Finanzvorausschau 2012-2015

Glaubwürdigkeitsproblem

d'Lëtzebuerger Land vom 23.03.2012

„Wir gehen in die Richtung Griechenlands, wenn wir nicht solide gegensteuern.“ Mit diesen drastischen Worten beschrieb Michel Wolter am Samstag in einem von RTL übertragenen Streitgespräch die Lage der Staatsfinanzen. Zweifellos wollte der CSV-Präsident mit dem Panikwort „Griechenland“ die Zuhörer von der Notwendigkeit neuer Sparmaßnahmen überzeugen. Aber irgendwie konnte man das auch als politische Konkurserklärung verstehen von 33 Jahren hausväterlicher CSV-Finanzpolitik unter den Ministern Jacques Santer, Jean-Claude Juncker und Luc Frieden.

Dabei hatte auch Michel Wolter, zusammen mit seinen Frak-tionskollegen und Koalitionspartnern, trotz besseren Wissens am 8. Dezember den Staatshaushalt für 2012 gestimmt, der von einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent ausging. Denn bereits zu diesem Zeitpunkt hatte das Statec in seiner Dezember-Konjunkturnote die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts auf -1,9 bis +1,4 Prozent veranschlagt. Trotzdem meinte Finanzminister Luc Frieden am Mittwoch dieser Woche, als er dem Finanz- und Haushaltsausschuss des Parlaments sowie der Presse die jährliche Notiz des Comité de prévision vorlegte: „Die Lage hat sich geändert und die Lage ist nicht gut.“ Statt des im Budget vorgesehenen Wachstums erwartet das Komitee für 2012 eine Rezession von 0,9 Prozent.

Wenn aber der Haushalt von einer falschen Konjunkturprognose ausgeht, drohen auch die Steuereinnahmen falsch veranschlagt zu werden. Tatsächlich geht das Comité de prévison davon aus, dass der Staat dieses Jahr 417 Millionen weniger einnimmt, als im Haushalt geplant. Folglich würde das Gesamtdefizit der öffentlichen Hand am Ende dieses Jahres mit 706 Millionen doppelt so hoch ausfallen wie die 330 Millionen, die Luc Frieden in seinen Haushaltsentwurf setzen und erst vor drei Monaten vom Parlament stimmen ließ. Trotzdem wurde zu Beginn dieses Jahres die Krisensteuer wieder abgeschafft, einmal als kleine Aufmerksamkeit vor den Gemeindewahlen und einmal als angebliches Zugeständnis im Gehälterabkommen mit der CGFP. Das alles sieht nicht nach einer Finanzpolitik „des ruhigen Atems und der ruhigen Hand“ aus, wie die CSV Ende 2008 in einer Pressemitteilung dichtete, sondern nach gnadenloser Improvisation. 

Schließlich hatte das Parlament schon für 2009 ein zum Zeitpunkt der Haushaltsdebatten völlig überholtes Budget verabschiedet. Die Regierung hatte die kognitive Dissonanz überspielt, indem sie es flugs zu einem „antizyklischen Budget“ erklärt hatte. Während Haushaltsminister Luc Frieden wenige Monate vor den Kammerwahlen versprach, dass die gerade weltweit ausgebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise keinerlei Auswirkungen auf die Einkommenslage der Haushalte haben würde.

Der Finanzminister hat also ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem, wenn er nun unter Verzicht auf die Tripartite und deren Anhänger, wie Jean-Claude Juncker und die LSAP, eine Debatte über neue Sparmaßnahmen bei den öffentlichen Investitionen, dem Sozialstaat, den Beamtengehältern und den laufenden Betriebsausgaben anregen will. Um so mehr, als ab nächstem Jahr das Defizit der öffentlichen Hand jährlich anderthalb Milliarden Euro auszumachen und somit die Grenze des Maastrichter Stabilitätspakts von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu sprengen droht. Unter diesen Bedingungen will bereits heute niemand mehr in der Regierung
die Hand dafür ins Feuer legen, dass das feierlichste Ziel der Koalition, bis zum Ende der Legislaturperiode das Defizit auf Null zurückzufahren, noch erreicht werden kann.

Romain Hilgert
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