Dracula

Vom Tanz der Vampire

d'Lëtzebuerger Land vom 16.03.2012

Der Erfolg von Claude Mangens Inszenierung des Dracula-Stoffes mag weniger auf die literarische Vorlage des Iren Bram Stoker aus dem Jahre 1897 zurückzuführen sein. Bekanntheit erlangte der Stoff, der an die historische Figur Vlad Dracul III in der Walachei des 15. Jahrhunderts angelehnt ist, vor allem durch die zahlreichen sinnlosen und sinnträchtigen Verfilmungen des 20. Jahrhunderts. Aus dem historischen Fürsten entwickelte Stoker einen späten Gothic Novel, in dem der Blut saugende Untote mit Hilfe des Notars Harker in die Londoner Gegend ziehen möchte. Dutzende Regisseure nahmen sich des Motives an, bescherten Bela Lugosi und Christopher Lee Weltruhm.

Mangens Inszenierung im Escher Theater wird getragen vom Konzept der künstlerischen Vielseitigkeit. Klassisches Sprechtheater wird gepaart mit Videoprojektionen, Gesang und Tanzeinlagen. Der Ablauf wird mit einigen Handgriffen des Illusionisten David Goldrake geschmückt, der zugleich die Titelrolle übernimmt. Neben dem Stoff wird auch der Magier als Kassenmagnet fungiert haben. Allerdings – und damit sei die erste Schwäche der Inszenierung angeschnitten – sind die eigentlichen Illusionen des Bühnenstars wenig aufregend. Schnippend zündet er Kerzen an und zieht die Fischer wie von Geisterhand bewegt vor sich her. Die eigentliche Leistung erbringen dabei die Fischer selbst. Jeder Amateurschauspieler kann sich aus dem Bühnenhimmel an Drahtseilen hinabführen lassen. Die ästhetischen Videoeinspielungen hingegen, die die Inszenierung mit Schwarz-Weiß-Schauer versehen, stammen von Jean-Paul Frenay und bereichern die Produktion atmosphärisch. Auch die Sprechleistungen des Bühnenstars erlauben nur einen Schluss: Schuster, bleib bei deinen Leisten, bleib bei deinen Shows!

Mehr noch stört die schauspielerische Leistung von Yannick Géraud, dessen allzu unnatürlich und vorgetragen klingendes Englisch und überschaubare Mimik-Palette die erste Hälfte von Dracula beeinträchtigt und eher an ein Vorsprechen erinnert. Die Sprechanteile der beiden Hauptdarsteller geraten in der zweiten Hälfte auffällig in den Hintergrund. Die Produktion kommt ab dann in Fahrt und gewinnt maßgeblich an Qualität.

Die haarsträubende Fehlbesetzung beider männlicher Hauptrollen sollte jedoch keineswegs über die Stärken der Produktion hinwegtäuschen: Im Gegenzug zu den eben erwähnten darstellerischen Leistungen wirkt die kraftvolle Interpretation von Fred Frenay als niederländischer Vampirjäger Van Helsing erfrischend. Frenay, der unter anderem in Die Kassette von Carl Sternheim im Kapuzinertheater zu sehen war, setzt der Produktion mit seiner überaus natürlich wirkenden Vielsprachigkeit, seiner raumfüllenden Stimme und einer sichtlich ironisierten Interpretation der Van-Helsing-Figur seinen Stempel auf. Die Inszenierung, die bis zu seiner Erscheinung vor allem aus geplanten Einzelszenen bestand, weist nun einen roten Faden auf.

Der zweite Höhepunkt findet sich in den sehr fantasievollen tänzerischen Szenen inmitten eines atmosphärisch expressiven Bühnenbildes, für dessen Gestaltung Do Demuth verantwortlich zeichnet. Sylvia Camarda als Lucy, die zum Vampir mutiert, und Samuel Meystre als Harkers wahnerfüllter Vorgänger Renfield drücken ihre Figur vor allem mit dem Mittel des modernen Tanzes aus. Irrwitzig wirkt Meystres paranoider Versuch, Spinnen und Fliegen zu fangen. Auf zwei, drei Quadratmetern eingegrenzt, weiß er mehr mit den Mitteln seines Körpers auszudrücken als so mancher Darsteller, dem die gesamte Bühnenbreite zur Verfügung steht. Die auch in Stokers Roman gewichtete Komponente der sündhaften, weiblichen Versuchung bringt Sylvia Camarda tänzerisch zur Sprache, vermischt konvulsivisches Zucken mit lasziv-erotischer Spannung: ästhetisch herausragend und subtil zugleich.

Summa summarum ist Mangens fast dreistündiger Dracula eine zu ambi-tionierte Arbeit. Sicherlich ist das Engagement klingender Namen kommerziell von Belang, die Schlange vor der Kasse führte immerhin zu einer 20-minütigen Verschiebung der Vorstellung. Es hätte trotzdem einer überzeugenderen Mimik bedurft. Dracula ist rückblickend eine Produktion, deren erste Hälfte einschläfernd wirkt, um im weiteren Verlauf von Fred Frenay und der Ausdrucksform des modernen Tanzes gerettet zu werden.

Dracula von Bram Stoker; dramatische Bearbeitung und Inszenierung von Claude Mangen; Assistenz von Marc Rettel; Choreographie von Bernhard Baumgarten; Illusionen von David Goldrake; Bühne von Do Demuth; Kostüme von Katharina Polheim; Film und Videos von Jean-Paul Frenay; Musik von Michael Zeches; dargestellt von David Goldrake, Yannik Géraud, Larisa Faber, Sylvia Camarda, Luc-Emmanuel Betton, Fred Frenay und Samuel Meystre; eine Produktion des Escher Theaters;. Keine weiteren Vorstellungen.
Claude Reiles
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