Drei Jahre nach dem Wohnungsbaupakt soll den Gemeinden noch ein Klimapakt mit dem Staat winken. Über den Entwurf dazu gibt es einige Auseinandersetzungen

Radwege statt CO2-Senkung

d'Lëtzebuerger Land vom 16.03.2012

Wir arbeiten an der Lösung noch bestehender Konflikte. Den Eindruck vermittelt Marco Schank (CSV), der für Umweltfragen zuständige delegierte Nachhaltigkeitsminister, spricht man ihn dieser Tage auf den „Klimapakt“ an, den die Gemeinden bald schon mit dem Staat abschließen könnten.

Die dahinter liegende Idee ist ganz plausibel: Bis zum Jahr 2020 soll Luxemburg seine Treibhausgas-
emissionen im Vergleich zum Jahr 2005 um mindestens ein Fünftel senken und in Etappen seinen Energieverbrauch reduzieren. So sieht es die Lastenteilung unter den EU-Staaten vor, mit der das 2007 beschlossene Europäische Klima- und Energiepaket umgesetzt werden soll. Könnten dabei die Gemeinden eine ganz eigene Rolle spielen? Ja, fanden CSV und LSAP 2009 bei der Regierungsbildung und hielten schon im Koalitionsvertrag das Instrument Klimapakt fest.

Wer sich an den Wohnungsbaupakt erinnert fühlt, liegt richtig: Wird dort eine Gemeinde, der es gelingt, ihre Einwohnerzahl in zehn Jahren um mindestens 15 Prozent zu steigern, weil sie mehr Wohnraum auf ihrem Territorium zu schaffen half, aus der Staatskasse mit einer Kopfpauschale pro Neu-Einwohner belohnt, verspricht der Klimapakt Staatsgelder für lokale Anstrengungen für Klimaschutz und Energieeffizienz.

Es geht dabei sogar um ziemlich viel Geld. Bei Abschluss eines Klimapakts mit dem Staat bekäme eine Gemeinde eine Funktionskostenpauschale von 10 000 Euro, jährlich und bis einschließlich 2020. Daneben aber winkt bei Zielerfüllung ein Bonus pro Einwohner. Das können fünf bis 35 Euro im Jahr sein, je nach der Einwohnerzahl der Gemeinde und dem Grad der Zielerfüllung. Und schließlich verspricht der Staat, den Gemeinden bei ihren Bemühungen zusätzlich beizustehen, indem er die Kosten für „Klimaberater“ übernimmt – wiederum abhängig von der Größe der Gemeinde und je nach den von diesen Beratern vor Ort geleisteten Arbeitsstunden.

Insgesamt könnte die Aktion bis zum Jahr 2020 rund 76 Millionen Euro an Staatsgeldern kosten, schätzt die Regierung in dem Gesetzentwurf zum Klimapakt, den sie im Oktober vergangenen Jahres auf seinen Weg durch die Instanzen geschickt hat und der schon damals von verschiedenen Seiten kritisiert wurde: vom Gemeindeverband Syvicol etwa, aber auch vom Mouvement écologique und dem Klima-Bündnis Lëtzebuerg, das jene 34 Gemeinden von der Haupstadt bis Esch-Sauer regruppiert, die sich dem Internationalen Klimabündnis angeschlossen haben. Die jüngste Kritik kam letzte Woche vom Staatsrat. Ginge es nach ihm, gehörte der Gesetzentwurf ganz neu geschrieben.

So viel Widerspruch überrascht. Wo doch einerseits das Vorhaben schon so lange bekannt ist und das Anliegen so plausibel, und da andererseits Marco Schank dahintersteht – der frühere Umweltpionier aus dem Oesling und spätere Député-maire von der CSV mit der besonderen Vorliebe für gemeindeübergreifende Bündnisse im ländlichen Raum.

Niemand aber hat etwas gegen den Klimapakt an sich, nur gegen das Was, Wie und Wer. Das beginnt damit, dass die Regierung die Bemühungen der Pakt-Gemeinden an den Kriterien des European Energy Award messen lassen will. Dahinter verbigt sich das eingetragene Warenzeichen einer Schweizer Firma, die ein Qualitätsmanagement für kommunalen Klimaschutz und Energieeffizienz mit 80 Indikatoren entwickelt hat. Weil ihr Benchmarking bereits in mehreren Ländern benutzt wird, etwa in Deutschland, Österreich und Frankreich, verspricht es internationale Vergleichbarkeit. Außerdem setzt es in sechs verschiedenen Bereichen an – von der Energienutzung über das lokale Mobilitätsmanagement bis hin zum kommunalen Beschaffungswesen.

Ist das schlecht? Das behauptet keiner. Doch was dabei gemessen wird, sind nicht CO2-Reduktionen in Tonnen und Energieeinsparungen in Megawattstunden, sondern vor al-lem qualitative Fortschritte – das Anlegen von Fahrradpisten etwa oder die Frage, ob eine Gemeinde erneuerbare Energien nutzt, nicht aber, wie viel davon. Im Grunde geht es nicht um Resultate, sondern um die Verbesserung von Prozessen. Damit ist das Instrument eher für Anfänger gedacht und kommt 13 Jahre nach Unterzeichnung des Kioto-Protokolls eigentlich zu spät. 

Als erster hatte der Mouvement écologique im November verlangt, der Klimapakt müsse unbedingt auch quantitative Ziele setzten, „wenn es um so viel Geld geht“. Das ist nachvollziehbar: Werden keine konkre-ten Ziele gesetzt und ihre Erfüllung nicht kontrolliert, kann der Staat nicht sicher sein, was er als Gegenleistung für die 76 Millionen Euro erhält. Mehr noch: Die Regierung schätzt in der Fiche financière zum Gesetzentwurf, der Klimapakt werde zu Projekten führen, die bis 2020 einen Umfang von über 100 Millionen Euro erreichen könnten, die der staatliche Umweltfonds finanzieren würde. Insgesamt wären es also fast 200 Millionen Euro, deren sinnvoller Einsatz von der Qualitätskultur aus den Klimapakten abhinge. So viel sollte zum Beispiel die neue Messehalle auf dem Kirchberg kosten. 

Die Frage ist nur: Lässt sich präzise messen, wie viel Energie in einer Gemeinde verbraucht und wie viel CO2 dort ausgestoßen wird? Nein, meint das Nachhaltigkeitsministerium in der Begründung des Klimapakt-Gesetzentwurfs. Das sei erst in einer „zweiten Phase“ denkbar, nach 2020. Stimmt nicht, sagt Paul Polfer, der Koordinator des Klima-Bündnis Lëtzebuerg. Ein in Italien für das Klima-Bündnis entwickeltes Instrument namens Eco Regio erlaube schon jetzt jeder Gemeinde, die das will, die Gewinnung ihrer CO2- und Energiebilanz; vorausgesetzt, man erfasst die Rohdaten. In Pilotversuchen in mehreren Luxemburger Gemeinden, darunter in Mamer, Beckerich und Junglinster, habe Eco Regio seine Tauglichkeit gezeigt.

Auch der Staatsrat hielt der Regierung letzte Woche vor, man könne schon jetzt genau genug messen, und nannte unter anderem das Tool des Klima-Bündnis. Und folgerte, Man sollte den Klimapakt am besten aufgeben, stattdessen eine Verordnung erlassen, die die Gemeinden auf Resultate festlegt und deren Erfüllung belohnen.

Das will Marco Schank nicht tun. Als er am Dienstag dieser Woche mit dem parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss über den Klimapakt diskutierte und Verbesserungsvorschläge zum Gesetzentwurf mitbrachte, stand darin kein ganz neuer Ansatz, sondern nur die Ergänzung, dass Subventionen vom Staat „auch“ für konkret messbare Einsparleistungen gezahlt werden könnten. Details blieben noch zu klären, sagt Schank dem Land, und unterstreicht: „Ich war nie gegen quantitative Ziele.“ Das habe er im Herbst auch dem Mouvement écologique erklärt. Dass mehr als ein Vierteljahr vergehen musste und es erst eines Staatsrats-Gutachtens bedurfte, um den Gesetzentwurf um ein „auch“ zu ergänzen, deutet allerdings darauf hin, dass der Minister sich dabei so sicher nicht sein könnte.

Doch wenn das Instrument Klimapakt von Anfang an so ausgelegt war, den Gemeinden erst nach 2020 klare Vorgaben zu machen, dem Zeitraum also, für den noch nicht mal in der EU CO2-Ziele existieren, dann könnte die ganze Aktion weniger mit Klimaschutz und Energieeffizienz zu tun haben, als mit der Sammlung möglichst vieler Gemeinden hinter eine CSV-Idee von lokalem Umweltpolitik-Marketing, das den Bürger anspricht. Gut möglich, dass der ehemalige Umweltpionier aus dem Oesling dafür nicht der Ideengeber ist.

Dazu passt jedoch, dass der Klimapakt-Gesetzentwurf zumindest in seiner jetzigen Form einen recht infantilisierenden Umgang mit den Gemeinden anstrebt. Jede von ihnen soll einen externen „Klimaberater“ verpflichten. Er würde eine kommunale Équipe climat moderieren, eine Versammlung aus Gemeinderäten, interessierten Bürgern und lokalen Betrieben. Letztlich aber würde der Berater allein eine Strategie hin zu den EEA-Qualitätszielen formulieren und ein Arbeitsprogramm zu ihrer Erfüllung. Laut Gesetzentwurf soll nur die Arbeit eines externen Beraters staatlich finanzierbar sein, nicht aber die einer Person, die eine Gemeinde schon angestellt hätte, und streng genommen auch nicht die Arbeit der in den größten Gemeinden schon bestehenden Services écologiques.

Dieses Konstrukt hat von verschiedenen Seiten aus unterschiedlichen Gründen Kritik erregt. Der Gemeindeverband Syvicol fürchtet, bei so vielen Vollmachten werde der externe Klimaberater die lokale Klimapolitik zu Lasten der demokratisch Gewählten bestimmen, und sieht  darin einen Versuch zur Auslagerung von Gemeindekompetenzen an Subunternehmer. Der Leiter eines kommunalen Service écologique meint gegenüber dem Land, fest angestellte interne Berater seien „wahrscheinlich kostengünstiger“, als Externe auf Stundenbasis zu bezahlen. Der grüne Député-maire Camille Gira hält Externe vor allem in Landgemeinden für problematisch: „Da muss man zum Teil lange wirken, ehe man etwas bewegt. Wenn da einmal pro Woche einer aus der Hauptstadt vorbeikommt, nützt ihm all sein Fachwissen nicht viel. Da wird der Klimapakt ein Flopp.“ 

Gegenüber dem Land deutet der delegierte Nachhaltigkeitsminister einen neuen Kurs an: Interne Berater könnten ebenfalls vom Staat bezahlt werden. Solche, die Gemeinden in Zusammenschlüssen beauftragt haben, wie etwa die Naturparkgemeinden an Obersauer und Our, ebenfalls. „Das ist doch evident.“

Doch so evident war das in den sechs Monaten seit dem Depot des Gesetzentwurfs im Parlament nicht. Stattdessen war vorgesehen, dass My Energy, das Groupement d’intérêt économique von Staat und Agence de l’énergie S.A., hinter der wiederum Enovos Luxemburg und die SEO stehen, die externe Beratung komplett übernehmen sollte.

Aber vielleicht helfen die diversen Korrekturen dem Klimapakt ja doch auf einen guten Kurs. Denn bliebe es allein bei Zielvorgaben, die nicht richtig abrechenbar sind, bei Beratern, die womöglich mehr kosten als nötig und weniger zu initiieren vermögen als möglich – dann könnte bei dem veranschlagten finanziellen Einsatz der heute noch von allen Seiten prinzipiell befürwortete Klimapakt eines Tages in Ungnade fallen wie die großzügige staatliche Fotovoltatikförderung vor acht Jahren. Hinzu kommt: Wird das Klimapakt-Gesetz dieses Jahr verabschiedet, dürfte anschließend eine Sensibilisierungskampagne nötig sein und es könnte, wie der Syvicol schätzt, bis 2014 dauern, ehe die ersten Boni an die Gemeinden fließen. Weil nur sechs Jahre später alles schon wieder vorbei sein soll, fragt sich ohnehin, wie viele Gemeinden sich für den Klimapakt interessieren werden. 

Peter Feist
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