Kreisverkehr

Geduldsprobe in Moll

d'Lëtzebuerger Land vom 31.03.2011

Die schwedische Autorin Sophie Beck, Jahrgang 1983, macht es dem Ensemble im Théâtre du Centaure fürwahr nicht leicht. In ihrem Drama Kreisverkehr liefern sich „ein Junge“ und „ein Mädchen“ ein endloses Wortgefecht aus Werbeslogans, Redewendungen und Worthülsen. Einerseits, um zu rechtfertigen weshalb, und andererseits, um zu bedauern, dass sie mit ihrem versuchten Selbstmord gescheitert sind. Unerträglich seichte, peinlich platte Verrisse über das elterliche Spießertum, ein Leben in finanzierter Sicherheit, mangelnde Authentizität ließen den Zuschauer zur Premiere am 28. März ahnen, dass hier ein pubertäres Erstlingswerk aufgeführt werde, dessen Autorin schlichtweg dagegen ist:

In diesem Staat gibt es 90 % verwöhnte Arschlöcher zu viel. 50 % davon sind depressiv. 20 % schließen Lebensversicherungen ab. Die restlichen 20 % machen irgendwas mit irgendwas und zahlen ihre Miete damit. Irgendwas mit irgendwas. Irgendwas mit irgendwem. Irgendwie, irgendwie doch noch. Noch irgendwie, doch noch, mit dem blauen Auge davon gekommen. (Aus Kreisverkehr)

Und tatsächlich macht sich Enttäuschung breit, weil derart banale Dia-loge abgelatscht sind wie alte Pantoffeln. Die dazwischen geschobenen Rückblenden auf die Sekunden vor dem Aufprall des Wagens, Millisekunden vor der ersehnten Freiheit, wirken wie ein verzweifelter Versuch, die träge Nullhandlung zu brechen, dem Zuschauer einen Grund zu liefern, die altertümlichen Gemäuer in der Grand-Rue trotz dieses Schwachsinns dramatischer Gegenwartskunst nicht zu verlassen.

Isabelle Koob und Luc Spada, die das Paar auf der Bühne mimen, hätten sich dieses Stoffs jedoch sicherlich nicht angenommen, böte Becks Bühnenarbeit nicht doch sehr viel mehr als das oben Gescholtene. Der schiere Wunsch nach Tod, nach Freiheit dieses grundskeptischen Paares ist nur Theater.

Nur Theater? Diese Feststellung ergäbe in einer theaterkritischen Rezension keineswegs eine revolutionäre Erkenntnis. Doch schürt sie Missverständnisse. Kreisverkehr ist kein Drama, in dem die Dramatis personae als Subjekte agieren, sie werden vielmehr zum Gegenstand des dramaturgischen Handwerks. Nicht das Geschehen wird zum Thema, sondern die Dramaturgie.

Die Figuren sind keine autonomen Psychen, sondern Kinder einer Mutter namens Sophie Beck, realiter die Autorin der beiden. Beide sind in ihrer Verzweiflung, ihrer Refle-xion und ihrer Zärtlichkeit nicht echt. Sie sind Marionetten, die nicht in den Tod gehen können, weil ihre Autorin dies noch nicht will. Eine Waffe sinkt zu den Fatalisten herab, wird von den Figuren als Requisit enttarnt. Ein Schwall an Belanglosigkeiten wird letzten Endes als solcher bloßgestellt. Auch das Publikum wird zum Thema und kriegt eine Breitseite ab:

Wenn sie uns kein vernünftiges Theaterstück schreibt, ist das nicht meine Schuld. Kein Tod. Kein Ende. (…) Dafür Statisten (…) Ja, ich weiß. Immer diese blöd glotzenden Gesichter mit Erwartungen (…) Mir liegt wirklich nichts ferner als Erwartungen zu erfüllen.

Die Zweigleisigkeit der anfangs subjektiv empfundenen Fiktion und des literarischen Prozesses wird dramaturgisch recht simpel verwirklicht: Die Figuren werden abgedunkelt, Stimmen aus der Vergangenheit werden eingespielt, und ein bizarres grelles Licht bescheint die Bühne aus dem seitlichen Mauerschacht. Schlichte Bewegungsabläufe prägen jene Phase, da die Fantasiegestalten ihre Identität als literarische Marionetten schrittweise begreifen.

Die Leistung der beiden überaus jungen Darsteller wirkte während der Premiere – und wohl wegen dieser – anfangs noch etwas zittrig. Das strenge Korsett der schematischen Sprache trägt das Seine zum Mangel an Spontaneität bei. Die dramentheoretische Reflexion hinter diesem Spiel im Spiel lässt beide Darsteller jedoch zusehends auftauen und die Atmosphäre verdichtet sich zusehends. Kreisverkehr ist letztendlich eine Produktion, auf die man sich mit Geduld einlassen muss, um späterhin die offensichtlichen Vorzüge genießen zu dürfen. Ein schwaches Mittel zum großen Zweck.

Kreisverkehr von Sophie Beck; eine Produktion des Théâtre du Centaure und Playsucré a.s.b.l.; Regie: Elisabeth Werdemann; Dramaturgie: Marc Rettel; Bühne und Kostüme: Sarah Schlechter; Lichtgestaltung: Rafael Kohn; Darsteller: Luc Spada, Isabelle Koob. We
Claude Reiles
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