D’Land: Vor etwas mehr als zwei Jahren ging das Lëtzebuerger Journal online. Wie lautet Ihr bisheriges Fazit?
Lynn Warken: Es gibt eine Klientel. Und dass es möglich ist, neue journalistische Formate zu entwickeln, die Anklang finden, dass also Podcasts, Multimedia und Videoformate gleichermaßen gut ankommen. Das ist schön.
Melody Hansen: Wir haben unsere Nische gefunden. Ich sehe das Journal als komplementär zur luxemburgischen Medienlandschaft. Das heißt, dass man bei uns nicht seine daily news findet, dafür gibt es genug andere gute Medien, sondern eher, dass man mehr über verschiedene Themen erfährt, aus so vielen unterschiedlichen Perspektiven wie möglich. Dafür nehmen wir uns Zeit. Draußen hat man mittlerweile verinnerlicht, was wir machen.
Letzte Woche wurde der Direktor Daniel Nepgen von Ihnen, Lynn Warken, ersetzt. Vorher waren Sie für den Content verantwortlich. Wie kam es zu diesem Wechsel?
LW: Wir kommen jetzt in eine neue Phase, in der andere Kompetenzen gebraucht werden. Mit einem MBA im Medienmanagement bin ich dafür die richtige Person. Daniel Nepgen war äußerst wichtig für den radikalen Wandel von Print auf digital, den ich strategisch begleitet habe. Wir haben nicht von Anfang an geplant, dass ich das übernehme, das hat sich so ergeben. Daniel Nepgen wird uns nicht ganz verlassen, sondern in den Verwaltungsrat gehen. Als neue Direktorin werde ich keine vollständig neue Strategie entwickeln, sondern eher nachjustieren.
Nach genau 75 Jahren Bestehen hat das Journal nun eine weibliche Doppelspitze. Der Medienpluralismusmonitor bestätigt es: In Luxemburg ist das immer noch eine Ausnahme.
LW: Auf der einen Seite denkt man, cool, female leadership. Auf der anderen finde ich es irgendwie traurig, dass das noch ein Event ist. Ich finde, wenn jemand in einer solchen Position sitzt, soll er oder sie Türen für andere aufmachen. Wir netzwerken mit anderen Frauen, damit diese sichtbarer werden.
MH: Wir sind da, um es anderen einfacher zu machen, um das Ganze zu entzaubern. Es ist keine Hexerei, auf einem solchen Platz zu sein. Auch wollen wir zeigen, dass es verschiedene Arten von Führungsstilen gibt.
LW: Ich finde es wichtig, den Thomas-Kreislauf infrage zu stellen. Die Praxis, dass ein Thomas am liebsten einen anderen Thomas einstellt, also Menschen eher andere, die ihnen ähnlich sind, befördern.
MH: In unseren Artikeln wollen wir Diversität zeigen. Das heißt nicht, dass es immer hinhaut. In Bereichen wo Frauen eher unterrepräsentiert sind, etwa in der Forschung, hat man oft am Ende trotzdem einen Mann als Gesprächspartner. Wichtig ist, aktiv daran zu arbeiten.
Welche Frauen zählen denn zu Ihren Vorbildern im Medienbusiness?
LW: Was die Businessperspektive angeht, bin ich ein großer Fan von Lea-Sophie Cramer, die das Unternehmen Amorelie mitgegründet hat. Sie ist ein Vorbild dahingehend, dass sie Sexspielzeug aus der Schmuddelecke genommen und daraus ein erfolgreiches Geschäftsmodell gemacht hat. Wie sie das gemacht hat, etwa ihre Marketingkampagne, finde ich sehr beeindruckend.
MH: Bisher hatte ich in der Arbeitswelt immer Menschen vor mir sitzen, die einen traditionell eher männlichen Führungsstil hatten: hart und unemotional. Ich dachte nicht, dass ich eines Tages eine solche Position haben könnte, weil ich empathisch bin und gerne mit Menschen spreche. Als ich hier angefangen habe, hat Lynn mir gezeigt, dass man nicht hart sein muss, um erfolgreich ein Unternehmen zu leiten. Damit hat sie auf mich einen großen Einfluss gehabt, dass es auch anders geht, dass ich auf mich und meine Art vertrauen kann.
Sie benutzen das Wort gründen. Ist es eine Start-up Mentalität, die das Journal nun prägt?
LW: Der Spirit ist vielleicht ähnlich. Wir sind ein kleines Team, wir haben Lust, etwas Neues zu machen. Wir optimieren nun die Prozesse, die sich seit zwei Jahren etabliert haben. Ich habe lange für Eldoradio gearbeitet, und was ich davon mitgenommen habe, ist die Freude an Teamarbeit.
MH: Unsere Trial-and-error-Mentalität schon. Ganze Konzepte werden auch mal über Bord geworfen, wenn etwas nicht funktioniert. Wir hinterfragen uns.
Der Geschäftsbilanz von 2022 nach geht es Ihnen finanziell besser als zuvor. Reporter.lu, das andere luxemburgische Online-Medium, publiziert seine Abonnentenzahl, Sie nicht. Wieviele haben Sie mittlerweile?
LW: Das kommunizieren wir im Moment nicht.
Warum nicht?
LW: Das haben wir so entschieden. Bis Ende 2023 wollen wir 2 000 Abonnenten haben. Unsere Finanzierung setzt sich aus der Pressehilfe, den Abonnenten und strategischen Partnern zusammen. Dieses Jahr haben wir mehr strategische Partner als im Jahr zuvor, aber wir haben auch stetig Zuwachs an Leser/innen – der Plan geht also auf. Aber wie viele genau, das behalten wir derzeit für uns.
MH: Das ist eine Entscheidung, die von Lynn, Daniel und mir getroffen wurde. Was nicht heißt, dass wir sie nicht mal revidieren werden.
LW: Dem TNS Ilres Plurimedia nach haben wir ein Publikum von 6 100 täglichen Besuchern.
Es gibt im Journal die Möglichkeit, Artikel auf Französisch, Englisch und Deutsch zu lesen. Was wissen Sie über die sozioökonomischen Hintergründe ihrer Leserschaft? Sind es Expats?
LW: Die meisten Artikel werden immer noch auf Deutsch gelesen. Französisch und Englisch finden in etwa gleich viel Anklang.
MH: Die Idee bestand darin, unsere Arbeit einem größerem Publikum zu öffnen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal für uns, den gleichen Text in zwei anderen Sprachen zur Verfügung zu haben. Als ich meine Texte auf Deutsch schrieb und französische Gesprächspartner hatte, fand ich es schade, dass die es nicht lesen konnten.
Gibt es eine Überschneidung zwischen den ehemaligen Print-Abonnenten und dem heutigen Publikum?
LW: Nein, sehr wenig. Wir haben ein neues Publikum generiert.
Es gibt wenig Daten zur Online-Mediennutzung in Luxemburg. Sie müssen also eher intuitiv Entscheidungen treffen.
LW: Wir analysieren den internationalen Medienmarkt sehr genau. Etwa den Podcast-Markt in Deutschland: Welche Elemente kann man nach Luxemburg holen, was könnte hier funktionieren? Die Mediennutzung hat sich auch hier verändert. Medien werden verstärkt über Smartphone und Tablet konsumiert, und durch die Zeitknappheit vieler Menschen haben auch Podcasts an Beliebtheit gewonnen. Das liegt daran, dass es genau wie Radio ein Begleitmedium ist – man hört sie beim Aufräumen oder Autofahren.
MH: Als ich kürzlich vor Schüler/innen saß, um ihnen den Beruf des Journalisten zu erklären, lautete das Feedback, dass sie Medien eher vermeiden, weil es ihnen nach der Nutzung oft schlechter geht. Studien zeigen, dass Menschen in Krisenzeiten der Nachrichten überdrüssig sind. Unser Ansatz liegt darin, dass die Menschen nach der Lektüre eines Artikels nicht denken, alles sei schlecht. Natürlich auch nicht, alles sei super – konstruktiver Journalismus ist mehr als das.
In Ihren Leitlinien steht: „Das Journal will deshalb nicht mahnend den Finger heben, sondern Brücken bauen. Lösungen suchen, statt nur Probleme aufzuzeigen und konstruktiv sein.“ Warum braucht man eine solche Perspektive in Luxemburg?
MH: Über viele Themen wird nicht genug geschrieben oder recherchiert, etwa über die Menopause oder Endometriose. Wir wollen Aufmerksamkeit schaffen für solche Themen, und Betroffenen das Wort geben. Das sind jetzt nur zwei Beispiele, aber das Gleiche gilt für sehr viele Sujets.
Aber was halten Sie dem Vorwurf entgegen, nicht politisch genug zu sein? Immerhin wird es immer wichtiger, Position zu beziehen.
MH: Ich traue den Leser/innen zu, sich selbst ein Bild zu machen. So viel Vertrauen habe ich in die Menschen in diesem Land. Dem Vorwurf, dass wir nicht politisch seien, kann ich nur entgegenhalten, dass wir sehr viele gesellschaftspolitische Themen behandeln. Wir machen politische Aussagen, egal ob es um Abwasser, Menopause oder Psychotherapie geht. Wir gehen zwar nicht den Weg der Kommentare oder Leitartikel, den andere Medien gehen, auch wenn das ein legitimer ist. Unsere Journalist/innen sollen Zeit haben, zu recherchieren und differenzierte Positionen zusammenzubringen – die Meinungsbildung überlassen wir unseren Leser/innen.
Sie wollen in Zukunft noch mehr auf Podcasts setzen. Der Markt dafür füllt sich stetig. Gibt es hierzulande dafür überhaupt eine kritische Masse?
LW: Wir wollen nicht nur Podcasts machen. In Luxemburg gibt es jedoch noch viel Potenzial, was diese Form angeht, weil es eine reale Veränderung in der Mediennutzung gibt. Sowohl meine Mutter als auch Schüler hören Podcasts. Es hat hier im Land einfach etwas gedauert, bis sich das durchgesetzt hat, und es fehlt durchaus noch an nationalen Perspektiven.
Sie sprachen vorhin von strategischen Partnern. Auf Ihrer Webseite kann man nun sponsored content, etwa ein Podcast gemeinsam mit der Spuerkeess, hören. Wie sichern Sie dahingehend die journalistische unabhängige Berichterstattung?
LW: So wie das bei vielen anderen Medienhäusern der Fall ist, wirken keine Journalisten mit Pressekarte bei den gesponserten Beiträgen mit, das heißt es gibt keine Berührungspunkte. Die finanzierten Inhalte werden von unseren drei Angestellten ohne Pressekarte oder von Freelancern produziert. Der Bereich existiert getrennt von der Redaktion.
Besteht das Ziel immer noch darin, unabhängig von diesen Inhalten zu werden?
LW: Es ist bisher Teil des Geschäftsmodells gewesen. Langfristig wollen wir allerdings weniger mit ihnen zusammenarbeiten. Wenn wir mit dem Fonds national de la recherche kollaborieren, nehmen die Journalist/innen der Redaktion nicht teil. Und diese Inhalte sind auch immer umsonst verfügbar.
Vor zwei Jahren wurde der Paragraf über das Journal aus den DP-Statuten gestrichen. Trotzdem haben bis auf eine Person alle Mitglieder des Verwaltungsrats eine Parteikarte. Ihr Hauptaktionär ist zu 63 Prozent die DP-Stiftung Centre d’études Eugène Schaus. Wie bleibt Ihre Berichterstattung im Wahlkampf unabhängig?
MH: Wir sind unabhängig. Die einzige Aussage, die ich diesbezüglich vom Verwaltungsrat bekommen habe, und auch die einzige, die ich akzeptiert hätte, war: Wir werden euch nicht sagen, was ihr als Redaktion machen sollt. Das ist mir sehr wichtig, und das weiß der Verwaltungsrat auch. Im Wahlkampf wollen wir alle Parteien zu Wort kommen lassen, je nachdem wie groß sie sind. Eine Partei, die gerade gegründet wurde und nicht ganz so groß ist, werden wir vielleicht nicht ganz so oft featuren, aber das Gleichgewicht ergibt sich ganz natürlich. Ich denke, die DP ist bei uns nicht überrepräsentiert.
Die Frage der Unabhängigkeit stellt sich aber nicht nur quantitativ, sondern auch wie berichtet wird.
MH: Absolut. Aber weil wir uns bewusst sind, dass wir immer noch mit der DP assoziiert werden, geben wir uns noch mehr Mühe, niemanden vorteilhaft zu behandeln.
Künstliche Intelligenz ist uns auf den Fersen. Wie kann der Beruf des Journalisten in einem Meer an Content Ihrer Meinung nach überleben?
MH: Was ChatGPT noch nicht kann, ist jemanden zuzuhören und versuchen, die Person zu verstehen, und dann zu schauen, wer es vermag, noch etwas zur Debatte beizutragen. So intelligent ist die Künstliche Intelligenz noch nicht, das Menschliche in den Vordergrund zu stellen. Darauf wollen wir uns auch in Zukunft konzentrieren.
Chronologie
Das Lëtzebuerger Journal wurde 1948 gegründet und ging aus der Obermoselzeitung hervor. Als Parteiorgan der DP stand das Medium bis vor zwei Jahren in den Statuten der Partei. 2012 kam es bereits zu einem Relaunch der liberalen Zeitung, die ab dann bei Editpress gedruckt wurde. Die finanzielle Lage der Tageszeitung verschlechterte sich aufgrund des schwindenden Anzeigengeschäfts und der geringer werdenden Abonnentenzahl jedoch weiter. Am 1. Januar 2021 wurde die Printausgabe eingestellt, das Journal erscheint seitdem nur digital. Der Großteil der in drei Sprachen verfassten Artikel befindet sich hinter einer Paywall. Melody Hansen, Jahrgang 1992, hat nach einem Online-Journalismus Studium in Berlin als Lokalredakteurin für das Tageblatt gearbeitet. Seit der digitalen Umstellung ist sie Chefredakteurin des Lëtzebuerger Journal. Lynn Warken, geboren 1989, arbeitete mehr als zehn Jahre für den Radiosender Eldoradio als Moderatorin und später stellvertretende Programmchefin. Seit vergangener Woche ist sie Direktorin des Journal, wo sie vorher für den Content verantwortlich war.