kino

Wenn ich ein Turnschuh wär

d'Lëtzebuerger Land du 06.08.2021

Die scheidende australische Direktorin des MUDAM Suzanne Cotter, wird vor allem in Erinnerung bleiben, wie sie sich Wim Delvoyes Kapelle entledigt hatte. Der Schlagabtausch der beiden, das mediale Brimborium und question parlamentaire des kunstaffinen Fernand Kartheiser - alles durchaus filmreif. Ein anderes Kunstwerk Delvoyes inspirierte nun die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania für ihren Film The Man Who Sold His Skin.

Der titelgebende Mann ist Sam Ali. Schwerverliebt gesteht er seiner eigentlich schon vergebenen Adeer in aller Öffentlichkeit seine Gefühle und den Wunsch, sie zu heiraten. Diese klimaktische Geste läutet im amerikanischen Hollywoodkino klassisch das Happy End ein - hier muss sich Sam Ali jedoch auf ein Stelldichein mit den Behörden einstellen. Kurzerhand flüchtet er in den Libanon und wuselt sich mehr schlecht als recht durch den Alltag. Während er eines der etlichen Büffets einer Vernissage uneingeladen heimsucht, trifft Sam Ali auf den exaltierten belgischen Künstler Jeffrey Godefroi. Dieser verspricht ihm Papier zu verschaffen, die ihm einen legalen Aufenthalt in Brüssel erlauben. In der belgischen Hauptstadt wohnt auch seine Angebetete mit ihrem glatten Diplomatenmann. Für sie eine pragmatische Entscheidung, da die Situation ein Leben in Syrien unmöglich macht. Godefrois Angebot kommt jedoch mit einer Bedingung. Sam Ali muss seinen Rücken hergeben, vom Künstler tätowieren lassen und sich in Museen zur Schau stellen. Das Tattoo: ein Schengen-Visum.
„Über euer Scheiß Mittelmeer / Käm‘ ich, wenn ich ein Turnschuh wär / Oder als Flachbild-Scheiß / Ich hätte wenigstens ein‘ Preis / Es gäb‘ für uns kein Halten mehr / Wir kämen immer nur schneller her / Ich seh‘ die Waren zieh‘n, ohne zu flieh‘n gehen sie an Land / Gehen sie an Land“, hieß es schon vor 15 Jahren bei den Goldenen Zitronen in einem ihrer am präzisesten observierten Song Wenn ich ein Turnschuh‘ wär. Ähnlich wie die Goldies hat sich Kaouther Ben Hania für The Man Who Sold His Skin - immerhin Oscar-nominiert und Venedig-prämiert - für eine Reflexion zum Thema Mensch als Ware entschieden. Oder Mensch als Kunstware. Ob und welchen Unterschied es in dieser Hinsicht gibt, wenn von Kunst die Rede ist, ist durchaus von Interesse. Wim Delvoye hat diese Diskussionen im mehr oder weniger geschlossenen Kunstbetrieb losgetreten, als er den Rücken eines Mannes namens Tim Steiner tätowiert hat und dieser als Gesamtkunstwerk „TIM“ in Galerien und Museen ausgestellt wurde - momentan übrigens im tasmanischen Australien, wo sich Tim/TIM letztes Jahr auch während der Corona-bedingten Schließung des Museums (und ohne Aufforderung der Direktion) an seinen Platz begeben hat. Die beiden lebenden Kunstwerke mögen zwar ihre Haut verkauft haben, aber sicherlich nicht ihre Seelen. Im Film bettet die Regisseurin Ben Hatia dieses an und für sich schon abendfüllende Thema vor den Hintergrund des Syrien-Konfliktes ein und dekliniert das Resultat als romantische Komödie.

Nichts spricht gegen ein solches Sammelsurium an Ideen und dramaturgischen Vorschlägen. The Man Who Sold His Skin ist auch deswegen interessant, weil es der erste Film ist, der einem tunesischen Film und der ersten muslimischen Regisseurin die Oscar-Nominierung gebracht hat. Die Nominierung bleibt letztlich jedoch eine kulturpolitische. Gegen Vinterbergs Druk oder Quo Vadis, Aida? oder Collectiv hatte dieser Film von vornherein keine Chance. Das Problem von The Man Who Sold His Skin liegt darin, dass der fertige Film nicht der Dringlichkeit der überbordenden Ideen am Ursprung des Filmes gerecht wird. Ganz im Gegenteil versinkt Ben Hadias Drehbuch langsam, aber sicher in einer explikativen Suppe aus Kommentaren zu menschenverachtenden Migrationspolitik des Westens und dem nihilistisch-zynischen Kunstbetrieb. Und der Schlussfolgerung, dass Letzteres doch nur der verlängerte Arm des Abendlandes ist. Die Schauspieler/innen versuchen, nicht am studentischen Gestus des Drehbuches zu ersticken. Hier und da leuchten sie in unvorhersehbaren Momenten auf. Sei es zum Beispiel Yahya Mahayni, der als Sam Ali mit einer ungeschliffenen, naiven Energie den ganzen Film auf seinen Schultern tragen muss. Dea Liane muss hingegen die damsel in distress für ihren Kollegen spielen und Koen De Bouw den fast mephistophelischen James Bond-Bösewicht ähnlichen Künstler. Wenn Drehbuch, Kameraarbeit und Regie am naturalistischen Ernst hängen bleiben, fallen die wenigen komödiantischen Versuche flach und die Überzeichnungen, wie das Porträt des Künstlers und der Kunstwelt, fast sogar peinlich aus. Der Fehler liegt nicht bei den Schauspieler/innen.

Suzanne Cotter geht, Wim Delvoye bleibt, Le tatoué mit Jean-Gabin und Louis de Funès war schon immer da und The Man Who Sold His Skin kommt leider nicht vom (tätowierten) Fleck.

Tom Dockal
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