Ein CSV-Parteitag bereitet sich und das Land auf Strukturreformen vor

Die 1,1 Millionen-Stimmen-Partei

d'Lëtzebuerger Land vom 24.03.2011

Zu jedem Jahresende muss Premier Jean-Claude Juncker im Fernsehen über die Zuunft des Landes und der Welt orakeln. In seinem Sylvester-­Interview vor drei Monaten hatte der Regierungschef das Wort „Reform“ gleich 17 Mal in den Mund genommen. Denn zwei Wochen zuvor hatte er zum Abschluss der in mehreren Akten aufgeführten Tripartite-Verhandlungen den Unternehmerverbänden versprochen, dass 2011 endlich die Strukturreformen durchgeführt würden, mit denen die inter­nationale Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe verbessert werde. Ver­gangenes Jahr waren diese Strukturreformen weitgehend am Widerstand der Gewerkschaften in der Tripartite gescheitert. Dieses Jahr soll nun, spätestens nach den Gemeindewahlen, Ernst gemacht werden.

Deshalb war der Parteitag der CSV am Samstag ganz darauf eingerichtet, die Parteibasis auf diese Reformen einzustimmen. Das große parteipolitische Rendez-vous des Jahres, die Gemeindewahlen, waren im Vergleich dazu ein Randthema; die überraschende Kapitulation von Fraktionssprecher Jean-Louis Schiltz durfte gar kein Thema sein. Nach der Generalprobe für ihre Kongressdelegierten am Samstag und weiteren Einzelheiten in Junckers Erklärung zur Lage der Na­tion in 14 Tagen will die CSV Ende April und Anfang Mai wieder mit oder ohne Juncker „on tour“ gehen, um auch die Wähler über Land zu überzeugen.

Für eine Volkspartei wie die CSV steht tatsächlich viel auf dem Spiel. Denn sie muss den Spagat zwischen Unternehmerforderungen und Gewerkschaftsängsten schaffen, den technokratischen Liberalismus der Euro-Zone durchsetzen, ohne ihre alle fünf Jahre nötige demokratische Legitimation aufs Spiel zu setzen. „Alles ändert sich in der Welt, im Land“, so Parteipräsident Michel Wolter, doch gleichzeitig besteht der ganze Geschäftsfundus der CSV darin, nichts als Sicherheit und Beständigkeit zu versprechen. Neben der Manipula­tion der automatischen Indexanpassung könnte sich ein Teil der Kernwählerschaft der CSV, Rentner und Beamte, besonders von der geplanten Rentenreform und der Gehälterrevision im öffentlichen Dienst bedroht fühlen.

Um diesen Eiertanz aufzuführen und die Partei auf die Strukturreformen einzuschwören, hatte sich die CSV am Samstag in dem dunkelgrauen Stahlsarkophag des Limpertsberger Tramsschapp eingebunkert. Und schreckte nicht einmal vor einem Rückgriff auf die in katholischen Kreisen nur mit Schaudern erwähnte Dialektik zurück.

Denn nachdem die Rechenschaftsberichte eilig abgehakt waren, kam als erster Generalsekretär Marc Spautz zu Wort. Der LCGB-Funktionär und Sohn des ersten Arbeiters, der es in der Rechtspartei bis ganz an die Spitze geschafft hatte, bürgte mit seinem Namen für das sozialpolitische Gewissen der Partei, die Interessenvertretung der kleinen Leute und die katholische Soziallehre. In ihrem Namen legte er allen bisherigen und künftigen Herolden der Wettbewerbsfähigkeit seinen Tribut zu Füßen, fand, dass bei den Renten „Anpassungen nötig“ seien und der öffentliche Dienst reformiert werden müsse, ohne die „verschiedenen Berufsstände im Land“ und damit auch in der Partei „gegeneinander auszuspielen“.

Finanzminister Luc Frieden habe Recht, so Spautz, wenn er den Staatsfinanzen „Stoßdämpfer“ verpassen wolle. Jene, die bei den Staatsausgaben sparen wollten, dürften nicht als „die Bösen“ dargestellt werden. Denn Pierre Dupong, dessen 125. Geburtsgag die Partei gerade gefeiert hatte, sei beides gewesen: ein bedeutender Sozialpolitiker und ein Finanzminister.

Nach der gewerkschaftsfreundlichen, die LSAP-Wähler interessierenden These war es an der unternehmerfreundlichen, die DP-Wähler einbindenden Antithese. Der neue Frak­tionssprecher Lucien Thiel stellte sich den zum Glück kaum mit historischem Wissen belasteten Parteitagsdelegierten als „Ordoliberaler“ vor und war „stolz“ darauf, dass er 15 Jahre lang als Bankenlobbyist zum „Wohl und Wohlstand des Landes“ beigetragen habe. Denn die Wirtschaft dürfe nicht bloß verteufelt werden, sie schaffe schließlich die Voraussetzung für die Sozialpolitik.

Und so warb Thiel, ebenso wie vor ihm Spautz, für die Gehälterrevi­sion im öffentlichen Dienst, mit der „das Leistungsprinzip ein wenig in den Vordergrund“ gerückt werde und die Beschäftigten des Staats Ziele vorgegeben bekämen. Vor allem solle das Lohnniveau beim Staat und in der Privatwirtschaft, „ohne jemandem wehzutun, ein wenig angepasst werden“. Die geplante Rentenrefom nannte er „einen intelligenten Mix“ aus Leistungskürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters und Beitragserhöhungen, so dass „ein jeder seines Glückes Schmied“ werden könne. Für „die nächsten 20 Jahre“ sei die Reform gut; was 2050 sei, könne heute sowieso niemand wissen, wies er verklausuliert die ersten Kritiken der Union des entreprises zurück.

Erfreulich fand Thiel auch, dass Finanzminister Luc Frieden bis 2014 den Haushalt wieder ins Gleichgewicht bringen wolle und die Verschuldung bei 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben solle, der Hälfte der laut Maastrichter Konvergenzkriterien zulässigen Verschuldung. Noch vor zwei Jahren habe sich Thiel mit dieser Forderung „in meiner parlamentarischen Krisenkommission nicht durchsetzen können“.

Wo sich Spautz und Thiel ebenfalls einig waren und sie auch Wolter unterstützte, das war in ihren Angriffen auf den Koalitionspartner. Denn während der Tripartite-Verhandlungen vor einem Jahr erwies sich die LSAP als unsichere Kantonistin, die tragisch zwischen OGB-L und CSV hin und her gerissen war. Gleich mehrere Redner betonten, dass nicht einmal die sozialistische Gesundheitsreform ohne die Hilfestellung des inzwischen zurückgetretenen Fraktionssprechers Jean-Louis Schiltz zum Gesetz geworden wäre – und nun mäkeln die Sozialisten bereits an François Biltgens und Octavie Moderts Bewertungssystem für Beamte herum.

Damit die LSAP der CSV bei den bevorstehenden Strukturreformen nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht, wollen die Christlich-Sozialen sie schon im Voraus massiv unter Druck setzen. Marc Spautz erinnerte den Koalitionspartner daran, dass er nur halb so viele Parlamentsmandate habe wie die CSV, welche „1,1 Millionen Stimmen“ erhalten habe, „mehr als LSAP und DP zusammen“. Mehrere Redner gaben auch zu verstehen, dass die LSAP noch bei der CSV in der Schuld stehe, weil Jean-Claude Juncker auf den Rücktritt von LSAP-Minister Nico Schmit verzichtet hatte. Lucien Thiel klagte, dass das Kräfteverhältnis in der Koalition „in letzter Zeit etwas umgekippt war“ und die LSAP „uns in die Waden gebissen“ habe. Und Michel Wolter forderte Wirtschaftsminister Jeannot Krecké auf, auf dem bevorstehenden LSAP-Kongress für Strukturreformen zu plädieren, statt anderen die Schuld zuzuschieben, als ob er mit nichts zu tun habe.

Nach der LCGB-These und der liberalen Antithese durfte Premier Jean-Claude Juncker erwartungsgemäß die alle Klassen und Stände im Land und in der Partei versöhnende Synthese liefern. Dazu suchte er zuerst das Vertrauen des Parteivolks, stellte sich noch einmal als Arbeitersohn und Mann aus dem Volk dar, der als Pre­mierminister in 49 Jahren so viel verdiene wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank in einem Jahr. Er wetterte gegen die Bonuszahlungen der Banken, klagte, dass „die Leute dem System nicht mehr trauen“ und nannte das „Kompetitivitätsgesäusel des Patronats zum Teil ungenießbar“. Schließlich sei Luxemburg nach Zypern das Land mit der längsten Arbeitszeit, was die Stundenlöhne entsprechend senke. Wettbewerbsfähig sei ein Land zudem nicht bloß durch niedrige Löhne, sondern auch durch seine „Kultur, Bildung, Forschung“ und Infrastrukturen.

Um dann in die höheren Gefilde der Währungspolitik aufzusteigen, die mit Stabilitätskriterien, Europäi­schem Semester und Pakt für den Euro den Hebel für die Durchsetzung der Strukturreformen, wenn nicht gar eines neuen Sozialmodells liefern soll. Juncker gab den Unternehmerverbänden dann doch noch Recht, dass Luxemburg ein Wettbewerbsproblem habe, nämlich die Inflation. Sein Vorschlag, die Erdölpreise aus dem Indexwarenkorb zu streichen, zeige heute seine Berechtigung. Angesichts der steigenden Erdölpreise sparten die Betriebe jetzt ein Prozent dadurch, dass im Mai die nächste Indextranche fällig, sie aber erst im Oktober ausgezahlt werde. Für die Indextranchen, die zwischen Oktober 2011 und Oktober 2012 fällig werden, sollen sich die Sozialpartner zu einer neuen Indexmanipulation zusammensetzen, wobei die Regierung im Staatshaushalt für 2012 „Stützmaßnahmen“ vorsehen könnte.

Am meisten schimpfte der Regierungschef aber gegen die Beamtengewerkschaft CGFP, die es sogar dann ablehne, über Reformen zu diskutieren, wenn diese „im Wahlprogramm, im Regierungsprogramm stehen“. Wenn alles sich ändere, dürfe nicht an einer Stelle alles unverändert bleiben. Schließlich zeige sich heute, dass er schon einmal Recht gehabt habe, als er vor der Rentenmauer und dem 700 000-Einwohnerstaat gewarnt habe. Wobei die Pensionsreform nun dadurch erschwert werde, dass die DP die Renten zwischen 1999 und 2004 bloß erhöht habe.

Um die Synthese perfekt zu machen, rief der Premier am Mittwoch noch schnell eine Pressekonferenz zusammen und betonte, dass der CSV-Kongress nicht gegen die LSAP gerichtet gewesen sei.

Romain Hilgert
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