Let’s talk about Sex waren die Neunziger, Méi wéi Sex heißt es im Jahr 2020. Und pünktlich zur neuen Dekade hat das Team um den ersten und einzigen Luxemburger Sex-Podcast des Radio Ara sich neu zusammengesetzt. Joël Adami, Journalist der Wochenzeitung woxx, Gast in einer früheren Emission, gehört nun fest zum Team, ebenso wie Anne Schaaf, die ebenfalls journalistisch tätig war und durch ihre raue Stimme auffällt, und schließlich Kelly Kosel. Die 27-Jährige ist von Anfang an dabei und die einzige, die Sexualpädagogik studiert hat.
Der Ansatz ist derselbe geblieben, wozu Bewährtes ändern? Das Trio greift alles Mögliche und Unmögliche rund um Sexualität, Körper und Beziehungen auf, in Wohnzimmer-Gesprächsatmosphäre, mal mit mehr Humor, mal mit dem gebotenen Ernst, und das in einer möglichst verständlichen Sprache. „Wir haben uns bewusst für Luxemburgisch entschieden, weil es so etwas auf Luxemburgisch überhaupt nicht gab“, erzählt Sandra Laborier, zuständig für die Jugendsendung „Graffiti“ bei Radio Ara.
Nachdem Méi wéi Sex anfangs ein Geheimtipp für Podcast-Fans und Ara-ZuhörerInnen war, spricht sich das Format allmählich herum: Die Podcastversion, die auf www.sexpodcast.lu oder Spotify heruntergeladen werden kann, erreicht durchschnittlich von 2 000 bis 2 500 Personen. Die etwa 25-minütige Sendung wird freitags ab 15 Uhr gesendet und dienstags um 18 Uhr wiederholt.
„Die Themenliste für die zweite Staffel ist wieder lang geworden, sodass wir eine dritte Staffel machen können“, freut sich Joël Adami. Ziel ist es, ohne Tabus und unverkrampft über Sex zu reden, daher der persönliche, anekdotische Ansatz. „Wir wollen ganz bewusst kein Expertensendung sein, sondern die Sendung baut auf den persönlichen Erfahrungen der Sprecherinnen und Sprecher auf“, erklärt Laborier das Konzept.
Die Koordinatorin des Jugendprogramms beim Radio Ara hatte vor mehr als fünf Jahren die Idee, das Thema Sex in einer Sendung aufzugreifen. Doch obwohl Sexualität alle mehr oder weniger betrifft, fand sie zunächst keinen Partner. „Das Planning familial war aufgeschlossen, hatte aber leider keine personellen Kapazitäten“, erinnert sie sich. Mit dem Cesas (Centre national de référence pour la promotion de la santé affective et sexuelle) kam Dynamik in die Sache. Mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Œeuvre nationale de secours Grande-Duchesse Charlotte fiel der Startschuss. Die erste Sendung widmete sich Menstruation und startete mit dem Trio Kelly Kosel, Tessie Jacobs (Journalistin) und Anne Klein. Soeben wurde die 50. Sendung ausgestrahlt, die Palette reicht von präventiven Themen wie HIV oder Grenzen ziehen, über Körperthemen wie Behaarung und Schönheitsklischees bis zu sexuellen Vorlieben.
Was sich wie ein roter Faden durch alle Sendungen zieht, ist der konsensuelle Ansatz: Trotz sex-positiver Erzählweise ist längst nicht jeder sexuelle Kontakt schön und ein Genuss. Sexuelle Belästigung und Vergewaltigung sind gravierende Grenzverletzungen, und auch in zunächst einvernehmlicher Ausgangslage können individuelle Grenzen plötzlich verschwimmen oder sich verändern.
„Da hilft es, immer wieder nachzufragen, ob etwas noch gefällt und beide es wollen“, betont Joël Adami, demzufolge mensch über Sex nicht genug reden kann. Das gilt auch für das Danach: „Nicht im Sinne: Bist Du gekommen, sondern eher: Was hat Dir gefallen? Was wollen wir anders machen?“ Kommunikation, das wird beim Hören der Sendung deutlich, der Versuch, ehrlich und offen über Vorlieben, Bedürfnisse und Grenzen zu reden und sie auszuloten, ist das A und O für eine schöne Sexualität, die allen Beteiligten Spaß macht, wo nicht eine/r allein seine oder ihre Vorstellungen durchsetzt – und prägt das Ambiente des Podcasts.
Das gilt zum Beispiel auch für BDSM, das die zweite Staffel aufgreift. Das Team der neuen Folgen bis Sommer ist diverser aufgestellt, wobei fast alle einen akademischen Hintergrund haben und es streng genommen keine Jugendsendung, von Jugendlichen für Jugendliche ist. Joël ist 32 Jahre alt, Anne 31.
Wie können über 30-Jährige einen Sex-Podcast machen, der eigentlich die Altersgruppe 16 und aufwärts ansprechen soll? „Die Frage stellen wir uns auch immer wieder und es gibt darauf keine einfache Antwort“, sagt Sandra Laborier selbstkritisch. Joël Adami zögert: „Wir versuchen, jugendgerecht zu reden und alle Begriff zu erklären. Gleichzeitig wollen wir uns nicht bei der Jugend anbiedern“, beschreibt er den Spagat. Ob die Tatsache, dass sich alle drei Hauptredner auch privat kennen, es einfacher macht, über Persönliches wie sexuelle Präferenzen zu reden? „Die Chemie muss stimmen“, findet Adami.
Das Format hat seine Fans gefunden: Bei einem Treffen für ZuhörerInnen kamen mehr als 20 Interessierte – die mit Feedback nicht hinterm Berg hielten. Auch Hörerfragen gibt es zuweilen, „zu offenen Beziehungen“, erinnert sich Adami. Die werden dann im Team besprochen und gemeinsam beantwortet.
Data not available
Die Daten sind nicht verfügbar. Auf diesen Satz stößt ziemlich häufig, wer hierzulande Statistiken zu Jugend und Sexualität sucht. Der letzte Länderbericht Luxemburg der Weltgesundheitsorganisation zum Wohlbefinden von Kindern im schulfähigen Alter liegt fünf Jahre zurück und aufschlussreiche Zahlen zur Sexualität der Jugendlichen sucht man darin vergebens: Die einzigen Daten, die bei der online zugänglichen zweiseitigen Länderübersicht zum Thema Sexualität angegeben werden, betrafen den Kondomgebrauch: Offenbar steht der Gummi nicht mehr sehr hoch im Kurs, zwischen 2010 und 2014 nahm der Anteil der 15-jährigen Mädchen, die so verhüteten, von knapp über 80 auf knapp über 70 Prozent, bei den Jungen von knapp 90 auf knapp unter 80 Prozent ab. Warum das so ist, ob die Jugendlichen auf andere Verhütungsmethoden zurückgriffen oder sie vermehrt ungeschützten Sex hatten, erfährt man nicht. Fehlanzeige, wer Informationen zu sexuellen Vorlieben und Praktiken sucht.
Nicht dass die Luxemburger Jugend keinen Sex hätte, aber er wird nicht wissenschaftlich erfasst. Das ist bedauerlich, denn somit entgehen der Gesellschaft wichtige Informationen zur sexuellen Gesundheit der Mädchen und Jungen: etwa wann Jugendliche in Luxemburg zum ersten Mal Sex haben, ob sich ihr Sexualverhalten durch im Internet frei zugängliche Pornografie verändert. So hat eine australische Studie zur Auswirkung von Pornografie auf Kinder und Jugendliche 2017 ergeben, dass junge Männer öfter als junge Frauen Pornografie konsumieren und dass gewalttätige Pornos auch ihr Verhältnis zu und ihr Bild von Frauen prägen: Heranwachsende, die harte Pornos konsumierten hatten, eine sechs Mal höhere Wahrscheinlichkeit sexuell aggressiv zu sein als jene, die keine oder softe Pornos konsumierten. Einer Studie aus den Niederlanden zufolge kann früher Pornokonsum weitreichende Folgen für das Selbstverständnis und die Einstellung gegenüber Sexualität und künftigen (Sex-)Partnern haben: Junge Pornokonsumenten haben tendenziell früher und häufiger riskanten, ungeschützten Sex. Mädchen scheinen es noch schwieriger zu finden, sich von riskanten und ungewollten Sexualpraktiken abzugrenzen, aus Angst als prüde oder uncool zu gelten.
Auch Fragen zu Missbrauch, wichtiger Indikator der jugendlichen Gesundheit, wären aufschlussreich. In der Wohlbefindlichkeitsstudie zu Luxemburg fehlten sie, offenbar weil Ethik-Experten hierzulande darauf drängten, derlei brisante Fragen wegzulassen. Dadurch tappt die Gesellschaft im Dunkeln, mit Folgen für die Prävention: Bleibt unbekannt, welche Risiken Jugendliche beim Sex eingehen oder welchen Gefahren sie sich ausgesetzt sehen, wird kaum eine altersgerechte Aufklärung stattfinden, die solchen Negativtrends entgegenwirkt. ik