Deutschland

Schaulaufen

d'Lëtzebuerger Land du 16.10.2020

Dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, Christsozialer aus Bayern, geht es wieder einmal an die Fahrerlaubnis. Im übertragenen Sinne. Dieses Mal sind es zwei Geschäftsleute, genauer gesagt, Vorstände von zwei Dax-notierten Unternehmen, die einst die Pkw-Maut technisch realisieren sollten. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Pkw-Maut sagten sie aus, Scheuer angeboten zu haben, den Vertrag zur Umsetzung der Maut erst dann zu unterschreiben, wenn die Grundlagen dafür rechtssicher seien. Doch Scheuer setzte die Maut durch, bevor die Luxemburger Richter dieser Abgabe die Rechtmäßigkeit absprachen. Mehr als 500 Millionen Euro kostete den deutschen Steuerzahler/innen dieser Alleingang des Verkehrsministers, weshalb sich nun ein Untersuchungsausschuss der Vorkommnisse annimmt. Bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss widerspricht Scheuer zum wiederholten Mal: Er könne sich an ein solches Angebot der beiden Geschäftsleute nicht erinnern. Scheuer wird – gut belegt – vorgeworfen, Haushalts- und Vergaberecht gebrochen und vor dem Bundestag die Unwahrheit gesagt zu haben. Einen Rücktritt schließt er kategorisch aus.

In Berlin sind andere Ministerinnen und Minister aus weitaus nichtigeren Anlässen zurückgetreten. Scheuers Umgang mit der Mautaffäre beschädigt die politische Kultur Deutschlands. Mit seinen Weigerungen – sich zu erinnern oder zurückzutreten – spielt Scheuer allen Politverdrossenen in die Hände. Er klammert sich an sein Amt und verteidigt es mit jenen Tricks, deren die Bürger/innen so überdrüssig sind. Scheuer lächelt alle Kritik und alle Rücktrittsforderungen weg.

Und er kann sich seiner Sache sicher sein. Denn ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl will wohl niemand die derzeit regierende große Koalition von CDU, CSU und SPD vorzeitig scheitern lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder taktieren dabei aus egoistischen Gründen. Die Kanzlerin will sich die letzten Monate ihre Amtszeit nicht mit Koalitionsstreitigkeiten befassen. Söder, im Nebenberuf CSU-Vorsitzender, traut sich nicht, Scheuer abzuberufen, was als Eingeständnis eines Fehlers gewertet werden könnte. Auch die SPD hält sich mit Rücktrittsforderungen zurück, denn jüngst hat sich in Berlin ein weiterer Untersuchungsausschuss konstituiert, der die Wirecard-Affäre aufklären soll. Hier steht Bundesfinanzminister und designierter SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Mittelpunkt des Interesses.

Für Söder steht durchaus eine Menge auf dem Spiel. Schließlich will er im kommenden Jahr, CDU und CSU in den Wahlkampf führen. Doch dazu braucht er die Zustimmung der christdemokratischen Schwesterpartei. Die ist aber derzeit damit beschäftigt, zunächst einen neuen Parteivorsitzenden zu finden, deroder die dann wiederum ebenfalls einen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur erheben könnte.

Es ist verzwickt bei der CDU. Denn zum einen vermag keiner der drei Kandidaten Friedhelm Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet – im Duo mit Jens Spahn – so richtig überzeugen. Zum anderen weiß niemand, wo die Partei derzeit im Ganzen steht, denn die wiedererlangte Stärke der CDU hängt einzig und allein mit den guten Umfragewerten von Angela Merkel zusammen. Und so liefern sich Söder und Laschet einen Wettbewerb der Ehrerbietung für die Bundeskanzlerin. Jeder Augenaufschlag, jeder Halbsatz Merkels wird dabei als vermeintliche Staffelübergabe interpretiert, als Ritterschlag für eine kommende Kanzlerschaft.

Derzeit hat Söder allerdings die Nase vorn, trotz aller Schlampereien im Freistaat Bayern bewältig er derzeit die Covid-Pandemie medial besser, als sein Kontrahent Laschet in Nordrhein-Westfalen. In der Bevölkerung gilt Söder als derjenige, der anpackt und durchgreift. Als Kompromisslösung wird deshalb in Berlin kolportiert, dass man Söder die Kandidatur überlässt, Spahn Parteichef werden und Laschet mit dem Bundespräsidenten-Amt entschädigt wird. Die Mindermeinung möchte den Bayern außen vorhalten, Laschet zum Kandidaten und Spahn zum Vorsitzenden machen. Doch all diese Planspiele machen einerseits die Rechnung ohne Friedhelm Merz. Kein anderer Kandidat spricht derzeit das konservative Lager besser an als er – und kein anderer weiß, diese Klientel besser mit markigen Sprüchen zu bedienen als Merz. Andererseits ruft es im Männerwahlverein CDU die Frauen auf den Plan. So lässt sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der Noch-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer ins Spiel bringen. Mit einem Manko: Klöckner hat zweimal in Rheinland-Pfalz die Wahlen verloren.

Weniger Gedanken macht man sich derzeit darüber, mit wem man ab dem kommenden Herbst denn die Kabinettsbank drücken möchte. Die FDP sendet Signale für eine Ampelkoalition. Volker Wissing, neuer Generalsekretär der Liberalen, zeigt in Mainz, wie das erfolgreich funktioniert. Ob es auch ein Erfolgsmodell ist, wird sich im Frühjahr herausstellen, wenn in Rheinland-Pfalz Landtagswahlen sind. In der CDU sieht man das gar nicht gerne, zumal es heute eher unwahrscheinlich ist, dass die SPD ein weiteres Mal eine Große Koalition eingehen wird. So sondiert man ebenfalls in Richtung Grüne, was mit Chef Merz kaum möglich sein wird.

In der Bevölkerung wächst der Eindruck, als beschäftigte sich die Partei derzeit zu sehr mit sich selbst. Noch schwimmen die Christdemokraten in der Wählergunst obenauf. Doch diese ist ein wankelmütig Ding. Denn das Schachern um Posten und Pöstchen kann schnell dazu beitragen, dass die Kanzlerschaft von Angela Merkel in einem unwürdigen Gebalze endet, aus dem extremistische Parteien am Ende als Sieger hervorgehen. Über eine Vorbildfunktion von Politikern – wie etwa Verkehrsminister Andreas Scheuer – wird schon lange nicht mehr gesprochen. Schaden nimmt das politische System Deutschlands, in dem ein Kampf um die demokratische Kultur, um Integrität und Wahrhaftigkeit entbrannt ist. Dieser ist nur zu bestehen, wenn Eliten die gesellschaftlich anerkannten ethischen und moralischen Maßstäbe nicht verwässern.

Martin Theobald
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