„Ich will mein Leben zurück“

d'Lëtzebuerger Land vom 30.07.2021

der berühmte Satz, mit dem sich der damalige Wirtschafts- und Gesundheitsminister Etienne Schneider (LSAP) in den politischen Ruhestand verabschiedete. Das war wenige Monate, bevor in Luxemburg die Corona-Pandemie begann. Mehr als anderthalb Jahre später können viele mit Schneider fühlen. Freilich aus anderen Gründen. Die Covid-Sicherheitsmaßnahmen, die Einschränkungen durch Maske und Abstandhalten, unsichere oder torpedierte Urlaubspläne, dies über Monate, verlangen den Menschen einiges ab. Viele haben sich impfen lassen. Um wieder ruhig ins Restaurant und aufs Konzert zu gehen. Und/oder weil sie sich und andere schützen wollen.

War zu Beginn der Run auf die Impfstoffe so groß, dass manche sich vordrängelten, obwohl sie noch nicht an der Reihe waren, hat die Impfbegeisterung inzwischen spürbar nachgelassen. Vorbei sind die endlosen Reihen Fotos auf Facebook, Instagram oder Twitter von Armen und aufgekrempelten Ärmeln, das begehrte Pflaster mit „geimpft“ stolz in die Kamera haltend.

Nur vereinzelt tauchen derer noch auf. Denn die, die durch ihren Verzicht und ihre Geduld es möglich gemacht haben, dass die Pandemie sich nicht noch rascher verbreitete, die Jüngeren und die Jugend, kommrn erst jetzt an der Reihe. Die zwölf- bis 16-Jährigen können den Impfstoff bekommen – und man fragt sich, warum nicht ein Klatschkonzert für sie erklingt (zumal alle wissen, es kostet nichts). Deren Solidarität war vorbildlich. Viele konnten Freund/innen nicht treffen, mussten Sport, Kino und andere Freizeitaktivitäten wochenlang absagen. Ihren Einsatz für die gute Sache haben viele wohl vergessen: Man sitzt auf Mallorca und hält die Zehen ins Wasser.

Andere sind nicht fortgefahren, und haben die Spritze bislang verweigert. Eine Kampagne soll sie jetzt motivieren. Aber können Plakate das leisten? Vielleicht hätte Schneiders Nachfolgerin, die beliebte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP), statt auf Impfzentren allein auf ein mobiles Konzept setzen sollen? Ein deutsches Feuilleton brachte die Bofrost-Infrastruktur ins Spiel, jene Lebensmittelkette, die tiefgefrorenes Gemüse direkt an die Haustür liefert – Expertise mit schwierigen Kund/innen und Kühlen inklusive.

Aber womöglich will das ungeimpfte Drittel sogar dann nicht und hält wacker die Stellung gegen staatliche Kontrolle, Pharma-Riesen und Massenexperimente: Willkürlich abgeschobene Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen, häusliche Gewalt und andere Grundrechtsverletzungen haben es nicht vermocht, aber mit einem Mal entdeckt ein Teil der Bevölkerung die Freiheitsrechte und demonstriert mit Inbrunst, als seien sie Ehrenmitglied im Menschenrechtsverein. Mit demonstrativ unter der Nase getragenem Mundschutz, oder gleich ganz ohne, wird das Recht reklamiert, sich frei, also ohne Corona-Impfung, zu bewegen, und der Zwei-Klassengesellschaft der Kampf angesagt. Nein, nicht wegen ungleich verteiltem Wohlstand, Arbeit oder Wohnungen.

Dabei verwechseln sie ihre Freiheit offenbar als Freifahrtschein ohne Rücksicht auf andere durch die Welt zu gehen: Denn in Wirklichkeit sind sie frei. Sie können selbstverständlich entscheiden, sich nicht impfen zu lassen. Allerdings müssen sie sich dann regelmäßig (schnell-)testen lassen, um nicht andere zu gefährden. Mindestabstand und Maske nicht vergessen! Aber selbst das passt manchen nicht. Solidarität ist für sie so etwas wie eine Einbahnstraße – in ihre Richtung. Menschen, die sich nicht impfen lassen können, weil sie eine Vorerkrankung haben oder zu klein sind, blenden sie aus. Sie gehen davon aus, kein Covid zu bekommen, und wenn es das Gegenüber trifft – so schlimm wird es nicht sein. Selbst ansteckendere Virus-Mutationen machen ihnen keine Angst.
Impfstoff-

Nebenwirkungen aber schon. Die werden gegen das Impfen ins Feld geführt. Wer schon immer impfskeptisch war, nicht gegen Masern geimpft ist, dem/der mag man das vielleicht glauben. Die anderen müssten spätestens, wenn die Vakzine endgültig getestet und zugelassen sind, die Spritze nehmen. Hand aufs Herz: Wer liest bei jedem Medikament den Beipackzettel mit den Nebenwirkungen? Und was, sollten sie doch mit Covid im Krankenhaus landen? Werden sie dann auf die im Schnellverfahren zugelassene Medizin verzichten, auch wenn sie ihr Leben retten könnte?

Grotesk wird es, wenn die, die sich nicht impfen lassen wollen, andere auffordern, die Covid-Schutzmaßnahmen zu ignorieren. Als wüssten diese nicht selbst zu entscheiden, was gut für sie ist. Ob es sich um einen Ex-Popstar handelt, der nicht abwarten kann, eine neue Deutsche Welle auszulösen, egal: Die egoistische Interpretation von Freiheit wird zum Widerstand verklärt. Nach dem Motto: Regeln zum Brechen da oder für die anderen. Nur was, wenn dann weitere solidarische Regeln fallen? Zum Beispiel die, dass jede/r, der oder die krank wird, gleichermaßen behandelt wird. Egal, ob er oder sie es hätte besser wissen ­– und sich impfen lassen können.

Ines Kurschat
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