luxemburger Umsetzungsvorlage die Erbringer von Dienstleistungen zwingen, eine ganze Reihe von Informationen im Vorfeld eines Geschäftes zur Verfügung zu stellen, davon werden auch Unternehmen profitieren. Zwar gab es ähnliche Informationspflichten auch schon vorher, doch die galten lediglich gegenüber Endkonsumenten, nicht aber gegenüber von Firmen, die selbst auch Dienstleistungen nutzen. Weitere Vorschriften, die Gesetzesänderungen nach sich ziehen werden: Einem Dienstleistungsanbieter, der sich in einem Mitgliedstaat niederlassen oder aktiv werden will, darf der Zugang zum Markt nicht auf der Grundlage wirtschaftlicher Kriterien verweigert werden. Auch mengenmäßige Beschränkungen, beispielsweise auf Basis der Bevölkerungszahl, können nicht mehr ins Feld geführt werden. In den Gremien, die über die Genehmigung entscheiden, darf die Konkurrenz nicht vertreten sein. In der aktuellen Vorlage für das Rahmengesetz sind diese beiden Neuerungen aber nicht zu finden.

Weil sich die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie aufgrund ihrer vielen Besonderheiten entsprechend schwierig anbahnte, entschied die Regierung bereits vor drei Jahren, eine interministerielle Gruppe unter der gemeinsamen Koordination von Wirtschafts- und Staatsministerium mit der Umsetzung zu befassen. Dennoch ist Luxemburg mit der Umsetzung in Verzug. Die Umsetzungsfrist lief im Dezember 2009 ab, und Anfang des Jahres brachte die Post einen blauen Brief aus Brüssel. Zwei Jahre lang fahndete die interministerielle Gruppe in der bestehenden Gesetzgebung nach Dispositionen, die gegen die Prinzipien der Direktive verstoßen, und entschied sich, die Umsetzung in zwei Etappen anzugehen.

Vergangenen Frühling wurde also dem Parlament die Vorlage für eine Rahmengesetz unterbreitet, das die Dispositionen beinhaltet, die ressortübergreifend zur Anwendung kommen sollen. Darunter fallen unter anderem die Vorgaben zur Vereinfachung der Prozeduren oder die administrative Zusammenarbeit unter Mitgliedstaaten. Im Rahmen eines zweiten Gesetzes, so der Plan, sollten zeitgleich die Vorschriften umgesetzt werden, die sich spezifisch auf die Niederlassung von Dienstleistungsanbietern beziehen. Ein Kapitel, das man gesondert im Rahmen einer generellen Reform der Gesetzgebung über die Firmenniederlassung, den Zugang zu Handwerksberufen und Handelsermächtigungen behandeln will.

Eine Vorgehensweise, die zwar duch die Komplexität des Vorhabens begründet ist, die der Staatsrat in seinem Gutachten aber heftig kritisiert. Was die Regisseure der Umsetzung wenig beeindruckt. Aus dem Mittelstands- und Wirtschaftsministerium heißt es dazu: Das Firmenniederlassungsrecht gilt für alle, nicht nur für die Bereiche, welche die Richtlinie abdeckt. Das Problem ist allerdings: Die Gesetzesvorlage hierfür liegt noch nicht vor. Weswegen ein Teil der Neuerungen, welche die Dienstleistungsdirektive mit sich bringen soll, offiziell noch nicht in Angriff genommen sind. Noch vor der Sommerpause soll es soweit sein, heißt es dazu aus dem Mittelstandsministerium, das mit der Ausarbeitung befasst ist. Spätestens dann soll die Vorlage im Parlament hinterlegt sein.

Darin wird sich dann das Verbot der wirtschaftlichen Ausschlusskriterien wieder finden müssen, die in Luxemburg bislang die Niederlassung der großflächigen Einkaufszentren (Grandes surfaces) einschränkten. Wer ein solches eröffnen will, muss derzeit noch mit Marktstudien belegen, dass die Nachfrage das zusätzliche Angebot absorbieren wird. Praktisches Beispiel für die Probleme, welche diese Regelung bisher mit sich brachten, war der Streit der deutschen Baumarktkette Bauhaus, die sich 2006 in Kapellen niederlassen wollte und deren Marktstudie von den Konkurrenten arg beanstandet wurde: Das Gericht musste entscheiden (d’Land, 04.05.2007).

Die Konkurrenten selbst – vertreten durch ihre Verbände wie CLC und Handwerkerföderation – dürfen künftig nicht mehr in Gremien vertreten sein, die über die Genehmigung entscheiden. Auch nicht in einer beratenden Funktion. Das würde zwar theoretisch die Möglichkeit offen lassen, dass die Berufskammern, wie Handels- und Handwerkerkammer weiterhin vertreten sind, die derzeit auch bei den Handelsermächtigungen mitreden. Allerdings kann man davon ausgehen, dass das Ministerium die Gelegenheit nutzen wird, um die Prozeduren zu straffen und ganz in die eigene Hand zu nehmen. Der Wegfall der mengenmäßigen Einschränkungsmöglichkeiten dürfte dazu führen, dass das System für Alkoholausschankkonzessionen umgeändert wird.

Mit dem Verbot der Marktstudien wird allerdings auch eine Barriere gegen den Wildwuchs an Einkaufszentren fallen. Umso wichtiger wird es für die Regierung werden, der Landesplanung endlich eine Rechtsgrundlage zu geben, die vor den Gerichten Bestand haben kann. Denn unter die „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“, durch die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit überhaupt durch eine Genehmigungsprozedur einschränken können, gehören neben der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Sicherheit der Bevölkerung und der öffentlichen Gesundheit, der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichtes der Sozialversicherungssysteme, dem Schutz der Verbraucher und Dienstleistungsempfänger unter anderem der Umwelt- (auch der städtischen) und Tierschutzbestimmungen sowie der Erhalt des nationalen historischen und künstlerischen Erbes. Ziele der Landesplanung also sind es, durch die künftig die pilzartige Verbreitung von großen Einkaufsflächen verhindert werden können – wenn man diese verhindern will.

Die Handels- und die Handwerkerkammer fühlen sich, nachdem die Regierung auf Wunsch des Nachhaltigkeitsministeriums im Dezember einen Änderungsvorschlag nach-sandte, durch den das Prinzip der Autorisations tacites nicht auf Prozeduren im Rahmen der Umweltgesetzgebung angewendet werden kann, um ihren Preis betrogen. Die Kammern hatten anfangs frohlockt, nun würden die zeitaufwendigen Kommodo/Inkommodo-Verfahren endlich kürzer. Die Freude war von kurzer Dauer. Die Regierungsvertreter rechtfertigen den Ausschluss der Umweltverfahren aus den vereinfachten Prozeduren damit, dass die Genehmigungen meistens mit Auflagen verbunden sind, die der Antragsteller einhalten muss, um seine Tätigkeit ausüben zu können. Ein „Ja“ oder „Nein“ kommt also als Antwort kaum vor.

Nun bemängelt die Handelskammer, die Gesetzesautoren hätten die Vorgaben der Richtlinie missverstanden. Die ziele nicht nur darauf ab, Prozeduren zu vereinfachen, sondern auch darauf unnötige Verfahren ganz abzuschaffen. Könne man auch die Interessen der Allgemeinheit ins Feld führen, um eine Genehmigungsprozedur zu erhalten, so heiße das noch lange nicht, dass auch das Prinzip der stillschweigenden Einwilligung ausgesetzt werden könne. Der Staatsrat gibt ihnen dabei Recht, die Umweltprozeduren, das zeige die Rechtssprechung, dauerten viel zu lange. Außerdem dürften nur präzise Geschäftsaktivitäten vom Prinzip der Autorisations tacites ausgenommen werden, nicht aber ganze Gesetzgebungen, die sich auf eine Vielfalt von Aktivitäten beziehen. Auf die Problematik der Genehmigungsauflagen gehen die Weisen nicht weiter ein. Die Arbeitnehmerkammer (CSL) ihrerseits stellt in Frage, ob der Gesetzgeber überhaupt neue Genehmigungsverfahren für solche Aktivitäten einführen kann, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, wenn diese für die von der Direktive ausgeschlossenen Geschäftsfelder nicht gelten.

Auch wenn es für die Dienstleistungsfreiheit gezielte Einschränkungen gibt – so zum Beipiel für die Postzustellung, die Strom-, Gas-, und Wasserversorgung, die Behandlung von Abwässern und Abfällen, verschiedenen Einwanderungsbestimmungen und nicht zuletzt auch für die Entsenderichtlinie und die nationale Arbeitsgesetzgebung, allgemein gültige Tarifverträge inklusive – warnt die CSL vor Sozialdumping. Denn schon die Entsenderichtlinie schützte die sozialen Werte und Errungenschaften in den Ländern, in den die Dienstleistungen erbracht werden nur unzureichend, findet sie – mehr Schutz bietet auch die Dienstleistungsrichtlinie den Arbeitnehmern nicht.

Michèle Sinner
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