Convis ist eine Genossenschaft, die die Tierzucht und -Besamung organisiert. Eine immer wichtigere Rolle kommt ihr bei der Futterberatung zu – um Umweltbelastungen entgegenzuwirken 

„Net op d’Kéi klappen“

Holstein-Kühe in der Manege
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 13.12.2024

Aus den Musikboxen schallt poppige Musik. In Ettelbrück haben sich am Samstag vor einer Woche etwa 150 Landwirte versammelt, um eine von Convis organisierte Züchtershow zu besuchen. Fünf schwarz-weiß gescheckte Holstein-Milchkühe laufen im Kreis durch das Stroh. Deckenstrahler beleuchten die Arena – sie setzen die Milcheuter und die frisch gestriegelten Tiere in Szene. Die Rinderzüchter halten die Kühe am Halfter und gehen vor dem Kopf der Tiere her. Mit weit aufgerissenen Augen versuchen die Kühe, die Menschen vor sich zu betrachten. Dennoch schreiten sie gemächlich im Kreis und wirken gelassen. Nach einigen Runden vergibt die Jurorin ihre Auszeichnungen. Mit blonden, zusammengebundenen Haaren, schwarzem Jackett und einem Mikrofon in der Hand erläutert sie ihre Entscheidungen: „Eine feine Eutertextur“ habe sie festgestellt oder „klare Bewegungen, viel Kaliber – eine feste Oberlinie.“ Ein „guter Milchtyp“ habe sie vor sich. Ein andermal lobt sie: „Sehr gute Knochenqualität“, ein „gutes Bein“ und „feminine Ausstrahlung“ hätten sie überzeugt. In den Händen halten die Landwirte eine Broschüre, in der das Alter der Kuh vermerkt ist, sowie ihre Milchleistung pro Jahr – im Schnitt sind es etwa 9 500 Liter. Die Sieger heißen oft Pit Bosseler aus Limpach oder Claude Thein aus Goebelingen.

In weißem Hemd und schwarzem Harness mit Rückennummer lehnt Marc Vaessen, Abteilungspräsident für Milchrinder bei Convis, an ein Absperrgitter. Warum nimmt er am Züchterwettbewerb teil? Zwischen den Zeilen lässt er durchblicken, dass man durch die Teilnahme seine Reputation steigern könne. Monetarisieren ließen sich die Auszeichnungen jedoch nicht unbedingt. Wettbewerbsprämierte Kühe verkaufe man für etwa 3 000 Euro. Zudem sei der Wettbewerb eine alljährlich stattfindende Tradition, bei der man Berufskollegen treffe: „Fréistens am Hierscht, wëll dann hu mer Zäit fir esou eppes.“ Und wie steht es um die Milchbranche? „Der Gewinn fällt knapp aus. Würde man alle Kosten zusammenrechnen, liegt der Mehrwert bei 5 Cent pro Liter.“ Die Milch verkaufen die Betriebe nämlich für 55 Cent pro Liter, doch hiervon müssten 50 Cent an Kosten abgezogen werden. Das hätten die Berechnungen von Convis ergeben. Allgemeine Aussagen seien jedoch schwierig, erklärt Vaessen. In der Landwirtschaft spielen viele Variablen eine Rolle, wie die Amortisierung von Maschinen, die Tiergesundheit, Investitionen und Fehlkäufe sowie schwankende Subventionen und Prämien. „Jeder Hof ist anders aufgestellt.“ Mittlerweile habe man den Höhepunkt des aktuellen Blauzungen-Ausbruchs hinter sich. „Im Sommer hatten wir in zwei von zehn Fällen Frühgeburten und etwa drei bis vier Liter Milch pro Kuh weniger.“

Zwei Tage nach der Viehzüchter-Show werden die neuesten Zahlen des staatlichen landwirtschaftlichen Wirtschaftsberichts (SER) präsentiert. Verglichen mit dem Vorjahr ist das durchschnittliche Ordentliche Ergebnis (OE) 2023 um 29 Prozent gesunken und lag bei 83 400 Euro pro Betrieb. Im Jahr 2022 waren die Erzeugerpreise allerdings außergewöhnlich hoch, weshalb der Rückgang in der Branche niemanden überraschte. Die höchsten Erzeugerpreise wurden im vergangenen Jahr erneut in der Milchwirtschaft und der Mutterkuhhaltung erzielt. Derzeit sind 37 Prozent der Betriebe auf Milchviehhaltung und 23 Prozent auf Mutterkuhhaltung spezialisiert. Der SER zeigt sich für das Jahr 2024 optimistisch: Es wird ein erneuter Anstieg der Gewinne prognostiziert, da die Preise für Dünger und Energie gesunken sind. Offen bleibt, wie viele Arbeitsstunden für den jeweiligen Betriebsgewinn aufgebracht wurden – diese werden in den Betrieben nicht systematisch erfasst. Es wird geschätzt, dass hauptberuflich tätige Landwirte etwa zwölf Stunden am Tag arbeiten.

Hinter dem Tresen stehen während der Holstein-Show die Mitarbeiter von Convis – Agrarwissenschaftler, spezialisiert auf Rinderzucht, Tierfütterung, -vermittlung und -besamung. 12 000 Betriebe sind in der genossenschaftlich organisierten Convis eingeschrieben. In Fließjacken schenken die Mitarbeiter Glühwein aus und holen Bierflaschen aus dem Kühlschrank. Die Landwirte sind in dunklen Daunenjacken angereist. Draußen streift das Thermometer die Null-Grad-Grenze. Schon 1874 wurden Zuchtviehversteigerungen organisiert. Erst 1923 entstand jedoch eine nationale Dachorganisation, der Herdbuchverein, aus dem 2005 Convis hervorging. An den ersten Zuchtviehversteigerungen nahmen teilweise noch die einheimischen rothaarigen Ardennen-Rinder teil. Damals ging es vor allem darum, gute Deckbullen zu identifizieren. Im Luxemburger Wort wurden noch Mitte des 20. Jahrhunderts die bei den Versteigerungen erzielten Preise aufgelistet, ebenso die Namen und Wohnorte der Käufer. Bei der Versteigerung im Juli 1951 auf dem Glacis findet sich etwa der Name eines Onkels des DP-Europaabgeordneten Charles Goerens, der für 17 000 Franken eine Kuh kaufte. Die Käufer stammten aus typischen Bauerndörfern. Auf der Liste tauchten Orte wie Cruchten, Rippweiler, Schandel, Berdorf, Michelbuch, Ospern und Consdorf auf.

Während der Herdbuchverein, also Convis, in seinen Anfängen auf die Viehvermittlung ausgerichtet war, kamen in den 1980er-Jahren Beratungsdienste hinzu. Seit der Jahrtausendwende gehört auch die Datenerhebung für den Wasser- und Luftschutz zu den Aufgaben der Genossenschaft. Aus dem Züchterverein ist ein regelrechter Forschungspartner geworden – Convis lässt seine Befunde in die Arbeit des List (Luxembourg Institute of Science and Technology) einfließen. Auf acht Betrieben wird zudem im Rahmen eines Pilotprojekts die Fütterung im Hinblick auf Stickstoffwerte analysiert. Aussagekräftige Ergebnisse werden für Juli 2025 erwartet. Der Hintergrund: In den letzten Jahren wurde vermehrt über Ammoniak diskutiert, auch weil die Europäische Kommission mit der damaligen Dreierregierung festlegte, Luxemburg müsse den Ammoniak-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 22 Prozent senken.

Ammoniak ist eine Form von reaktivem Stickstoff, der vor allem aus Stallmist und Gülle freigesetzt wird und bei der Stallhaltung von Nutztieren entsteht. Auch Gärreste aus Biogasanlagen sowie mineralischer Stickstoffdünger sind Quellen von Ammoniak. Der Nährstoff Ammoniak wird bei zu hohen Mengen zu einem Schadstoff: Als Bestandteil von Feinstaub hat er schädliche Auswirkungen auf die Atemwege. Ein Dokument des europäischen Erdbeobachtungs​​programms Copernicus aus diesem Jahr hält fest, dass in der EU rund 300 000 Menschen jährlich aufgrund von Feinstaubbelastung vorzeitig starben. In Gewässern kann Ammoniak das Algenwachstum fördern und die Entstehung von Lachgas begünstigen.

Stickstoff ist kein seltener Stoff, aber er ist selten verfügbar. Die Luft besteht zu 78 Prozent aus inaktivem Stickstoff. Wenn wir einatmen, passiert mit diesem Stickstoff nichts – wir atmen ihn einfach wieder aus, da er in der Luft fest mit anderen Stickstoffatomen verbunden ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten Wissenschaftler in Deutschland intensiv nach Möglichkeiten, Stickstoff chemisch nutzbar zu machen. Im Jahr 1909 rief der Chemieprofessor Fritz Haber begeistert aus seinem Labor: „Kommen Sie, es gibt Ammoniak!“ Wie in Die Salze der Erde von Kerstin Hoppenhaus nachzulesen ist. Die Herstellung von Ammoniak war jedoch äußerst schwierig, da die Stickstoffmoleküle in der Luft sehr stabil sind. Um sie abzutrennen, benötigt man Katalysatoren, die Temperaturen von 500 Grad Celsius und hohem Druck standhalten. Nach dem Ersten Weltkrieg kam synthetischer Stickstoff vermehrt als mineralischer Dünger zum Einsatz. Der größte Hersteller war BASF, das Chemieunternehmen, bei dem Haber unter Vertrag stand. Der Energiewissenschaftler Vaclav Smil meint, dass ohne die synthetische Stickstoffherstellung das Bevölkerungswachstum des 20. Jahrhunderts nicht möglich gewesen wäre. Doch Fritz Habers Name steht nicht nur für Fortschritt – bei ihm kommen Leben und Tod auf eigentümliche Weise zusammen: Während des Ersten Weltkriegs war er an der Entwicklung chemischer Waffen beteiligt und überwachte 1915 den ersten Einsatz von Chlorgas im flämischen Ypern.

Probleme bereitet heute vor allem der reaktive Stickstoff im Harn, da Urin beim Abbau durch Enzyme in der Bodenoberfläche Ammoniak freisetzt. Letzten Montag präsentierte die promovierte Agrarwissenschaftlerin Marie-Josée Mangen am „Tag der Landwirtschaft“ die neuesten Zahlen zur Ammoniakreduktion. Von den insgesamt 22 Prozent, die bis 2030 eingespart werden müssen, sei bereits die Hälfte erreicht. Eine große Entlastung bringt das Verbot des Pralltellers, der die Gülle weiträumig über ein Feld spritzt. Wie mittlerweile in Nordeuropa gut dokumentiert ist, kann durch eine bodennahe Güllezufuhr der Ammoniakausstoß erheblich reduziert werden. Für 2022 hatte die SER-Mitarbeiterin Mangen bereits gegenüber dem Journal einen Rückgang festgestellt, der auf gestiegene Preise zurückzuführen ist: Wegen der kriegsbedingten Inflation wurden 40 Prozent weniger Stickstoffdünger und auch weniger proteinhaltiges Kraftfutter eingekauft. Die Zahlen für 2023 wurden noch nicht offiziell veröffentlicht, sie werden jedoch ebenfalls unter den Werten von vor 2022 liegen.

Am Mittwoch sitzen in Ettelbrück in einem Versammlungsraum die Agrarwissenschaftler Charel Thirifay und Jeff Petry sowie Convis-Direktor Tom Dusseldorf beisammen. Eine Schwein- und Kuhfigur schmücken den gelb gestrichenen Raum. „Man könnte jetzt in teure technische Lösungen investieren, um den Harnstoff aus der Gülle zu trennen. Aber anstatt den Landwirten weitere Kosten aufzubürden, suchen wir nach einfacheren Ansätzen“, erläutert Charel Thirifay. Sein Kollege Jeff Petry ergänzt: „Der größte Hebel liegt in der Fütterung. Durch eine proteinarme Ernährung wird weniger Stickstoff freigesetzt. „Wir empfehlen unseren Betrieben, nach Möglichkeit sehr hochwertige Grundfutter zu erzeugen, sprich Graskonserven und Maissilage.“ Wissenschaftler in Europa und Nordamerika sind jedoch weiterhin auf der Suche nach der idealen Fütterung – einer, die Tierwohl, Wirtschaftlichkeit und Umweltaspekte vereint. Einfach ist das nicht, denn viele Faktoren funken hierbei rein: „Die Verdauung der Kuh ist sehr komplex, und je nach Witterung und Böden variiert auch die Futterqualität der Betriebe sehr stark“, so Petry. Sojaschrot ist auch in Europa ein beliebtes Futtermittel, vor allem für Schweine und Geflügel, zum Teil auch für Rinder. „Mee d‘Kou brauch net onbedingt Soja“, fügt Dusseldorf hinzu.

Im Grünland sieht Tom Dusseldorf viele Vorteile: „Es verwertet organischen Dünger, ist ein Kohlenstoffspeicher und kommt ohne chemische Pflanzenschutzmittel aus. Auf unseren Wiesen wächst gutes Rinderfutter.“ Zudem seien die meisten Flächen hierzulande nicht für Ackerbau geeignet. Fahre man nach Belgien oder Frankreich, sehe es schon anders aus. „Et bréngt also näischt, op d’Kéi ze klappen“, so Dusseldorf. Eine weitere Baustelle für Convis bildet derweil die Einführung eines besseren Herdenmanagement. Übersetzt heißt dies für Convis: Die Landwirte häufiger beraten „an de Suivi machen“, sagt Dusseldorf. Sowie eine gezielte Auswertung aller verfügbaren Daten voranzutreiben – aus den Milchkontrollen kann man die Tiergesundheit erfassen, den Eiweißgehalt und die Konsistenz der Milch. „Convis baut seine Beraterabteilung stetig aus. Heute legen wir den Fokus weniger auf die Produktionssteigerung und vielmehr auf eine Effizienzsteigerung“, erklärt Düsseldorf. Künftig wird man verstärkt zu den Themenfeldern Tierwohl und Ethik arbeiten.

Anfang November argumentierte CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen im RTL-Radio in punkto Fütterung in dieselbe Richtung wie Convis: Statt proteinhaltiges Futter hinzuzukaufen, könnten die Landwirte das meiste Futter aus ihrem Grünland beziehen, um so die Ammoniakwerte zu reduzieren. Hansen sieht in Rindern „eng Wonnermaschinn“, die Gras in für Menschen verwertbares Eiweiß umwandeln. Um die Ammoniak-Emissionen zu reduzieren, hatte die Vorgängerregierung im neuen Agrargesetz, das 2023 im Parlament abgesegnet wurde, die Deckelung des Viehbestands vorgesehen. Als Oppositionspolitikerin ärgerte sich Hansen damals im Wort: „Betriebe werden in den Ruin getrieben“. Und warnte vor einer intensiveren Fütterung, bei der Landwirte versuchen, die Produktivität pro Tier zu steigern. Einige Kritikpunkte der Oppositionspolitikerin waren berechtigt: Wichtiger als der Viehbestand sei die Besatzungsdichte, und Betriebsemissionen seien nicht zwangsläufig an die Rinderanzahl gekoppelt. In der Debatte wurde allerdings nicht thematisiert, dass die Deckelung des Viehbestands, Familienbetriebe von Produktionsdruck entlasten sollte. Die Landwirtschaftsministerin Hansen arrangiert sich nun mit der Gesetzgebung und tourte im September mit der Ammoniak-Task-Force durch die Niederlande und Deutschland. Thematisch hielt die Reise keine Überraschung bereit: Man habe sich mit „der Optimierung der Tierfütterung, des Güllemanagements, dem Einsatz neuer Technologien in Ställen und Ausbringungstechniken“ befasst, informiert die Website des Landwirtschaftsministeriums

Mittlerweile zählt Convis 85 Mitarbeiter. Im Erdgeschoss des Convis-Gebäudes befindet sich das Labor für die Milchkontrolle. Dort, wo am Samstag der Holstein-Wettbewerb stattfand, muht eine Kuh, die zwischenzeitlich bei Convis untergekommen ist, bevor ihr Käufer sie abholt. In einem weiteren Nebenraum wird Samen aufbewahrt: „Der Samenmarkt ist international – wir können Samen aus den USA und Kanada beziehen, meistens aber werden wir in Frankreich und Deutschland fündig“, so Charel Thirifay. Er zeigt auf eine Tabelle, die an der Wand angebracht wurde; ein Samen-Set kostet zwischen 18 und 60 Euro. Der Samen ist in kleinen, zahnstocherdünnen Fläschchen aufbewahrt, die in Stickstoff gelagert werden. Als im 19. Jahrhundert Zuchtviehversteigerungen stattfanden, war es für die einzelnen kleinbäuerlichen Betriebe notwendig, Bullen für die Nachzucht zu sichern. 1952 etablierte die Bauernzentrale auf dem Waldhof eine erste Besamungsstation für die künstliche Besamung und führte im selben Jahr 1 300 Erstbesamungen durch. 1982 waren es bereits 55 000. Die Zuchtviehversteigerungen wurden durch die Holstein-Show ersetzt, bei denen heute das Prestige und die soziale Zusammenkunft im Vordergrund stehen – denn die Nachzucht wird durch ein paar technische Hilfsmittel recht unspektakulär organisiert.

Stéphanie Majerus
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