Die hiesige Landesgröße diktiert einen anderen Umgang der Menschen miteinander. Das sollte nicht bedeuten, dass es einen grundlegend anderen Standard im Umgang mit Macht und deren Missbrauch gibt. In der Causa Meisch zeigt sich Luxemburgs modus operandi vorbildlich. Dabei ist die Situation nicht nur für den Bildungsminister verzwickt, sondern auch für Medienschaffende. Sie verpflichten sich dazu, über Dinge zu schreiben, die sie überprüfen können.
Seit einigen Wochen sind Journalisten der Fährte eines Gewaltvorwurfs gegen den liberalen Bildungsminister nachgegangen. Eine Influencerin, die zu den letzten Gemeindewahlen für die DP kandidierte, hatte in einem Video erklärt, gehört zu haben, wie Meisch sich mit einer Frau stritt. Seiner Begleitung habe Meisch gesagt: „Ja, ich habe dich geschlagen, und du hast es verdient.“ Der Quotidien lehnte sich als erster aus dem Fenster, schrieb am vergangenen Donnerstagnachmittag in einer mittlerweile von der Homepage heruntergenommenen Version des Artikels (zunächst, ohne den Namen des Ministers zu nennen): „Cette affaire est liée bien sûr à l’intimité du ministre qui aurait tendance à multiplier les conquêtes et ça commence méchamment à se voir.“
Allerdings will niemand öffentlich bestätigen, was „niemanden etwas angeht“. Premier Luc Frieden (CSV) wiederholte, ein Regierungsmitglied habe sich in jeder Situation vorbildlich zu verhalten. Völlige Rückendeckung hört sich anders an. Die Gewaltvorwürfe haben der Minister ebenso wie die betroffene Frau dementiert. Fest steht, dass sich Claude Meisch Anfang Januar mit einer hohen Beamtin seines Bildungsministeriums in einem öffentlichen Lokal getroffen hat, „in einem privaten Kontext“, wie er sagt. Fest steht auch, dass diese Beamtin im Juni 2022 zum höchsten Grad (Premier Conseiller de Gouvernement) befördert wurde.
Als der Abgeordnete Marc Lies (CSV) am Dienstag im RTL-Radio gefragt wurde, ob diese Affäre einen weitereren Fehlstart für Schwarz-Blau bedeute, antwortete er, der Vorfall sei Meischs Privatleben zuzuordnen. Das stimmt nicht ganz. Immerhin findet hier eine Vermischung von Privatleben und Regierungstätigkeit statt, die ihresgleichen sucht. Wie kann es dazu kommen, dass eine Auseinandersetzung zwischen einem Minister und einer ihm unterstellten Beamtin in der Öffentlichkeit so entgleist, sie derart „emotional“ und „heftig“ (dixit Claude Meisch) geführt wird, dass – mindestens – eine Kaffeetasse herunterfällt? Und wie kann es sein, dass nach der Androhung einer Klage wegen Diffamierung seitens Meischs und der Beamtin gegen die Influencerin die Geschichte nun ad acta gelegt werden soll, weil sich die beiden Involvierten „rechtliche Schritte“ vorbehalten? Als wären damit alle Fragen beantwortet.
Dem im März 2022 aktualisierten Code de déontologie nach verpflichten sich sowohl hohe Beamt/innen als auch Regierungsmitglieder zu Integrität. Insbesonders Regierungsmitglieder sollen ihr Mandat in einem „esprit d’intégrité, de désintéressement, de transparence, de diligence, d’honnêteté, de responsabilité et d’impartialité“ ausüben. Artikel 21 sagt darüber hinaus: „Les membres du Gouvernement sont en fonction en permanence.“ Besteht ein Interessenskonflikt, sind sie gehalten, ihn sofort mitzuteilen und das Nötige zu tun, um ihn zu lösen. Der Quotidien schrieb vergangenen Donnerstag, die Geschichte könne vielleicht der „Beginn des Endes“ von Meischs Karriere bedeuten. Stattdessen geht es offenbar mit business as usual weiter.