Leitartikel

Allheilmittel

d'Lëtzebuerger Land vom 17.05.2013

Das Parlament beschäftigte sich diese Woche in einer Orientierungsdebatte mit der Arbeitslosigkeit. Das passiert jedem Arbeitsminister in jeder Legislaturperiode, seit die Zeiten, da man die Arbeitslosigkeit mit der Theorie vom „atypischen Arbeitsmarkt“ als statistische Anomalie abtat, vorüber sind. Denn die Arbeitslosenrate begann in den Neunzigerjahren, sich in Richtung des europäischen Durchschnitts zu normalisieren, und auch in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs geht sie kaum noch zurück.

Eine solche parlamentarische Orientierungsdebatte ändert selbstverständlich nichts an der Arbeitslosigkeit, wie scharfsinnige Kommentatoren bemerkten. Sie dient in der Regel der Regierung dazu, wenigstens ihren Tatendrang zu beteuern, und der Opposition, wenigstens die Ratlosigkeit der Regierung vorzuführen. Was zweimal der Ausdruck der gleichen Hilflosigkeit ist, über die man sich mit der parteiübergreifenden Feststellung hinweg tröstet, dass es keine Allheilmittel gibt. Wenn trotzdem einer über ein Patentrezept verfügt, dann bringt er es, wie einer der beiden Berichterstatter, André Bauler (DP), am Mittwoch, auf die betörende Formel, man brauche „einen regelrechten Paradigmenwechsel für ein resolutes Umdenken, also eine neue Kultur“.

Nun wäre es sicher ungerecht, den Politikern Unfähigkeit oder gar schlechten Willen zu bescheinigen. Ihr Bedauern, über kein Allheilmittel zu verfügen, drückt vielmehr die Ratlosigkeit gegenüber einem Dilemma aus, das unter den gegenwärtigen Bedingungen gar nicht zu lösen ist: Luxemburg ist das Einzugsgebiet einer Großregion, die weit mehr Arbeitslose zählt als das ganze Land Einwohner. Weil hierzulande das Wirtschaftswachstum und das Reallohnniveau höher sind, verursachen unter den europäischen Bedingungen der Freizügigkeit der Arbeitskraft die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage eine Sogwirkung. Sie dürfte wenigstens so lange anhalten, bis die lothringischen Löhne auf das luxemburgische Niveau gestiegen oder die luxemburgischen Löhne auf das lothringische Niveau gefallen sind. Wobei gar nicht auszumalen ist, wie hoch die luxemburgischen Löhne in Fichtes geschlossenem Handelsstaat ohne das Arbeitslosenreservoir jenseits der Grenzen wären.

Weil sich trotz protektionistischer Rufe am Mittwoch in absehbarer Zeit nichts an diesen Marktgesetzen ändert, wird sich seit Längerem darauf beschränkt, den Arbeitsmarkt nicht mehr aus der Nachfrage- sondern nur noch aus der Angebotsperspektive zu betrachten. Das ökonomische Problem Arbeitslosigkeit wird so der Unvollkommenheit des einzelnen Arbeitsuchenden angelastet. Damit ist er dann ein Fall für Arbeitsamtvermittler, Schullehrer, Sozialarbeiter und Psychologen, deren diese Woche wieder festgestelltes Versagen mit ihrer Reformunwilligkeit erklärt wird.

Allerdings stand die von DP und Grünen beantragte und während über einem Jahr vorbereitete Debatte auch in einem neuen Zusammenhang: des Staatsdefizits und damit der Kostensenkung. Der Ausschussbericht zur Orientierungsdebatte rechnet vor, dass die Ausgaben für die verschiedenen Beschäftigungsmaßnahmen zwischen 2008 und 2011 fast um die Hälfte, auf 155 Millionen Euro, die Ausgaben des Beschäftigungsfonds für Arbeitslosengeld vergangenes Jahr von 213 auf 269 Millionen Euro gestiegen seien. Schon vor zwei Monaten hatte Premier Jean-Claude Juncker auf dem CSV-Kongress wieder einmal angekündigt, dass die Bedingungen für das Anrecht auf Arbeitslosengeld verschärft werden müssten. Und nicht zufällig wurde am Vorabend der Debatte die Beschäftigungsinitiative OPE aufgelöst, nachdem die Regierung ihren Blankoscheck annulliert hatte, mit dem die Initiative jahrelang die Arbeitslosenzahlen senken sollte. Fazit: In Zukunft müssen die Allheilmittel, die es nicht gibt, weniger kosten.

Romain Hilgert
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