Luxemburgensia

Ein Probierteller Luxemburgensia

d'Lëtzebuerger Land du 22.03.2019

Wonach schmeckt dieses Land? Doch wohl nach etwas mehr als „Kachkéis, Bouneschlupp, Quetschekraut a Mouselsbéier“, wie ein Werbeslogan einst verkündete. Unter der Leitung von Corina Ciocârlie versammelt Le goût du Luxembourg zwölf kurze Texte von Luxemburger Autoren und Autorinnen zu dieser Frage. Die Antworten fallen verschieden aus, eine gewisse Stoßrichtung ist jedoch schnell erkennbar. Gleich zu Beginn kommt die Herausgeberin auf die Proustsche Madeleine zu sprechen; an kulinarischen Kindheitserinnerungen führt hier kein Weg vorbei. Sein morgendlicher Schulweg, berichtet etwa Nico Helminger in einem der vielen autobiografischen Beiträge, verlief zwischen den Polen von Metzger und Bäcker. Insbesondere Ersterer erweist sich als geschmacksprägend, denn dort wartet das Lyoner-„Rëndelchen“, dessen Verzehr zum Initiationsritual in weit mehr als die heimische Küche wird. Bei anderen ist gleich ein ganzes Sortiment im Gedächtnis geblieben. Lambert Schlechter verzeichnet eine Vielzahl gustatorischer und olfaktorischer Eindrücke vom Land – „le pire c’est la pisse des porcs“ –, während Jean Portante Butterkekse in einem „mystérieux parfum“ aus Küchengerüchen zuhause bei Großmutter verortet.

Bei Portante wird jedoch auch deutlich, dass Literatur und Erinnerung sich gelegentlich in die Quere kommen. Die Vergangenheit widersetzt und entzieht sich dem schreibenden Subjekt, so auch bei Pierre Joris: Der Geschmack von „gebootschte Gromperen“, dessen sich der Autor entsinnt, entstammt vermutlich den Erzählungen des Vaters und somit dessen Erinnerungen. Die Geschichte wird mitverkostet, vor allem bei der selbstgebrannten „Quetsch“, die die Familie zu Kriegsbeginn versteckt und erst 1960 wiedergefunden hat. Teils werden die Kindheitserlebnisse auch zur Gänze von „erwachsenen“ Geschmäckern überlagert. Mit dem „Kleeschen“ verbindet Alexandra Fixmer trotz all der süßen Verlockungen in erster Linie Kaffeearomen, die sich während eines Einkaufsbummels verbreiten. Elise Schmit hätte „Pfannkuchen, Fritten und Schokolade“ genießen können, wäre da nicht der Zigarettenqualm der Onkel gewesen, gegen den die aufgeklärte Jugend nur erfolglos missionieren konnte.

Nun kann man aber nicht ständig seiner eigenen Vergangenheit nachspüren, selbst wenn man es noch so reflektiert tut. „Il fut un temps où je raffolais des madeleines, mais elles ne m’ont jamais rappelé mon passé“, heißt es programmatisch bei Jean Bürlesk, der in seinem mehrsprachigen Beitrag die kulturelle Hybridität einer pulsierenden Gegenwart präsentiert. In Claudine Munos „Gebrannte Kanner“, dem einzigen Gedicht im Band, liest man gar: „d’Nostalgie / ass e Manktem u Fantasie“. Munos bissiger Abriss von einer Disziplinargesellschaft, die wenig Sinnlichkeit zulässt, wird ergänzt von Ian De Toffolis und Guy Rewenigs Satiren. De Toffoli sieht den materiellen Überfluss des Großherzogtums in einer mit Käse gefüllten und von Speck ummantelten Brühwurst perfekt verkörpert. Den kosmopolitischen Gästen einer EU-Party schlägt sie allerdings übel auf den Magen. Bei Rewenig kippen sich die Einwohner hingegen, je nach Klasse, gemahlene Geldscheine in den Champagnerschwenker oder die Red-Bull-Dose, um sich an der eigenen Finanzmacht zu berauschen – bis das Geld zu stinken beginnt.

George Hausemer und Florient Toniello haben sich für avantgardistische Ansätze entschieden. Ersterer zerschreibt das Thema des Bandes in einem „Aromaroman“, Letzterer bietet einen nichtlinearen Rundgang durch die Festlichkeiten des Nationalfeiertags. Doch Hausemers Zerstückelungstechnik wirkt beliebig, während Toniello der Platz fehlt, um erfolgreich den Experimenten eines Julio Cortázar nachzueifern. Diese beiden Texte sind die weniger überzeugenden in einem insgesamt sehr gelungenen Buch. Man mag thematischen Anthologien wie dieser im Allgemeinen misstrauisch gegenüberstehen und dahinter allzu Disparates oder eilig dahingeschriebene Auftragsarbeiten vermuten. Le goût du Luxembourg umschifft solche Probleme allerdings ziemlich mühelos: Die Texte sind von ordentlicher Qualität, unterschiedlich genug, um zahlreiche Facetten abzudecken, und dennoch stimmig mit Blick auf das Ziel der Sammlung. So gelingt Ciocârlie und ihren Autorinnen und Autoren ein lohnender und differenzierter Blick in Luxemburger Ess- und Trinkgewohnheiten, der viel über das berüchtigte immaterielle Kulturerbe des Landes und den aktuellen Zustand der Gesellschaft verrät.

Corina Ciocârlie (Hrsg.). Le goût du Luxembourg. Aphinités 7. Éditions Phi, Esch/Alzette 2018.
ISBN 978-99959-37-48-5. 100 Seiten 16,00 Euro.

Jeff Thoss
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