Dieser Tage werden zwei runde Jubiläen begangen. Das ILR, das Institut luxembourgeois de régulation, ist zwanzig Jahre alt geworden. Zehn Jahre ist es her, dass in Luxemburg der Strom- und der Gasmarkt auch für Kleinverbraucher liberalisiert wurde. Sie können sich seitdem ihren Versorger frei wählen, Großverbraucher konnten das schon ab Juli 2000. Liberalisierung und ILR gehören zusammen, weil die Regulierungsbehörde darüber wachen soll, dass auf den liberalisierten Märkten tatsächlich Konkurrenz herrscht und die Voraussetzungen dafür bestehen. Im Energiebereich ist damit vor allem der „diskriminierungsfreie“ Zugang für die Versorger und ihre Kunden zu den Strom- und Gasnetzen gemeint.
Ganz sicher scheint das ILR sich aber selber nicht zu sein, ob die Energiemarktliberalisierung viel gebracht hat. In ihrer offiziellen Pressemitteilung zum Jubiläum schreibt die Regulierungsbehörde zwar, „mehrere alte Monopolstrukturen“ seien gebrochen worden. Dann aber stellt sie fest, was sie seit Jahren immer wieder in ihre Jahresberichte schreibt und dann und wann in Sonderberichten an die EU-Kommission melden muss, weil die sich fragt, ob in Luxemburg tatsächlich Wettbewerb herrscht: Nirgendwo sonst in der EU wechseln die Kunden ihren Anbieter noch seltener als hierzulande. Im Strombereich waren es im Jahr 2015 0,1 Prozent der Kleinverbraucher oder 163 Haushalte. Bei den Betrieben waren es 190, was 0,3 Prozent entspricht. Von den Großverbrauchern aus der Industrie wechselten vier oder ebenfalls 0,1 Prozent. Im Gasbereich wird noch seltener gewechselt, „unter 0,1 Prozent“, aber das hat das ILR nur in seinem Jahresbericht zu 2015 vermerkt.
Die Frage, was das Ganze gebracht hat, ist in allen Sektoren legitim, die früher zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehörten, ehe sie ab den Neunzigerjahren nach und nach liberalisiert wurden. Damals hieß es, auf diese Weise sollten einheitliche Binnenmärkte geschaffen, Monopole gebrochen, für Transparenz gesorgt, Innovationen gefördert werden und die Preise sinken. Politisch ging es in der EU, in der die meisten Mitgliedstaaten Anfang der 90-er eine Rezession durchgemacht hatten, darum, öffentliche Subventionen zurückzufahren und dem Privatsektor neue Wachstumsfelder zu erschließen. Am positivsten ist die Bilanz höchstwahrscheinlich im Telekombereich: Mobiltelefonie und Internet hätten ohne die Liberalisierung vermutlich keinen so starken Aufschwung genommen. Doch der war auch wesentlich durch die neuen Technologien getragen, die ganz neue Angebote ermöglichten. Besonders düster war die Entwicklung im Postwesen; jedenfalls in Luxemburg, wo sich eine ziemlich klare Linie ziehen lässt von der Freigabe der lukrativsten Briefpostsegmente an private Wettbewerber hin zur schrittweisen Entwertung des Briefträgerberufs, der Schließung von Postämtern und ihrem Ersatz durch „Post Shops“. Im Eisenbahnsektor lässt sich in Luxemburg der stark staatlich subventionierte Passagierverkehr der CFL noch mit Verweis auf die Daseinsvorsorge, den service public, aufrechterhalten. Angebotsverschlechterungen wirken nur von außen im internationalen Verkehr herein, etwa durch wegrationalisierte Eurocity- und Nachtzüge. Den Bahnfrachtbetrieb erhielten die CFL durch ihr Joint Venture mit Arcelor-Mittal.
Und bei Strom und Gas? Monopole wurden dort tatsächlich gebrochen. Im Strombereich versorgte die Cegedel einst sämtliche Haushaltskunden und alle Betriebe außer der Arbed und der CFL, die vom Arbed-eigenen Industriestromversorger Sotel beliefert wurden. Die Gasversorgung lag in Luxemburg-Stadt und Düdelingen bei den Gemeinden selber, in den Südgemeinden außer Düdelingen beim interkommunalen Syndikat Sudgaz, im Rest des Landes, wo Gasleitungen lagen, bei der staatlich-kommunal getragenen Luxgaz S.A. Den Stromimport ins Cegedel-Netz besorgte die Société électrique de l’Our, ein Gemeinschaftsunternehmen des Staats mit der deutschen RWE, die auch im Cegedel-Kapital vertreten war. Alleiniger Gas-Importeur war die Soteg S.A., deren Aktionäre der Staat, die Arbed, E.on Ruhrgas und die Cegedel waren.
Weil heute der dominierende Strom- und Gasanbieter Enovos heißt, der 2008 aus Cegedel und Soteg hervorging, kann man sich fragen, ob tatsächlich Monopole gebrochen wurden und Wettbewerb herrscht. Bei den Haushaltskunden bringt Enovos es auf einen Marktanteil von 74 Prozent. Rechnet man ihre Töchter Leo, das früher hauptstadteigene und landesweit agierende Luxembourg Energy Office, mit 14 Prozent hinzu, die nur in Ettelbrück und Diekirch aktive Nordenergie (2,7%) und die nur in Steinfort tätige Steinergy (1%), dann ergeben sich fast 92 Prozent für die Enovos-Gruppe. Was bleibt, teilten sich 2015 Sudstroum zu 6,5 Prozent, Electris zu 1,3 Prozent und Eida zu knapp 0,5 Prozent.
Bei den kommerziellen Kunden ist der Enovos-Anteil allerdings kleiner. Und immerhin gibt es alternative Anbieter im Lande. Voraussetzung dafür ist einerseits die durch die Liberalisierung besorgte Trennung von Produktion und Handel vom Netz: Auch das Creos-Netz ist technisch eine Verlängerung des deutschen Stromnetzes. Doch das ILR bilanziert, dass es irgendeine Benachteiligung geben könne, weil der Versorger Enovos und die Netzgesellschaft Creos beide zur Encevo-Holding gehören, sei ausgeschlossen. Die Feststellung ist umso wichtiger, als früher im Strombereich weniger ein Cegedel-Monopol existierte als ein vom Staat gestütztes Monopol für den Verkauf von RWE-Strom. Was sich auch daran bemerkbar machte, dass Cegedel-Generaldirektoren ins Amt des Regierungskommissars im Energieministerium wechselten und zurück. In den Neunzigerjahren unterschrieb der damalige Regierungskommissar Romain Becker am Morgen eines Tages im Namen des Staats einen neuen Stromtarifvertrag mit der Cegedel, und am Nachmittag wurde bekannt, er werde deren neuer Generaldirektor. Die Verhältnisse heute sind ungleich transparenter, wofür auch das ILR sorgt.
Es fragt sich aber, weshalb nur im Promillebereich Kunden ihren Anbieter wechseln. In Belgien, zum Vergleich, taten das zuletzt zwölf Prozent der Stromkunden, in den Niederlanden 13 Prozent, in Deutschland acht Prozent. Intensiv studiert hat das ILR diese Frage seit 2012 nicht mehr, als es der EU-Kommission Rechenschaft ablegen musste. Damals hatten sich immerhin noch 0,4 Prozent der kleinen Kunden einen neuen Stromversorger gesucht. Das ILR vermutet, die Gründe seien heute noch dieselben wie damals: Die Strom-Endpreise gehören hierzulande zu den niedrigsten in der EU, kaufkraftbereinigt sind sie die niedrigsten. Gas ist auch ohne Kaufkraftbereinigung nirgendwo noch billiger als hier. Grund dafür ist die kleine Steuerbelastung, die politisch gewollt ist. Abgesehen von der Mehrwertsteuer liegt nur auf dem Strom eine geringfügige Taxe, die in die Pflegeversicherung fließt. Die Abgabe an den Kompensationsfonds zur Gegenfinanzierung des garantierten Einspeisepreises für erneuerbare Energien wächst zwar, weil der grüne Anteil am Verbrauch zunimmt. Doch der Fonds wird aus der Staatskasse mit Millionenbeträgen bezuschusst. Niedrige Energiepreise sind Standortpolitik und Ausdruck von Sozialdemokratie, das sieht LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider wie sein Vorgänger Jeannot Krecké. Psychologisch, meint das ILR, dränge sich dadurch der Gedanke an einen Anbieterwechsel kaum auf. Wenngleich es dabei mehr zu gewinnen gebe als früher: Noch 2015 habe ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 4 000 Kilowattstunden kaum mehr als 30 Euro im Jahr sparen können, falls er das preiswertes Angebot wählte, das für ihn in Frage kam. 2016 seien es bis zu 90 Euro gewesen. Grund dafür sei, dass „ein Anbieter“ besonders günstige Angebote mache.
Diese Auskunft ist ein wenig überraschend. Denn dass die Energieversorger sich mit Kampagnen für besonders günstige Preise überbieten würden, kann nicht gerade behauptet werden. Doch spricht man mit den kleinen Versorgern, dann erklären die, Marketing sei teuer, Kampagnen in den klassischen Medien nicht wirksam genug. So verlasse man sich eher auf Werbung im Internet und sponsere Sportveranstaltungen. Und versuche Platzhirsch Enovos den einen oder anderen Großkunden abspenstig zu machen, statt um den Massenmarkt zu wetteifern.
Auch das ILR hat in seinem gesetzlich vorgeschriebenen Auftrag nicht stehen, die Konkurrenz unter den Versorgern so aktiv zu fördern, dass es über jede Preisänderung offensiv informiere. Über seinen 2013 in Betrieb genommenen Online-Tarifrechner Calculix.lu hat das ILR eher zurückhaltend informiert. Der Tarifrechner erlaubt mittlerweile aber nicht nur Strom-, sondern auch Gaspreisvergleiche.
Neben den niedrigen Endpreisen ist die geringe Wechselstimmung vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass nach wie vor kein Anbieter aus dem Ausland den Massenmarkt durcheinanderwirbelt. Ob es „Zugangsbarrieren“ gibt, lässt das ILR derzeit untersuchen. Womöglich sind sie kleiner geworden, seitdem RWE und E.on aus dem Kapital von Enovos ausgeschieden sind. Zuvor mochten sich Anbieter aus Deutschland oder Österreich, die wegen der technischen Anbindung des Creos-Stromnetzes an Deutschland am ehesten in Frage kämen für einen Einstieg in den Massenmarkt, davon mit Rücksicht auf die beiden großen deutschen Konzerne lieber abgesehen haben. Doch selbst für kommerzielle Verbraucher bis hin zur energieintensiven Industrie sind nur zwei Anbieter aus dem Ausland in Luxemburg registriert: die belgische Electrabel und die deutschen Pfalzwerke.
Denkbar wäre, dass der Neueinstieg als Energieversorger unter anderem dadurch erschwert wird, dass in Luxemburg jeder Versorger verpflichtet ist, Jahr für Jahr 1,5 Prozent seines im Jahr zuvor verkauften Volumens durch Effizienzmaßnahmen einsparen zu helfen. An sich ist das keine rein Luxemburger Verpflichtung, sondern sie geht auf eine EU-Richtlinie zurück. Doch jeder Mitgliedstaat entscheidet selber, wie gespart wird. Nicht alle haben dafür ihre Versorger verantwortlich gemacht, manche übertrugen das den Netzbetreibern. Wieder andere haben ein Anreizsystem für die Verbraucher geschaffen und es mit Subventionen versehen. Die erreichten Einsparungen EU-weit zu übertragen, ist nicht erlaubt. Und eingespart werden soll nicht gerade wenig: In Luxemburg sollen es von 2014 bis 2020, so lange gilt die Richtlinie, sechs Terawattstunden an Energieverbrauch sein. Das entspricht einem Jahresstromverbrauch des ganzen Landes.
Vor allem die Fedil mit den vielen Großverbrauchern unter ihren Mitgliedern sieht diese Bestimmung mit gewissem Argwohn. Einerseits sei es gut, dass Energie gespart werden soll. Denn es geht nicht nur um Strom oder Gas. Auch komplexere Projekte betreut zu haben, kann ein Energieversorger gegenüber dem Wirtschaftsministerium geltend machen und sich mit Zertifikaten anerkennen lassen. Ganze Gebäudesanierungen, Umbauten von Heizungen und Klimaanlagen, aber auch die Optimierung von Produktionsprozessen. Doch wollte ein Akteur aus dem Ausland hier aktiv werden, müsste er neben den Besonderheiten des Luxemburger Markts sich obendrein die des Effizienzzertifikatesystems erschließen, und was er in einem anderen Land einzusparen half, kann hierzulande nicht angerechnet werden. Eigentlich laufe das der Liberalisierung zuwider.
Den kleinen Luxemburger Versorgern machen die Effizienzregeln ebenfalls zu schaffen. „Schlecht bis gar nicht“ kämen sie damit klar, sagen sie auf Nachfrage. Sparen helfen, wo man doch eigentlich möglichst viel verkaufen müsste, sei nicht nur kaufmännisch viel verlangt, sondern erfordere ganz neue Expertisen, die aufzubringen den kleinen schwerfällt und Zusatzkosten verursacht, die sie notgedrungen auf die Endpreise von Strom oder Gas umlegen. Marktführer Enovos muss zwar mit Abstand am meisten einsparen, kann sich aber eine „Learning Factory“ leisten, in der Betriebe auf energieeffiziente Prozesse geschult werden, und hat sich mit dem Einstieg ins Kapital der Energieagence S.A. eine Firma gesichert, die Energie-Audits erstellt. Partnerschaften mit 250 Handwerksbetrieben unterhält Enovos auch und hat ein eigenes Prämiensystem zur Bezuschussung von Sparmaßnahmen entwickelt. Für die kleine Konkurrenz dagegen ist der Erfolg mitunter erst komplett, wenn sie einen mit viel Aufwand gewonnenen Effizienzkunden davon abbringen kann, damit zu pokern, dass der Versorger die Zertifikate braucht, weil sonst Strafen drohen, und aus dieser Position der relativen Stärke einen Rabatt auf der nächsten Stromrechnung zu sehen verlangt.
Das sind ziemlich komplexe Fragen, weil sie direkt hineinführen in die Energieversorgung der Zukunft und die im Rifkin-Bericht skizzierten Ideen von den vielen „Prosumenten“, die Sonnenstrom auf ihrem Dach gewinnen und mit „dezentraler Versorgung“ ganze Dörfer oder Stadtviertel beliefern. Noch ist das Zukunftsmusik, aber den ersten Schritt hin zu den „intelligenten“ Versorgungsnetzen geht Luxemburg wie die anderen EU-Länder bis 2020 mit dem Einbau „intelligenter“ Zähler. Und dass die Sonnen- und Windstromtechnologien immer preiswerter werden, ist ein Fakt, so dass sie im Strombereich ganz neue Entwicklungen antreiben könnten wie Mobiltelefonie und Internet in der Telekommunikation. Welche Rolle die traditionellen Versorger dabei spielen werden, ist alles andere als klar. Fest scheint aber zu stehen, dass sie so, wie sie waren, nicht mehr gebraucht werden. Vielleicht können sie nur überleben, wenn sie die neue Produktion installieren und finanzieren helfen. Je dezentraler und lokaler sie wird, desto mehr könnte die Liberalisierung für einen europaweiten Energiemarkt am Ende eine Episode gewesen sein. Sofern der Rifkin-Bericht Recht darin behält, Luxemburg bis 2050 eine Eigenversorgung vielleicht nicht aus hundert, aber wenigstens 70 Prozent grünem Strom vorherzusagen. Von der Cegedel hieß es vor 20 Jahren noch, schon der Gedanke an Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen in Luxemburg sei Unsinn.