Öffentlicher Dienst

Politik als Spiel

d'Lëtzebuerger Land vom 20.03.2008

Es dürfte ein paar Kabinettskollegen geben, die Budgetminister Luc Friedens Kommentare von Ende Februar zu den Haushaltsabschlüssen2007 insgeheim verfluchen, weil sie ihnen viel zu positiv erscheinen. Claude Wiseler zum Beispiel: Der Minister für den öffentlichen Dienst musste am Montag zum zweiten Mal in dieser Legislatur die Vorständekonferenz der CGFP nach einer allgemeinenGehälterrevision verlangen hören. „Insbesondere“ angesichts der „unlängst vom Budgetminister vorgelegten Zahlen“ seien „gerade jetzt“die Mittel für eine Gehälterreform vorhanden, schrieb die Staatsbeamtengewerkschaft in einer anschließendenPressemitteilung, und ihr Generalsekretär Romain Wolff drohte,den Streitfall auszurufen, weil die Reform immerhin im Koalitionsvertragangekündigt wurde. 

Oder Unterrichtsministerin Mady Delvaux: Weniger deshalb, weil sieund Claude Wiseler heute Nachmittag gegenüber den Lehrergewerkschaften erneut dazu ansetzen werden, eine Gehaltsaufbesserung der Grundschullehrer und eine Neueinstufungihrer Karrieren von zusätzlichen Stunden im Umgang mit denSchülern und für Koordinationsarbeiten abhängig zu machen. Sondern,weil Delvaux am 8. Mai gemeinsam mit Gesundheitsminister Mars DiBartolomeo ein weiteres Mal mit dem OGB-L darüber diskutieren will, wie man in die Ausbildung von Krankenpflegern und medizinischen Assistenten jene 1 000 Praxisstunden, die 1995 herausreformiert worden waren, wieder reintegrieren kann, da sie im Klinikalltag fehlen. Ginge es nach der Regierung, würde so verfahren, wie Delvaux’ Vorgängerin Anne Brasseur es nicht durchsetzen konnte: Die 1 000 Stunden würden in den drei Jahren Ausbildungsdauer untergebracht,denn dann bliebe der Abschluss derselbe und die Einstufungder Absolventen im parastaatlichen Gesundheitswesen ebenso. DerOGB-L dagegen will eine um ein Jahr verlängerte Ausbildung und eine Einstufung mindestens im Niveau 13e oder Bac technique erreichen. Derzeit entspricht sie einer 11e. Auch Lösungen wie eine um sechs Monate verlängerte Ausbildung, die zum gleichen Abschluss führen würde, „würden wir nicht akzeptieren“, sagt Pit Schreiner, OGB-L-Zentralsekretär für das Gesundheits- und Sozialwesen.

Oder Familienministerin Marie-Josée Jacobs: Seit vergangenen Sommerversucht sie per Gesetzentwurf die Finanzierung der staatlich konventionierten Kinderheime auf Leistungspauschalen umzustellen (d’Land, 14.09.2007). Im Behindertenbereich gibt es das bereits, die gesamte Pflegeversicherung funktioniert so, und während selbst unter Wissenschaftlern umstritten ist, ob ein solches System denn auch Qualität fördert, verspricht es ganz sicher eine Steuerungin Richtung Kosteneffizienz. Nun jedoch verlangt der OGB-L dieAufwertung der Laufbahnen für die Erzieher und die graduierten Erzieher. Das tut er zwar seit über 15 Jahren schon, jetzt aber kann die Regierung dem nicht mehr ohne weiteres ausweichen: Da die graduierten Erzieher nun an der Uni ausgebildet werden und mit einem Bachelor abschließen, weil Luxemburg sich dem Bologna-System angeschlossen hat, ist ihr Qualifikationsniveau so hoch wie das der Grundschullehrer. Und deren Karrieren aufwerten will die Regierung ja. Und wollte man vermeiden, dass ein großer Graben zwischen graduierten und diplomierten Erziehern sich auftut, müsste man Letztere ebenfalls anpassen: wenigstens auf Bac technique und nicht länger 11e. „Für einen Erzieher ist es zurzeit lukrativer, beim Staat als Redakteur anzufangen, der nur einen einfachen Sekundarschulabschluss braucht“, sagt Pit Schreiner vom OGB-L. Die Apeg, die Berufsvereinigung der graduierten Erzieher, wiederum klagte am Mittwoch, ihre Mitgliederseien „die am schlechtesten bezahlten Bachelors beim Staat“.

15 Monate vor den nächsten Wahlen ist der Geist aus der Flasche: Das „gesamte Gleichgewicht im öffentlichen Dienst“, das Claude Wiseler „im Blick behalten“zu wollen versprach, (d’Land, 23.11.2007) ist gestört, seit die Regierung zustimmte, mit dem 96 Jahre altenPrimärschulgesetz auch die Laufbahnen der Lehrer zu reformieren.Dass der OGB-L mit den Forderungen der Erzieherberufe nachlegt, hat auch damit zu tun, dass die Separatverhandlungen OGB-L-naher Lehrersyndikate mit der Regierung die CGFP und derenHegemonieanspruch für das intérêt général des gesamten öffentlichenDienstes herausgefordert haben. Worauf sie nun immer entschiedenerauf einer allgemeinen Gehälterrevision besteht. „Aber was da rauskäme,wäre uns erstmal egal“, sagt OGB-L-Mann Schreiner. „Wir haben unsere Forderungen.“ Mit einer „Gießkannen-Gehälterrevision, die auch den Erziehern und den Krankenpflegern ein paar Euro mehr bringt“, werde man sich nicht zufrieden geben.

Werden hier nur Wünsche auf Vorwahl-Geschenke geäußert? Derzeitmacht der OGB-L noch mehr als die CGFP für den öffentlichen Dienstund die parastaatlichen Sektoren mobil. Ein halbes Jahr vor den Sozialwahlen geht es sicherlich auch um eine günstige Positionierung,wo doch der LCGB schon auf seinem Neujahrempfang angekündigthatte, die Gewerkschaftsarbeit „vom Büro auf die Straße“ zu verlagern.

Man könnte meinen, es gehe auch um eine strategische sozialpolitischeEinflussnahme. Denn am 28. Februar verlangte der OGB-L die Einberufung einer Tripartite, um über die Laufbahnen der Erzieher und des Krankenpflegepersonals zu diskutieren. Das ist logisch, denn abgesehen von Fällen, wo der Staat selbst der Arbeitgebervon Erziehern, Krankenpflegern, medizinisch-technischenAssistentinnen oder Pflegehelfern ist, müsste über eine Laufbahnaufwertung mit der Entente des hôpitaux beziehungsweise mit einer der fünf Vereinigungen der Sozialbetriebe verhandelt werden. Das geht aber nicht, da mit Ausnahme der Pflegebetriebe so gut wie alle Sozialeinrichtungen per Konvention vom Staat finanziert werden,die Pflegebetriebe über die Pflegeversicherung, die teils der Staat, teilsdie Versicherten mit ihren Beiträgen finanzieren. Die in der Krankenhaus-Entente (EHL) vertretenen Spitäler wiederum handeln ihre Jahresbudgets mit der Krankenkassenunion UCM aus, und deren Gremien gehören paritätisch die großen Arbeitgeberverbände– und die Gewerkschaften an. Die richtigen Ansprechpartnerfür den OGB-L wären demnach der Staat, die Patronatsverbände undunter anderem auch man selbst.

Das macht die Situation pikant, zumal die Gewerkschaften derzeit mitder EHL Verhandlungen um einen neuen Kollektivvertrag führen. Umneue Karrieren geht es dort auch. Gestern wollte man sich erneut zuVerhandlungen treffen, OBG-L-Sekretär Schreiner kündigte an, „wennwir da die Karrieren nicht zugesagt bekommen, kommen wir dem Streitfall schon nahe“. Lösen sollte ihn die Tripartite, kein Schlichter, sodas OGB-L-Kalkül: Man selber werde den Schlichter nicht anrufen, unddamit die Regierung einwilligt, noch vor den Sommerferien eine großeSozial-Tripartite einzuberufen, mobilisiert der OGB-L seine Mitglieder inKrankenhäusern und Sozialeinrichtungen schon.

Man mag diese Verhandlungsdiplomatie merkwürdig finden. Mehr alsfragwürdig wäre eine derartige Tripartite, die in den Wahlkampf hinein reichen würde. Nicht nur um höhere Einstufungen einzelner Berufe kämpft der OGB-L, sondern auch um Besitzstände im staatlichen und parastaatlichen Sektor: Gegen eine „rémunération par fonction“, die die EHL einführen will und die zum Beispiel „Flexibilität“ honorieren würde. Gegen die Einführung ähnlicher Prinzipien in den Sozial- und Pflegebetrieben – mit ihnen steht die Aufnahme von Kollektivvertragsverhandlungen unmittelbar bevor –, und gegendie vom Familienministerium favorisierten Leistungspauschalen. Prophylaktisch wünschten sich die fünf Sozial-Ententen am Montag ebenfalls eine Tripartite, delegierten das Problem damit zum Financier Staat, machten aber klar, dass „Karrieren aufzuwerten“ für sie eine stärkere Differenzierung zwischen Posten hieße. „Im Ausland sind im öffentlichen Dienst funktionsspezifische Bezahlungsmodelle schon Realität“, sagt Michel Simonis, Präsident der Copas, des Verbands der Pflegedienstleister. 

Anlässe zur Diskussionen gäbe es in der Tripartite damit genug. Kurz vor Ende der Legislatur aber könnte die Debatte sehr schnell weg von Inhalten gelangen und nur noch um Geld geführt werden. Vor allem im Gesundheitsbereich: Bereits heute machen die Personalkosten 60 bis 80Prozent der Gesamtkosten einer Klinik aus, und auch den OGB-L-Vertretern in der UCM und in der Krankenkassen-Quadripartite sind die Spitäler zu teuer. Dass kurz vor Wahlkampfbeginnein Modus gefunden würde, um dem Krankenpflegersonal, das bei Laufbahnende dreimal mehr verdient als ihre Kollegen in Frankreich, noch mehr zu geben, ohne dass die Krankenkassenbeiträge steigen müssten, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Stattdessen dürftendie großen Patronatsverbände sich daran erinnern, dass die Handelskammer 2005 einen Gesetzesvorschlag zur Deckelung der Arbeitgeberbeiträge zu den Krankenkassen gemacht hatte.

Nicht zuletzt würde eine Diskussion um höher bezahltes Pflegepersonaldas Interesse der Ärzteschaft wecken: Nicht nur ist das Durchschnittseinkommen der spezialisierten Ärzte doppelt so hoch ist wie das der Allgemeinmediziner, zwischen den Spezialdisziplinenbestehen überdies erhebliche Einkommensunterschiede. Der AMMD könnte es als Dachverband am Ende ähnlich ergehen wie der CGFP: Um ihres inneren Friedens willen könnte sie allgemeine Honoraraufbesserungen verlangen müssen.

Geschähe das, wäre die Debatte im Teufelskreis von Einzelinteressen angelangt. Sie zu befriedigen, wäre kaum ohne Sozialabbau an andererStelle zu haben. Da damit gerechnet werden kann, dass die nächste Regierung die Staatsquote an den Sozialleistungen weiter zu senken versuchen wird, könnte der OGB-L das Gegenteil von dem erreichen, was er erreichen zu wollen vorgibt. Aber vielleicht ist Politik ja doch ein Spiel, geht es vor allem um eine Einflussnahme auf LSAP-Minister, allen voran auf den populären und an seiner Wiederwahl interessierten Mars Di Bartolomeo.

Peter Feist
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