Finanzminister Pierre Gramegna, der seine Budgetsried gerne mit einem Zitat versieht, nahm diesmal aus Louis Aragons Gedicht „Il n’y a pas d’amour heureux“ den Satz: „Rien n’est jamais acquis à l’homme“. Damit wollte er verdeutlicht haben, wie „ein unsichtbarer Virus alles von heute auf morgen infrage stellen kann“. Doch im Confinement, sinnierte Gramegna, und seine Stimme wurde um eine Nuance weicher, habe „die Welt aufgeatmet: Man hat den blauen Himmel gesehen, die saubere Luft gespürt, statt Autos hat man Vögel in der Stadt gehört“. Seine Konklusion: Wachstum ist nötig, aber ein „nachhaltiges“.
Wie genau das gemeint ist mit der Nachhaltigkeit, weiß Gramegna aber wahrscheinlich selber nicht. Denn er betonte, der Haushaltsentwurf 2021 sei „ein außergewöhnlicher für außergewöhnliche Zeiten“, und er mochte nicht allzu weit über das kommende Jahr hinauszublicken, weil das Coronavirus ja noch umgeht. Weiter investiert aber soll werden; mit 2,8 Milliarden Euro noch hundert Millionen mehr als im Budget für dieses Jahr steht. Die Regierung nähme es hin, falls die Staatsschuld „ein paar Jahre lang“ um jene 30 BIP-Prozent „oszillieren“ sollte, die sie laut Koalitionsvertrag eigentlich auf keinen Fall überschritten sehen will, unterstrich der Finanzminister. Investieren sei besser als „ideologische Austerität“.
Dass solche Ankündigungen heute nicht mehr erstaunlich sind, demonstriert, was die Regierung und mit ihr der frühere Handelskammer-Direktor politisch in den letzten sieben Jahren hinzugelernt haben. Lang ist es her, dass Gramegna eine „kopernikanischen Wende in der Haushaltspolitik“ versprochen hatte. Im RTL-Interview gefragt, wann der Haushalt wieder „ins Gleichgewicht“ gebracht werden soll, wich er aus. Er weiß ja, dass die Wähler es 2018 der Regierung dankten, als sie ab 2016 wieder Geld auszugeben begann. Vielleicht geht das ja bald wieder, wenn die Wirtschaft erneut anzieht. Auch der Premier hatte am Dienstag in der Erklärung zur Lage der Nation um ein wenig Aufschub von der Politik nachgesucht. Kann die Koalition nicht verteilen, sondern müsste tatsächlich umverteilen, bekäme sie innerbetriebliche Probleme.
Dabei sind die 2,8 Milliarden Euro Investitionsausgaben nächstes Jahr nur auf dem Papier hundert Millionen mehr als in diesem; der Pandemie wegen wird der Staat 2020 am Ende 3,5 Milliarden ausgegeben haben. „Nachhaltig“ zu investieren, bedeute für die Regierung heute vor allem in Mobilität und Klimaschutz zu investieren, hob Gramegna hervor. 547 Millionen Euro betreffe das nächstes Jahr. Diese Investitionen sollen bis 2024 um jährlich rund sieben Prozent zunehmen.
Ein Großteil davon fließt wie bisher in den Schienenbaufonds. Er soll bis 2024 rund 2,4 Milliarden Euro ausgeben. Aus dem Klima- und Energiefonds wiederum sollen nächstes Jahr 143 Millionen für Energieeffizienz, „Dekarbonisierung“ sowie Forschung zu diesen Themen fließen. Das soll helfen, Luxemburgs Klimaziele für 2030 zu erfüllen: 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß als im Jahr 2005; einen Anteil von 25 Prozent erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch, sowie Energieeinsparungen um 40 bis 44 Prozent. Bis 2024 sollen diese Ausgaben auf 230 Millionen steigen.
Möglich werden die vielen Ausgaben für die Klimaziele, weil zurzeit schon über 700 Millionen im Klima- und Energiefonds lagern. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass dem Fonds ein Anteil aus den Spritakziseneinnahmen zufließt, sodass Tanktouristen Luxemburgs Klimaanstrengungen mitfinanzieren. An die Stelle dieses 2006 von der Tripartite beschlossenen „Kyoto-Cent“ tritt nun die schon vor knapp einem Jahr angekündigte CO2-Steuer. Dass CO2 einen Preis erhält, ist die vielleicht wichtigste Änderung im Fiskalsystem nächstes Jahr. Die Steuer gilt für fossile Energieträger. 20 Euro pro Tonne CO2 werden 2021 erhoben, 25 Euro im Jahr danach und 30 Euro im Jahr 2023. Wie es anschließend weitergeht, ist ungewiss und soll offenbar der nächsten Regierung überlassen werden. Dass es über die 30 Euro hinaus „dynamisch weitergehen“ müsse, hatte vor einem Jahr nur der grüne Energieminister Claude Turmes öffentlich vertreten.
Die CO2-Steuer verdient einen genaueren Blick. Premier Xavier Bettel kündigte in seiner Erklärung zur Lage der Nation am Dienstag an, durch sie werde der Liter Diesel um fünf Cent teurer. Vom Umweltministerium wird präzisiert, dass es 4,9 Cent seien und 4,4 Cent pro Liter bleifreien Benzins. Hinzuzufügen wäre, dass die neue Steuer eine Akzise ist, auf die noch Mehrwertsteuer aufgeschlagen wird. Beim aktuellen Mehrwertsteuersatz steigt der Endpreis pro Liter Diesel zum 1. Januar also um 5,73 Cent und pro Liter Benzin um 5,14 Cent.
Auf Erdgas und Heizöl wird die Steuer ebenfalls fällig. Auf Öl kommt sie zur schon bestehenden Akzise hinzu, auf Gas gibt es bisher keine Energiesteuer. Das Umwelt- und Klimaministerium erklärt auf Anfrage, die CO2-Steuer auf Erdgas werde nächstes Jahr vier Euro pro Megawattstunde betragen, auf Heizöl 6,2 Cent pro tausend Kilo. Zuzüglich jeweils noch der Mehrwertsteuer.
Wie genau sich die neuen Preise auf Haushalte auswirken werden, die mit Gas oder Öl heizen, dürfte bald schon intensiver diskutiert werden. Schätzungen zufolge, die als seriös gelten, ergäbe sich in einem 150 Quadratmeter großen Einfamilienhaus mit eher schlechter Wärmedämmung, das über eine Ölheizung verfügt, eine jährliche Mehrbelastung von 200 Euro. Wird dasselbe Haus mit Gas beheizt, wären es 140 Euro. Je besser die Wärmedämmung, umso kleiner der Mehrpreis, bei durchschnittlich guter Isolation würde er um rund die Hälfte kleiner.
Der CO2-Preis war nicht Teil der Koalitionsverhandlungen. Doch die meisten EU-Staaten haben sich ein solches Instrument gegeben. Also kamen die Koalitionäre mangels besserer Ideen einerseits nicht vorbei an der „CO2-Bepreisung“, wie die grünen Regierungsmitglieder das Projekt zunächst vorsichtig nannten, um nicht gleich von „Steuer“ sprechen zu müssen. Andererseits begann die politische Auseinandersetzung auch innerhalb der Koalition so richtig, nachdem das Kabinett sich darauf geeinigt hatte, es aber der Umweltministerin und dem Energieminister überließ, sie anzukündigen und erste Shitstorms in den sozialen Medien entgegenzunehmen. Die Fraktionen von LSAP und DP machten Anfang dieses Jahres Front gegen die CO2-Steuer.
Heute ist sie mit einem sozialen Kompensationsmechanismus versehen, wie er vor einem Jahr in Aussicht gestellt wurde. Damals hieß es, die Einnahmen würden zur Hälfte zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen genutzt, die andere werde zum sozialen Ausgleich unmittelbar umverteilt. Zu Letzterem ist im Budgetgesetzentwurf 2021 einerseits eine Erhöhung des Steuerkredits für Arbeitnehmer, Rentner, Freiberufler und Indépendants um 96 Euro auf 696 Euro im Jahr vorgesehen. Zweitens soll die Teuerungszulage, die dieses Jahr, Corona wegen, schon verdoppelt worden war, um weitere zehn Prozent steigen.
Damit hat die Kompensation eine soziale Progression erhalten. Der Teuerungszulage wegen, aber auch, weil der Steuerkredit, auf den 96 Euro aufgeschlagen werden sollen, ab einem steuerpflichtigen Einkommen von mehr als 40 000 Euro progressiv sinken soll. Damit macht die CO2-Steuer auf den ersten Blick nicht den Eindruck, sozial Schwache zu belasten. Zumal, falls die Schätzungen für Heizöl und Gas für schlecht isolierte Gebäude stimmen, hinzuzufügen wäre, dass die Mehrpreise sich pro Haushalt auswirken, die Kompensationen pro Person gelten. Komplizierter wird die Beantwortung der Frage, ob die neue Steuer dazu führt, dass ein Vermieter eine Ölheizung durch eine klimafreundlichere ersetzt, um einem Mieter den CO2-Preis zu ersparen. Vermutlich nicht, denn gehofft wird, eine im Haushaltsgesetzentwurf ebenfalls niedergeschriebene neue Abschreibungsmöglichkeit werde ihren Reiz entfalten: Besitzer, die Mietwohnungen energetisch sanieren, werden Renovierungen für mehr Energieeffizienz mit je sechs Prozent über zehn Jahre steuerlich abschreiben können.
Falls der Mehrjahreshaushalt voll zutrifft – Pierre Gramegna warnte angesichts der Pandemie davor, davon auszugehen –, würden die Einnahmen aus der CO2-Steuer von 159,4 Millionen Euro nächstes Jahr auf 222,6 Millionen 2024 zunehmen und dann zehn Prozent über den für 2023 veranschlagten liegen. Ob das daran liegt, dass doch schon Ideen existieren, wohin die Steuer sich nach 2023 entwickeln könnte, ist unbekannt. Dagegen macht der Budgetgesetzentwurf klar, dass die neue Steuer im Index-Warenkorb neutralisiert wird. Das war eine Forderung der Unternehmerverbände bei den Diskussionen um den nationalen Energie- und Klimaplan vor einem Jahr: Andernfalls bezahle ein Betrieb zum einen die Steuer, zum anderen Gehaltserhöhungen nach Indextranchen, die umso schneller fällig werden, je teurer die Energieprodukte im Warenkorb werden.
Politisch ist darüberhinaus die Zukunft des Tankstellengeschäfts noch offen: Weil wegen der Pandemie die Spritverkäufe um rund ein Fünftel zurückgegangen sind, scheint die Regierung davon auszugehen, dass die Luxemburger Klimaziele für dieses Jahr (20 Prozent weniger CO2-Ausstoß als 2005) eingehalten werden. Anfang des Jahres nahm sie das Gegenteil an und war bereit, die Akzisen vor allem auf Diesel ganz unabhängig von der CO2-Steuer weiter anzuheben. Davon war in letzter Zeit keine Rede mehr.
Doch gerade
in einer Krise fällt es schwer, auf eine Einnahmenquelle wie die Akzisen aus dem Tankstellengeschäft zu verzichten. Schon dass Luxemburg mit der CO2-Steuer „im Durchschnitt“ der Nachbarländer bleibt, soll vermeiden, dass die Steuer den Tanktourismus abwürgt. Dass zumindest der politische Wille besteht, ihn vielleicht weiter zurückzufahren, darauf deutet hin, dass auf dem Papier des Mehrjahreshaushalts geschrieben steht, die Spritakziseneinnahmen würden zwischen 2021 und 2024 um drei Prozent sinken. Weiter steigen sollen dagegen die Tabaksteuereinnahmen – und schon nächstes Jahr sollen sie allein auf Zigaretten mit 178,8 Millionen Euro die auf Kraftstoffe übertreffen und bis 2024 auf 188,5 Millionen zunehmen.
Gerade zu einer Zeit, da ein Atemwegsvirus umgeht, stünde es einer auf Nachhaltigkeit bedachten Regierung gut zu Gesicht, wenn sie den Export von bei Covid-Erkrankungen drohenden Risiken aufgrund von Rauchen beendete. Aber vielleicht wären hohe Zigarettenpreise das Ende der Tankstellennische. Während andererseits die Staatsausgaben dieses Jahr mit rund 22,9 Milliarden Euro um fast zehn Prozent höher liegen als im Budget vorgesehen. Nächstes Jahr wird mit 21,8 Milliarden gerechnet. Die Einnahmen für dieses Jahr werden auf 17,8 Milliarden geschätzt, 2,5 Milliarden weniger als geplant waren. Bei der Lohnsteuer wird mit 12 Prozent weniger Einnahmen gerechnet, bei der Körperschaftssteuer mit 18 Prozent, bei der Mehrwertsteuer mit zehn Prozent weniger. 2021 sollen die Einnahmen wieder um acht Prozent auf 19,3 Milliarden Euro zunehmen, aber der vor einem Jahr aufgestellte Mehrjahreshaushalt war von 21,4 Milliarden ausgegangen. •