Die DP ist in der Rentenfrage vorsichtig. Sie sorgt sich um ihr Profil nach zehn Jahren Blau-Rot-Grün

Sozialliberol, absolutt

DP-Abgeordnete  am Dienstag in der Kammer. Ganz links Fraktionspräsident Gilles Baum. Zweiter von links in der oberen Reihe:  Gé
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 13.12.2024

„Et gëtt an eisen Ae wierklech kee Grond, fir haut net schonn ze soen: Schluss mam Ajustement, Schluss mam 13. Mount – de Complément de fin d’année mengen ech domadder –, och wann dat selbstverständlech wéi deet.“ Sagte der DP-Abgeordnete Carlo Wagner, ehe am 5. Dezember 2012 die Kammer über die letzte große Pensionsreform abstimmte. Die DP war dagegen, die Reform ging ihr nicht weit genug. Wagner war mit seiner Fraktion überzeugt, „dass mer haut scho sollen an de Speck vun eisem Pensiounssystem schneide goen, éier mer an e puer Joer, an d’Prognose weisen dat jo eendeiteg, musse richteg an d’Fleesch schneide goen“.

Zwölf Jahre später ist die DP anders gesinnt. Schluss mit dem ajustement, der Anpassung der bestehenden Renten an die Reallohnentwicklung? Nicht mit den Liberalen. Für ihre Kammerfraktion laute eine Prämisse in der Rentendebatte, „wer schon in Pension ist, soll behalten, was er hat“, erklärt Fraktionspräsident Gilles Baum dem Land. „Per Deduktion“ schließe das die Rentenanpassung ein.

Im historischen Rückblick ist das eine beachtliche Positionsänderung. Dass die Rentenanpassung mindestens halbiert werden muss, wenn die Ausgaben der Rentenkasse ihre Einnahmen aus Beiträgen übersteigen, steht im Reformgesetz von 2012. Carlo Wagner warf der CSV-LSAP-Koalition vor zwölf Jahren vor, sie nicht gleich abzuschaffen, sei „Angscht virum Wieler a soss warscheinlech guer näischt“. Treibt heute die Angst vor dem Wähler die DP um, weil der tipping point von Ausgaben und Einnahmen noch in dieser Legislaturperiode erreicht werden könnte? Für Gilles Baum ist die Position zu den Renten eine Frage „unserer sozialliberalen Linie“. An der halte die DP „absolut“ fest. Ihre beiden anderen Prämissen seien „die Aufbesserung der kleinen Renten“ und der Erhalt der „Generationengerechtigkeit“.

Letztere hatte im August schon Gérard Schockmel, der rentenpolitische Sprecher der Fraktion, in einem 100,7-Interview erwähnt. Man konnte meinen, die Kürzung des ajustement sei damit gemeint. Doch in „Generationengerechtigkeit“ lässt sich viel hineininterpretieren, solange die Regierung keinen konkreten Vorschlag gemacht hat, wie das System zu ändern sei. Im Wahlprogramm 2023 der DP stand, „falls nötig“ würden „Anpassungen zur Absicherung des staatlichen Rentensystems und der Generationengerechtigkeit“ vogenommen. Vorher aber erfuhr man: „Unsere Rentenrücklagen sind aktuell noch gut gefüllt. Im Zeitraum 2013-2020 haben sich die Reserven um 88% erhöht. Um sichere Renten auch in Zukunft zu gewährleisten, werden wir die Einnahmen und Ausgaben kontinuierlich analysieren.“

Weil sie sowieso jedes Jahr analysiert werden, las sich das nicht wie „Handlungsbedarf“. Sondern wie die fortgesetzte Hoffnung, dass die Konjunktur weiterhin gut genug bleiben werde, um das Rentensystem politisch nicht anfassen zu müssen. Die CSV hielt es auch so: 2018 hatte sie mit Spitzenkandidat Claude Wiseler Wahlkampf gegen Wachstum gemacht; inklusive einer Rentenreform, die in dem damals „positiven ökonomischen Kontext“ vorbereitet werden sollte. Mit Luc Frieden machte sie 2023 Wahlkampf für Wachstum. Eine Rentenreform anzukündigen, wäre schwierig gewesen. Schließlich wollte die CSV als Volkspartei mam neie Luc wahrgenommen werden und nicht als déi mam President vun der Handelskummer, dem man hätte glauben können, dass mehr Wachstum unter anderem eine Rentenreform bedinge, die einen langfristig wettbewerbsfähigen Beitragssatz garantiert.

Dass die CSV damit ein latentes Glaubwürdigkeitsproblem hat, das Sozialministerin Martine Deprez mit der „breiten Konsultation“ mildern und die Verantwortung auf viele Akteure verteilen soll, ist für die DP ein Anlass mehr, zu den Renten vorsichtig zu agieren. Die zwei bei den Kammerwahlen 2023 hinzugewonnenen Sitze können schließlich nicht nur etwas mit Xavier Bettel zu tun haben, sondern auch mit dem Profil, das die DP in den zehn Jahren Koalition mit LSAP und Grünen erworben hat. Also lässt sie der CSV den Vortritt, sich bei OGBL, LCGB und CGFP unbeliebt zu machen. Dass die Staatsbeamtengewerkschaft der DP anscheinend besonders übelnimmt, bei den Renten einen „Handlungsbedarf“ zu sehen, den sie im Sommer 2023 bei der Beantwortung von „Wahlprüfsteinen“ der CGFP noch verneinte, ist ein Hinweis auf den elektoralen Kostenpunkt einer Rentenreform.

Denn die DP war, was die Altersvorsorge betrifft, nicht immer sozialliberal eingestellt, sondern während langer Zeit opportunistisch und klientelistisch. Im Wahlkampf 1999 versprach sie zunächst, mit ihr an der Regierung werde das Übergangsregime für pensionierte Staatsbeamte wieder rückgängig gemacht. Als sie erkannte, dass die CSV das nicht akzeptieren würde, änderte sie ihr Angebot auf 70 Prozent der letzten Bezüge als Pension für Beamte, die ihren Dienst nach dem 1. Januar 1999 angetreten hatten – anstelle einer Pension auf dem Durchschnitt der Beiträge wie im Privé. Im Privatsektor wiederum wollte sie für Berufsanfänger das Kapitaldeckungsverfahren einführen. So werde „die Wirtschaft nicht beeinträchtigt“, erklärte Spitzenkandidatin Lydie Polfer (d’Land, 23.10.1998).

Dass ausgerechnet unter DP-Sozialminister Carlo Wagner der Rentendësch 2001 nicht nur eine Aufbesserung der kleinen Renten beschloss, sondern eine fast elfprozentige strukturelle Erhöhung aller Renten und Pensionen, und Wagner sich zum Entsetzen von UEL und CSV-Premier Jean-Claude Juncker freute, den Gewerkschaften mehr gegeben zu haben, als sie wollten, war eine sozialpolitische Ironie. Dass derselbe Carlo Wagner elf Jahre später fordern sollte, „Schluss mam 13. Mount“, war auch eine, denn die Jahresendzulage war am Rententisch beschlossen worden.

Doch die DP hatte da längst verstanden, dass vor allem Gesten an den öffentlichen Dienst sich elektoral bezahlt machen: Mit der Geste von 1999 holte sie ihr bis heute nicht mehr erreichtes Wahlergebnis von 15 Kammermandaten, einem mehr als 2023. Versprechen an die Beamten nicht einzulösen, hat aber seinen Preis. Als die Pension auf den letzten Bezügen für alle Beamte kaum überraschend an der CSV scheiterte, musste die DP 2004 trotz Rententisch den Platz als Juniorpartnerin der CSV wieder für die LSAP freimachen.

Weil die Pensionen im öffentlichen Sektor sich als Thema nicht mehr eigneten, wurde die DP zur entschiedenen Befürworterin von Zusatzrenten in der zweiten und dritten Säule. Als auf Tripartite-Beschluss hin ab 2007 Berichte und Analysen über die Altersvorsorge angefertigt wurden und nach den Wahlen 2009 eine Reform absehbar war, stellte die DP in ihrem Wahlprogramm einen „Rententisch 2“ in Aussicht, an dem wie 2001 neben den Sozialpartnern auch die Parteien Platz nehmen sollten. Er sollte erörtern, „die Lebensarbeitszeit der Menschen [zu] erhöhen“ und „den Vorruhestand zur Ausnahme“ zu machen. Außerdem werde „die Eigenvorsorge mit der DP günstiger“, damit „einerseits mehr Unternehmen so genannte Betriebsrenten anlegen und andererseits Geringverdienern die Möglichkeit von Eigenvorsorge ermöglicht wird“.

Wie insbesondere unter privater Eigenvorsorge für Geringverdiener mehr zu verstehen sein sollte als eine zynische Verachtung, konnte die DP weder 2009 beantworten, noch 2013, als sie damit erneut in den Wahlkampf zog und Spitzenkandidat Xavier Bettel in RTL-Télé erklärte, die Menschen müssten „in die Verantwortung genommen“ werden, „selber vorsorgen, privat Beiträge entrichten“. In den Koalitionsverhandlungen mit LSAP und Grünen 2013 schwebte der DP eine „richtige Rentenreform“ vor. Das politische Problem war freilich, dass sie auch denselben öffentlichen Dienst hätte erfassen müssen, dessen Erwartungen die DP nach 1999 enttäuscht hatte. So konnte es kommen, dass DP-Finanzminister Pierre Gramegna 2015 die drei Jahre zuvor von der liberalen Fraktion abgelehnte Reform von 2012 eine nannte, der man Zeit geben sollte, „ihre Früchte“ zu tragen, und für die Renten „keinen Handlungsbedarf“ erkannte.

Wenn sogar der frühere Handelskammerdirektor zum Politiker geworden war, konnten Xavier Bettel und Claude Meisch, die 2012 als Fraktionspräsident beziehungsweise Parteipräsident die rentenpolitischen Positionen der DP wesentlich geprägt hatten, auch auf sozialliberalen Kurs einschwenken. Was sie wollte, wurde der DP-Führung endgültig klar, nachdem Claude Wiseler 2017 beim CSV-Kongress in Ettelbrück dozierte: „Die Finanzierbarkeit der Pensionen ist eines der größten Probleme, vor denen das Land steht. Das ist verantwortungsvolle Politik dem Land schuldig, dieses Problem anzugehen. Die CSV wird nicht davor weglaufen.“ Die DP konterte in ihrem Wahlprogramm 2018: „Unserem Rentensystem geht es gut und die Reserven befinden sich auf einem Rekordniveau, sodass wir keinen Bedarf für Rentenkürzungen sehen.“

Von dort führt eine direkte Linie zu der Argumentation mit den „gut gefüllten Rücklagen“ 2023. Die DP-Kammerfraktion ist heute eine andere als jene, die 2012 an de Speck wollt schneide goen. Nur Lydie Polfer ist noch dabei. Heute sagt der DP-Fraktionspräsident, wenn man ihm im Radio genau zuhört, er sei „ein Mann der kleinen Schritte“. Vielleicht wollen CSV und DP am Ende etwas Kleines unternehmen, damit den Rentnern das ajustement erhalten bleiben kann. Man will ja wiedergewählt werden.

Peter Feist
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