Hausemer, Georges: Der lächelnde Elefant in der Rushhour

Reiseverführer ungeschönt

d'Lëtzebuerger Land vom 26.09.2002

Aus eigentlich unerklärlichen Gründen wäre ich nie auf die Idee gekommen, Thailand zu bereisen. Nach der Lektüre dieser zwanzig fesselnden "Szenerien" sind alle Vorbehalte jedoch gewichen. Wie der Autor möchte ich nun im Skytrain, dem modernen elektrischen "Himmelszug", über Bangkok schweben, der "Stadt der Superlative, Metropole der Kontraste". Von seiner faktenreichen Beschreibung angeregt, würde ich durch die Khao San Road flanieren, die sich von einem ehemaligen Ghetto für Backpacker-Touristen durch ausländische Investoren in eine "globalisierte Kommerzmaschine" verwandelt hat, und auch ich müsste den "brutalen Identitätsverlust" feststellen. 

Selbstverständlich ginge ich auch auf Wiederentdeckung des alten Stadtteils Thon Buri, dem "Venedig des Ostens", so genannt wegen seines Kanalsystems. Vielleicht hätte ich Glück wie Hausemer, der sich von ehemaligen Flusstauchern ihr früheres lukratives Gewerbe und die reiche Vergangenheit des Landstrichs erklären ließ. Gern nähme ich die strapaziös lange, abenteuerliche Zugfahrt nach Nordthailand auf mich zu Reisbauern und Viehzüchtern, um im Rahmen des sanften Öko-Tourismus-Projektes "Homestay" mit ihnen ihr einfaches Leben zu teilen, ihre Bräuche, Handwerke und Denkweisen schätzen zu lernen. Nicht entgehen ließe ich mir das Kunsthandwerker-Festival bei Chiang Mai, das bedeutendste in Südostasien mit "fließenden Grenzen zwischen Kunst und Kitsch". 

Mindestens eines der 32.000 Klöster des Landes würde ich besichtigen und fasziniert dem Allmosensammeln der "Bettelmönche" zuschauen, die trotz - oder gerade wegen? - der idiotischen Touristenfilmerei ihre Würde bewahren. Zur Touristenattraktion verkommen, erlebte ich Elefanten, diese "mythischen Lebewesen". Und auch das Schutzzentrum bei Chiang Mai könnte mir nicht die bittere Erkenntnis ersparen: "Wenn es um ihr eigenes Überleben geht, kennen die Menschen keine Gnade für Thailands Symboltier und keinen Respekt vor dessen historisch-religiöser Einzigartigkeit."

Dem Kaufrausch - dazu genügt hier ein "leerer Koffer und eine Kreditkarte" - würde ich nicht verfallen, aber der Thai-Massage, die nach Hausemers Erprobung "eine ganz neue sinnliche Erfahrung vermittelt. Jede Berührung beglückt, jeder Kunstgriff kommt einer Liebkosung gleich". Der Autor beschreibt die Schiffstour auf dem Mekong, die sich dabei bietenden "ruhigen Bilder", den Besuch der Grotten von Pah Ou mit Tausenden Buddhafiguren, die vorkoloniale Stadtstruktur von Luang Prabang so eindringlich, dass ich sie in meinen Reiseplan ebenso aufnähme wie die größte Insel Phuket und die südthailändische Inselwelt, die auch durch Filme wie The Beach Weltruhm erlangte. 

Bei der originellen Kochlehrerin Chanpen lernte ich die kulinarischen Genüsse zubereiten und im Mae-Rim-Tal gäbe ich mich wie Georges Hausemer der "Leichtigkeit des asiatischen Seins" hin als Gast im exzellenten Sheraton Grande; dort erlebt man die "sprichwörtliche thailändische Gastfreundschaft und der dem Einheimischen quasi angeborene Sinn für Schönheit in schwelgerischer Verschwendung". Und ich glaube dem Autor auch, dass man im Bangkoker Lokal der Coffee Society "den besten Cappuccino der Welt" schlürfen kann, und ich glaube ihm, wenn er verheißt: "Hier lässt man dich in Ruhe deine Zeit genießen."

Die Glaubwürdigkeit des Verfassers hat ihre triftigen Gründe. Er beherrscht die Kunst des Reisens, das heißt zunächst, er bereitet sich durch Vorauslektüre gründlich vor, was er durch Zitatverweise aus Werken anderer Thailand-Besucher offenlegt. Er setzt auf umfassend recherchierte Schwerpunkte, deren oft gegensätzliche Facetten er detailversessen zur Anschauung bringt. Hausemer, weit entfernt von oberflächlich "praktischen" Reiseführern, will Wirklichkeit erleben, weicht keinem Problem aus, gibt jeder landesüblichen Verlockung nach, sucht als "Menschenfreund" die Nähe von Einheimischen, den Kontakt zu verantwortlichen Ortskundigen, wie Projektleitern und Entwicklungshelfern. Immer vertieft er seine Beobachtungen und Erfahrungen durch Rückgriffe auf historische, politische und kulturelle Hintergründe. Schließlich entspricht seiner neugierigen, sinnlichen, weltoffenen Mentalität eine klar informierende, kraftvolle, eigenwillige, leidenschaftlich die Umwelt erhellende Sprache; sie bleibt stets auf der Höhe ihres Gegenstandes. Als versierter Autor hat er den Reportagestil im Griff.

 

Georges Hausemer: Der lächelnde Elefant in der Rushhour. Thailändische Szenerien. Picus Lesereisen. Picus-Verlag Wien 2002, 131 S.,13,90 Euro

 

 

Fritz Werf
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