Luxemburgensia

Hausherr und Gast

d'Lëtzebuerger Land du 12.04.2019

Einen Teil dieses Buches werden viele Leser bereits kennen. In einem Blog hielt Georges Hausemer ab April 2016 den Verlauf der Erkrankung fest, die ihn bis zu seinem Tod am 20. August 2018 als „ungebetener Gast“ begleiten sollte. Die Texte und Bilder aus diesem Blog hat Susanne Jaspers, die mit Hausemer verheiratet war und mit ihm zusammen den gemeinsamen Verlag capybarabooks betreute, in Buchform herausgegeben und durch einen eigenen Bericht ergänzt. Das Ergebnis ist ein emotional herausforderndes Buch, das exemplarisch leistet, was sonst nur die Fiktion vermag: eine Verschränkung von Innenansicht und äußerer Darstellung, eine vielschichtige Sicht auf einen Menschen und sein Schicksal.

Auffällig an der Sammlung der Blogtexte ist zunächst der vergleichsweise geringe Umfang. Hausemer gewährte zwar als Blogger regelmäßig Einblicke in seinen Umgang mit der Diagnose und in sein Zusammenleben mit dem Tumor. Die Texte sind geprägt von einer Mischung aus Zuversicht und Verzweiflung, einer fortschreitenden Auflösung des Vertrauens in das eigene Körpergefühl, der Hoffnung auf ein Leben, in dem der Tumor nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Aber daraus ist keine raumgreifende Chronik geworden wie Wolfgang Herrndorfs Arbeit und Struktur, kein Tagebuch im engeren Sinn, auch kein Notieren aller kleinster Kleinigkeiten von Abläufen und Krankheitsbildern. Hausemer hat solche Bücher gelesen; er verweist im Blog auf Herrndorf, auf Péter Esterházys Bauchspeicheldrüsentagebuch, auf David Wagners Leben. Anders als in diesen Büchern wirkt sein Umgang mit der existentiellen Bedrohung zurückhaltend.

Herrndorf hatte sein Blog anfangs für den engsten Freundeskreis geschrieben und es erst später öffentlich gemacht, Hausemer hingegen schrieb von Anfang an im Hinblick auf einen unbekannten Leser, den er auf Distanz hielt, der gar nicht alles so genau zu wissen brauchte. Es überwiegen die Beschreibungen von therapeutischen Maßnahmen, von Krankenhausroutinen, Mahlzeiten, Gesprächen mit Krankenpflegern und Ärzten. Eine Funktion des Blogs sei eigentlich, schreibt Hausemer an einer Stelle, seine Krankheit für alle sichtbar abzuhandeln, um in Gesprächen nicht ständig darauf zurückkommen zu müssen. Größere Leerstellen zwischen den einzelnen Einträgen verraten, dass der Autor in der Lebenszeit, die ihm blieb, andere Prioritäten verfolgte als seinen Tumor – literarische Projekte zum Beispiel, die es fertigzustellen galt, Lektüren, Fußball, Freunde treffen, draußen sein. Rund zwei Monate vor dem Tod Hausemers bricht der Bericht ab. Der letzte Eintrag enthält den Satz: „Dabei fühle ich mich gar nicht schlecht.“

Susanne Jaspers reicht in dem zweiten Teil des Buches nach, was Hausemer nicht mehr selbst erzählen wollte und konnte. Sie richtet sich nicht an den Leser, sondern an den Verstorbenen, in einem Bericht, der intim und dringlich bleibt, trotz der stellenweise aufblitzenden, für Jaspers typischen sarkastischen Distanzierung. Der Fokus liegt auch hier auf der Wiedergabe von Abläufen und Ereignissen, doch gleichzeitig wird die Dimension des Leidens für den Leser fassbar, die Angst vor dem Verlust, die Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein, das Festhalten an der vermeintlich beruhigenden Diagnose „stable disease“. Zwei Aspekte an Jaspers Erzählung fallen besonders auf: Zum einen stößt sie den Leser auf ein Gesundheitswesen, das für den Kranken oft wenig übrig zu haben scheint. Krankenpfleger ignorieren Hilferufe, Ärzte tauchen auf und verschwinden, wichtige Dokumente verschwinden, Patienten werden irgendwo auf einem Flur vergessen, wichtige Mitteilungen gehen zwischen Euphemismen und allerlei Wortmüll unter. Am Ende sind es die Putzfrauen und nicht das Krankenhauspersonal, die die Witwe in ihrer Trauer unterstützen.

Zum anderen zeigt Jaspers Bericht, wie sich Georges Hausemer bis zum Schluss dagegen gewehrt hat, als Opfer seiner Krankheit aus dem Leben zu gehen. Schon die Umbenennung seines Blogs von „Mein Tumor und Ich“ zu „Ich und mein Tumor“ hatte klargestellt, dass sich Hausemer das Narrativ nicht aus der Hand nehmen lassen, selbst über Verlauf und Deutung seines Schicksals entscheiden wollte. In diesen Kontext passt beispielsweise auch, dass er die Interpretation seines Blogs gleich mitliefert, in Form einer „Blogkritik“ von Charlotte Wirth (d’Land, 6. Oktober 2017).

Jaspers beschreibt eindrücklich, wie sich Hausemer aus dem Koma zurückkämpft und die verschiedensten Widrigkeiten aushält, um, wie er sagt, sich noch richtig verabschieden zu können. Als sich akute Magenprobleme einstellen und der Patient auf die Intensivstation gebracht werden soll, verweigert er eine weitere Behandlung. Lapidar heißt es im Bericht: „Du sagst, dass es nun gut sei.“ Es ist Jaspers Verdienst, dass sie zeigen kann, wie Hausemer seine Selbstbestimmung bis zum Schluss verteidigt und in gewisser, entscheidender Weise das letzte Wort behalten hat.

Georges Hausemer & Susanne Jaspers: Wir sehen uns in Venedig. Mein Tumor und Ich. Ich und mein Tumor. 33 Tage Intensivstation. Ein paar davor und viel zu wenige danach. capybarabooks, Luxemburg 2019

Elise Schmit
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