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Poesie und Ironie bei den Emmys

d'Lëtzebuerger Land du 22.09.2017

Jedes Jahr klopfen sich die amerikanischen Fernsehanstalten während der Emmy Verleihung – den Oscar des kleinen Bildschirms – selbst kräftig auf die Schultern. Gewinner dieser 69. Ausgabe waren die Serie The Handmaid’s Tale, Diversität und der ehemalige Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer. Jener wurde fast zwei Monate nach seinem kläglichen Abgang in Washington dank einem Kurzauftritt in Rekordzeit von gerade den Menschen rehabilitiert, die sich seit Stunde Null der aktuellen Präsidentschaft tagtäglich öffentlich entrüsten. Alles im Namen vorgeheuchelter Progressivität. Ein denkwürdiger Auftritt.

Neben den zu erwartenden Gewinner The Handmaid’s Tale, Big Little Lies, Saturday Night Live, John Olivers Last Week Tonight und – wieder einmal – Veep, überraschten zwei Preise besonders: Die Auszeichnungen für „Outstanding television movie“, respektive (und vor allem) „Outstanding writing for a limited series, movie or dramatic special“ erhielt eine 60-Minuten-lange Folge von Black Mirror. „San Junipero“ – diese vierte Folge der auf Netflix erschienenen dritten Staffel – ragt im von Charlie Brooker kreierten technophoben Universum heraus. Black Mirror darf man als spirituelle Ziehkind der Twilight Zone betrachten, dessen Zukunftsvisionen zwar futuristischer Musik, im Grundkern aber im Hier und Jetzt verwurzelt sind. Charlie Brooker dekliniert seit Jahren das nicht mehr ganz so neue Verhältnis zwischen Mensch und Technik. Manchmal wurden seine düsteren Ideen sogar von einer nicht weniger düsteren Realität eingeholt. Stichwörter: englischer Premierminister / Geschlechtsakt mit sus scrofa, den schweineartigen Paarhufern. „Open the door, Hal!“ Wie schon in Kubricks Klassiker 2001: A Space Odyssey ist Technik auch bei Brooker eine Falle, ein mephistophelischer Pakt. Ein radikaler Akt der Negation von Verantwortung und Reflexion. Der dafür zu bezahlende Preis in Black Mirror ist letzten Endes immer hoch.

„San Junipero“ erzählt von der jungen Frau Yorkie, die 1987 eines Abends in einer Küstenstadt auftaucht. Schüchtern und unsicher schlendert sie durch die Straßen, die die Züge eines Hill Valley aus den Back to the future-Filmen annehmen. 80-er Jahre Synth-Pop ist zu hören, im Kino steht The lost boys auf dem Spielplan und in einer Diskothek werden Arcade-Videospiele gezockt. In dieser Disko lernt sie die extrovertierte, hedonistische Kelly kennen. Yorkie – das erste Mal zu Besuch in der Stadt – trifft Kelly turnusmäßig vor Ort. Viel Zeit bleibt Kelly aber nicht mehr, um der grauen Maus die Stadt und das Leben zu zeigen. Die Stunde schlägt gleich Mitternacht. Aber sie treffen sich wieder. Charlie Brooker lässt über 60 Minuten eine Liebesgeschichte entstehen, die Gesetze von Zeit und Raum übersteigt.

Die Qualität von Black Mirror liegt in der Brookerschen Unerbittlichkeit gegenüber seinen Figuren. Der Fall ist die Regel, die Erlösung die Ausnahme. Vermutlich gerade deshalb haben die erlösenden Folgen die stärkste Wirkungskraft. Jedoch wird die Prämisse dieses/r cinéma/série de synthèse, dieser von magischem Realismus getränkten Serie dadurch nicht banalisiert. Ganz im Gegenteil fundiert die Menschlichkeit die Folgerichtigkeit der Serie Brookers. Verfällt Brooker sonst zum Teil einem regelrechten Menschenhass, der sein Publikum zwar schockiert und paralysiert, so übersteigt er seine eigenen Paradigmen, wenn es „menschelt“. Jenes durfte in sechs Jahren Black Mirror mit seinen 13 Episoden genau zweimal passieren. Die „Technik“, die auch bei „San Junipero“ von größter Wichtigkeit scheint, ist eben nicht – genau wie der Pakt Mephistos – Schwarz-Weiß-Malerei. Die grundlegende Traurigkeit der Figuren und die Abhängigkeit ihrer gegenüber der Technik ist tiefgründiger. „Ich bin der Geist, der stets verneint!“, so Mephisto im Studierzimmer Faust gegenüber. Des Rätselworts Lösung: „Ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Mephisto charakterisiert nicht nur sich selbst, sondern auch das Bekenntnis Adam Smiths – Goethe war auch Ökonom – und somit die seit über 200 Jahre anhaltende Auffassung liberaler Wirtschafts- und Entwicklungswerte. „San Junipero“ übermittelt diese Melancholie, die mit dem extremen Individualismus eines kapitalistisch-progressiven Glaubensbekenntnis einhergeht und die den „dystopischen“ techno-phoben Rahmen hier sogar übersteigt. Die Falle ist viel systemischer und aussichtloser. Dass in einer solchen Sackgasse die Liebe triumphieren darf, grenzt gerade dann erst recht an ein magisch-realistisches Wunder. Jedoch spricht auch Goethes Faust dem Unternehmer folgende Erlösung zu: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“ Für Brooker jedoch liegt jene Erlösung nie im unternehmerischen Fortschritt. Deshalb sind die zwei Auszeichnungen bei den Emmys, sowohl poetisch als auch ironisch.

Tom Dockal
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