Adolph-Brücke

Eine Brücke ins 20. Jahrhundert

d'Lëtzebuerger Land vom 12.08.2016

Als Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Eisenbahnstrecke in Betrieb genommen wurde, war die Stadt Luxemburg noch immer eine Festung, wenn auch eine durch den Fortschritt der Kriegstechnik bald nutzlose. Die Festung war die Grundlage der Eigenstaatlichkeit, weil die großen Nachbarstaaten sich diese Militärmaschine gegenseitig nicht gönnten. Die Festung und ihre preußische Garnison waren aber auch eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kleinstadt.

Die Garnison hatte durchgesetzt, dass der Bahnhof außerhalb der Festung, auf dem Plateau jenseits des Petrustals angelegt wurde. Das hatte zur Folge, dass die Hauptstadt keinen Bahnhof hatte. Der Bahnhof lag in der von Bonneweg bis Merl reichenden Nachbargemeinde Hollerich. Damit konnte sich die Stadtverwaltung ein halbes Jahrhundert lang nicht abfinden, noch lange nach der Schleifung der Festung.

Dass der Bahnhof außerhalb der Stadt lag, war nicht nur eine Prestigefrage. Die Bürger hielten es für eine Zumutung, mehrere Kilometer mit ihrem Gepäck über die 1861 in Betrieb genommene Passerelle, den Viadukt, zurückzulegen, um den Bahnhof zu erreichen. Die Geschäftsleute beanstandeten, dass ihre Warenlieferungen über die Passerelle, an deren Kopf ein Octrois-Haischen Binnenzoll erhob, zeitaufwändig und kostspielig waren. Und während die Stadt nach dem Abzug der preußischen Garnison 1867 neue Einnahmequellen suchen musste, wurde Hollerich dank des Bahnhofs zu einer aufstrebenden Industriegemeinde.

In Hollerich entstand, so der Historiker Raymond Steil in 75 Joër Fräi Gewerkschaft zu Hollerech, „innerhalb eines kurzen Zeitraumes ein äußerst vielschichtiges und dynamisches Industriezentrum, in dem neben den traditionellen Gewerben (Brauerei, Tabakfabrik), die Eisenindustrie Fuß zu fassen versucht (Eisenhütte, Walzwerk, Stahlwerk), die metallverarbeitende Industrie aufblüht (Kesselfabrik Bettenfabrik) und ausländische Unternehmen Zweigstellen errichten (Champagnerfabrik)“ (S. 21). Vor allem in den Gemeindesektionen Hollerich und Bonneweg ließen sich zahlreiche Arbeiter nieder, die Gemeinde Hollerich entwickelte sich „zu einer Arbeiterhochburg, welche die Entwicklung der luxemburgischen Arbeiterbewegung entscheidend mitprägt“ (S. 28).

So gab es nach der Öffnung der Stadt wiederholt Pläne, Bürgerinitiativen, Kommissionen und Unterschriftensammlungen, erst um den Banhof von Hollerich in das Stadtzentrum zu verlegen, dann um wenigstens einen zweiten Bahnhof auf dem Stadtgebiet zu bauen. Der heute von Stadt und Staat gefeierte Bau der Nei Bréck war von einem jahrelangen Streit zwischen Stadt und Staat beherrscht. Anfangs lehnte der Schöffenrat die zweite Brücke ab, doch eine 1890 von ihm eingesetzte Kommission musste feststellen, dass die Alternative, der Bau eines zweiten Bahnhofs, zu teuer würde und nur die Hälfte der Stadtbewohner daraus Nutzen zöge.

Wie so oft war der Schöffenrat vor allem der Schöffenrat des hauptstädtischen Geschäftsverbands. „En 1892 encore, le Conseil communal craignait que le nouveau pont entraîne la naissance d’un nouveau quartier commercial du côté de la gare existante, ce qui fit dire au Ministre d’État que les projets d’aménagement du plateau Bourbon devaient demeurer secrets“, erzählt ONT-Direktor Robert L. Philippart im Ausstellungskatalog Pont Adolphe 1903 (S. 159). Wenn es nach dem Geschäftsverband und zu einem großen Teil auch nach dem Schöffenrat ging, verliefen die neuen Verkehrsverbindungen durch die Stadt so, dass alle Reisenden, Pilger und Marktbesucher an den Schaufenstern möglichst vieler Läden im Stadtkern vorbeiziehen mussten. Während die Regierung eine zweite Brücke über das Petrustal zum Bahnhof bauen lassen wollte, verlangte der Schöffenrat einen eigenen, vom Staat mitbezahlten Bahnhof.

Der Bau der neuen Brücke war am Ende ein Sieg der Regierung, das heißt auch des von ihr geförderten Industrie- und Finanzkapitals über den kommunalen Mittelstand. Die Stadt erhielt in der Avenue Monterey am Park einen kleinen Bahnhof für die 1904 in Betrieb genommene Schmalspurbahn nach Echternach, der nach Bautenminister Charles Rischard „Charlys-Gare“ genannt wurde. Ab hier konnten die Bürger nun über die anfangs unerwünschte neue Brücke zum Hauptbahnhof fahren und dort umsteigen. Die Bahnverbindung wurde 1954 stillgelegt, an der Stelle des Bahnhofs wurde vor kurzem eine kommunale Mietwagenagentur eröffnet.

Die neue Brücke wurde schließlich nicht als Verlängerung der Philipps­gaass, sondern des Boulevard Royal gebaut, der nach der Schleifung der Festung auf dem aufgeschütteten Festungsgraben angelegt und rasch zu einer besseren Adresse mit Bürgervillen geworden war. Der Boulevard Royal war breit genug, um die Schmalspurbahn oder Straßenbahn zirkulieren zu lassen. Die Anrainer waren anfangs zufrieden mit dem bequemen Zugang zu den modernen Verkehrsmitteln, beschwerten sich aber rasch über den Lärm und den Qualm. Der liberale Staatsminister Paul Eyschen vertraute recht wenig auf die Marktkräfte und bemühte sich, die Stadtentwicklung zu steuern. Er bewog unter anderem die Interbank und die Post, am Boulevard Royal ihre Firmensitze zu bauen, so dass die Bürgervillen nach und nach den Banken und anderen Firmen weichen mussten. Gleichzeitig fand die Desindustrialisierung der Stadt statt: „En 1897, Joseph Heintz, suite à des réclamations récurrentes des voisins, transféra sa manufacture de tabacs du boulevard Royal vers Hollerich. En 1890, la manufacture de gants de Gabriel Mayer quitta la caserne du Piquet“, berichtet Robert L. Philippart (S. 167). Die Hauptstadt wurde zum Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum, auch wenn in den Zwanzigerjahren das industrielle Hollerich und der Hauptbahnhof eingemeindet wurden.

Der großzügige Boulevard Royal wurde jenseits des Petrustals von der neuen Avenue Adolphe, später Avenue de la Liberté, fortgesetzt, an deren Ende der Bahnhofsturm in den Himmel ragte. Im Laufe der Jahre brachte die Regierung die Sparkasse, die Wilhelm-Luxemburg-Eisenbahngesellschaft und die Arbed dazu, sich mit repräsentativen Gebäuden an der Prunkstraße zum Bahnhof niederzulassen – alles Unternehmen, die dem hauptstädtischen Handel keine Kunden abspenstig machten. Die luxuriösen, mehrstöckigen Ertragshäuser im einheitlichen Stil hatten schon fast etwas Großstädtisches an sich. Für die ankommenden Reisenden, „l’avenue de la Liberté eut la vocation de chemin initiatique vers la ville haute, lieu suprème des décisions politiques et économiques du pays“, resümiert Robert l. Philippart (S. 178).

Die industrielle Revolution in Luxemburg beruht aber vor allem auf der Entwicklung des Bergbaus und der Stahlindustrie, welche nach der Schleifung der Festung die neue ökonomische Grundlage der Nationalstaats darstellten. So gab es Angebote des Unternehmers Paul Wurth, der späteren Arbed-Tochter Felten & Guillaume und anderer Firmen, die neue Brücke über die Petrus aus Stahl zu bauen. Dies stieß aber auf den Widerstand der Steinbruchbesitzer, die erfolgreich verlangten, dass die Brücke aus heimischem Stein gebaut würde.

Die Regierung fand den bei Konservativen so beliebten Kompromiss von Tradition und Fortschritt, indem die Brücke von Handwerkern aus dem urtümlichen, mit der Heimaterde verwachsenen Stein gebaut wurde, aber die gewagte Architektur von zwei rekordverdächtig großen, unter einer Stahlbetondecke vereinten Brückenbogen die Ingenieurkunst der Moderne und die Zukunftsgewandtheit des Großherzogtums versinnbildlichen sollte. Schließlich wurde die neue Brücke in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut, in einer Belle Époque ungehemmten technischen Fortschrittsglaubens.

Die Schwerindustrie war zumindest indirekt an der neuen Brücke beteiligt, deren Bau im Juli 1897 unauffällig als Teil der Schmalspurbahn nach Echternach Gesetz wurde. Auf die Frage, ob die Bahn vom Staat oder einer Privatgesellschaft gebaut werden sollte, hatte schon zwei Jahre zuvor Staatsminister Eyschen laut Luxemburger Wort vom 26. Januar 1895 ganz unideologisch geantwortet: „Wir wünschen sehr gut gebaute Bahnen. Der Staat kann billiger bauen wie die Gesellschaften. Er hat die Techniker, Ingenieure. Die Gesellschaften bauen mit fremdem Geld und erhalten dieses zu 6 Prozent, der Staat hätte es fast um die Hälfte billiger und die Nebenkosten, apports, commissions etc. fielen weg.“

Also baute der Staat die Bahnlinie und die 1,55 Millionen Franken teure Brücke. Das Gesetz von 1897 schuf einen Spezial-Fonds, dessen Speisung Artikel 8 festlegte: „Der Fonds wird gebildet mittels Zuwendungen, welche dem Ertrag der auf die in Zukunft zu verleihenden Erzconcessionen geschuldeten Renten entnommen werden.“ Außerdem verfügte das Gesetz ohne falsche Scheu vor Staatsschulden: „Die Regierung ist ermächtigt, 6 663 Staatsschuldentitel im Betrage von je 500 Fr. zum festen Zinsfuß von 3,50 pCt., welche den Gesammtbetrag der im Art. 6 unter 1 und 2 des gegenwärtigen Gesetzes angegebenen Summen ausmachen, zu emittiren und zwar in der Form von Vicinaleisenbahn-Obligationen oder Staatskassenbons.“

Durch Beschluss vom 21. Juli 1903 ließ Pontifex maximus Paul Eyschen die Brücke nach dem als deutscher Protestant nicht sonderlich beliebten Großherzog Adolph von Nassau benennen. Vielleicht zum Dank dafür, dass der Greis ihn gewähren ließ und sich aus den Staatsgeschäften heraushielt. Ein Jahr nach der Einweihung der Brücke starb Adolph 88-jährig in Bayern. Hatte er die Adolphe-Brücke gebaut? „In den Büchern stehen die Namen von Königen. / Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“, fragte Brecht. „Die Zahl der am und durch den Brückenbau beschäftigten Arbeiter beträgt zirka 70“, zitierte das Luxemburger Wort am 3. November 1900 aus der Luxemburger Post. „35 Steinbrecher und Verlader, fast lauter Italiener, auf Verlorenkost, von wo tagsein, tagsaus etwa 70 Kippwagen 10-11 Züge Steine per „Pireli“ – wie die Kinder das unbändig dampfende, klingende Ding geheißen – nach dem Bourbon rollen, verdienen stündlich 38 Cts; 8-10 Zimmerleute zu 70 Cts. die Stunde; 15-16 Maurer zu 60 Cts.; dann noch ein halbdutzend Steinhauer und ebensoviel Verlader am Bahnhof, besser am Ladeplatz des Champagnerhauses Mercier, wohin Fougerolles „Pireli“ mit der Bahn Fühlung suchen gehen mußte – bei Staar hinunter und dann hinterm Hollericher Schulhaus weiter – da ihm nicht gestattet werden konnte, am Hotel Kessel vorbei über die Straße in den Bahnhof einzulaufen. Gearbeitet wird gegenwärtig 10 Stunden: von halb sieben bis halb 12 und von halb eins bis halb sechs.“ Als im Winter 1901 die Arbeiten wegen der Kälte unterbrochen wurden, blieben sie monatelang ohne Einkommen.

Während des Baus kam es zu mehreren Arbeitsunfällen, darunter einem tödlichen bei Montagearbeiten an einem Lastkran. „Beim Ablassen einer schweren Eisenschiene, deren unterstes Ende bereits senkrecht auf dem Wagen stand, bog sich der Vorarbeiter Armant über den Wagen um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, als dieser plötzlich ins Rollen, kam und die Schiene den unglücklichen Arbeiter beim Niederfallen ins Genick traf und ihn zur Stelle tötete“, so das Luxemburger Wort am 17. Februar 1902. „Derselbe wohnt in einer der Baracken am Bourbonplateau und hinterläßt eine Wittwe mit 5 unmündigen Kindern.“

Die renovierte Adolph-Brücke soll Ende des Jahres wieder dem Verkehr übergeben werden. – Das Musée Dräi Eechelen zeigt bis zum 8. Mai 2017 die Ausstellung Pont Adolphe 1903, geöffnet von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis20 Uhr, dienstags und am 15. August geschlossen, Katalog 248 Seiten, 36 Euro.
Romain Hilgert
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