Wie ein gut vorbereiteter Referent trug der grüne Verkehrsminister François Bausch vor. Als er am Dienstag im CAPE in Ettelbruck seinen nationalen Mobilitätsplan für 2035 vorstellte, präsentierte er ihn bereits zum vierten Mal. Der ländliche Raum führte bei seiner Verwaltung zu Kopfzerbrechen: Ein kaum besiedelte Region, mit unterschiedlichen Bedürfnissen und weit auseinander liegenden Ortschaften. 24 Prozent aller Fortbewegungen verlassen dabei nicht die ruralen Gebiete, wie aus einer Verkehrsstudie von 2017 hervorgeht. Eine Mehrheit der ruralen Bewohner bewegt sich jedoch in die Agglomerationen – zur Arbeit oder für Freizeitaktivitäten. Hauptbus- und Zugachsen, an die Zubringerbusse oder Park & Rides gekoppelt sind, und ländliche Radwege sollen den Verkehr künftig multimodal gestalten.
Für den Plan national mobilité 2035 (PNM) wurde die Inanspruchnahme von Autos, Bussen, Zügen und Fahrrädern sowie das Fußgängerverhalten analysiert. Anhand von Zahlen des Statec simulierten Infrakstruktur- und Transportberater ein künftiges Verkehrsnetz für eine Mobilitässteigerung von 40 Prozent. Geschätzt wird, dass in der kommenden Dekade die Zahl der täglichen Fortbewegungen von zwei Millionen auf 2,8 Millionen steigen wird. Um einen Dauerstau zu verhindern, sollten allerdings nur sechs Prozent mehr mit dem Auto getätigt werden. Vor allem das Rad könnte sich als vollwertiges Individual-Verkehrsmittel durchsetzen, denn, so erläuterte François Bausch am Dienstag, etwa die Hälfte aller Verkehrsbewegungen sind kürzer als fünf Kilometer: „Daat ass super fir de Velo“, freute sich der grüne Minister.
In dem Ballungsgebiet der Nordstad werden die Verkehrsbewegungen bis 2035 voraussichtlich um ein Drittel wachsen, erwähnte der Verkehrsminister. Deshalb sieht der Mobilitätsplan vor, die Umgehungsstrasse zwischen Ettelbrück und Diekirch auf vier Spuren zu erhöhen, der Busverkehr aus dem ländlichen Raum soll über exklusive Fahrbahnen in der Nordstad an die Bahnhöfe angebunden werden, deren Anzahl sich mit neuen Bahnstationen in Erpeldingen und Ingeldorf verdoppelt. In Ettelbrück sollen alle zehn Minuten Züge in die Hauptstadt abfahren. Die Radwege werden ebenfalls ausgebaut: „Vu Gilsdref aus misst een an zéng Minutte mam Vëlo op enger Gare sinn“, rechnete Bausch vor. Aber damit dies klappt, müssten die Gemeinden „do matschaffen“.
Um über die Herausforderungen der Verkehrsinfrastrukturen im ländlichen Raum zu diskutieren, hatte der CSV-Abgeordnete Ali Kaes Mitte Mai eine Aktualitätsstunde in der Chamber einberufen. Zu wenig Busse, zu knapp berechnete Umstiegszeiten, zu wenig Querverbindungen, konstatiere der CSV-Politiker aus dem Norden. „Mam Haaptstadbrëll op der Nues a geblent vum Tram, gesäit een d’Realitéit net“ und die Städter verstünden deshalb nicht, weshalb die Bewohner des Öslings aufs Auto angewiesen seien. Statt breitflächige Lösungsansätze zu besprechen, steuerte Kaes auf Stellplätze zu: Warum sind nicht ausreichend Parkplätze beim Lycée Agricole eingeplant worden?, fragte er. Und die Park & Rides könnten nur eine temporäre Lösung sein, „well soss steet d’Landschaft voller Autoen“, beklagte Kaes. Als Lösung schlug er den Rufbus vor, der Mitfahrende auf Bestellung abholt.
Für ein Rufbus-System sprach sich in der Debatte Mitte Mai ebenfalls Marc Goergen von den Piraten aus: Ein Elektro-Rufbus könnte ländliche Gebiete mit den Hauptachsen verbinden. Doch der Verkehrsminister weiß aus Studien, dass der Rufbus „keng Wonnerléisung ass“. Er muss mindestens einen Tag im Voraus bestellt werden; ist mit einem hohen administrativen Aufwand verbunden; wer diesen Bus beansprucht, blockiert ihn für andere; und wie Bausch meinte: „De Ruffbus kascht eng Staang Geld méi“. Ein anderer Vorschlag von dem Abgeordneten Goergen wird hingegen bald umgesetzt. So behauptete der Pirat, eine gratis-Wifi Verbindung erhöhe den Komfort in öffentlichen Transportmitteln. „De Wifi ass ënnerwee“, entgegnete Bausch. Und an den Verkehrs-Knotenpunkten, ist geplant, dass man „an engem agreable Kader mol ee Kaffi kann drénken“. Zudem lösen bald neue Züge alte Modelle ab und erhöhen die Bequemlichkeit der Zugfahrten, entgegnete Bausch am Dienstag einer Frau, die meinte, „verschidden Zich gesinn onméiglech aus“.
Mit seinen Maßnahmen will Verkehrsminister Bausch wohl auch eine neue Mobilitätskultur einläuten: Das Image des öffentlichen Transports ist außerhalb Luxemburg-Stadt angerempelt. Nun könnte die Mittelschicht ihn mit ihren technischen Geräten, sprich mobilen Arbeitsplätzen, digitalisierten Zeitungen und Infotainment erobern und das Autofahren als überholt und unflexibel abstempeln. Dass der öffentliche Transport derzeit in ruralen Gebieten mit Armen und Abgehängten in Verbindung gebracht wird, kam in dem Chamber-Beitrag von dem ADR-Abgeordneten aus Winkringen, Jeff Engelen, zum Ausdruck. Er fragte: „An wen richtet sch das Angebot des öffentlichen Verkehrs?“. Um sich selbst zu antworten: „U Leit, déi net aneschters kënnen, wéi Jonker oder eeler Leit, an elo seit Neistem méi akut: Leit, déi sech keen Auto kënne leeschten.“ Aus regierungsnahen Kreisen heißt es, deshalb hätten Gemeinderäte jahrelang nur schludrig in die Infrastruktur des Busverkehrs investiert und kaum über Busverbindungen informiert, – dies sei eine Wählerschaft, die die Politiker:innen nicht sonderlich interessiere.
Anders in der Gemeinde Bauschleiden: LSAP-Bürgermeister Jeff Gangler leitete Anfang 2020 eine Petition in die Wege, um eine bessere Anbindung an die Buslinie Richtung Luxemburg-Stadt zu beantragen. 800 Einwohner:innen unterschrieben; ihnen ist es wichtig ohne Umweg über Wiltz oder Ettelbrück in die Hauptstadt zu gelangen. „Derzeit fahren einige Bewohner des westlichen Stausee-Gebiets auf den Park & Ride in Schwebach, der eine zwanzigminütige Autofahrt entfernt liegt, wo aber viermal stündlich ein Bus vorbeifährt“, führt der Bürgermeister gegenüber dem Land aus. Die Gemeinde Rambruch hat ihrerseits in einen Busbahnhof investiert, allerdings fährt hier der Bus nur stündlich ab. Den gleichen Appell richtete der LSAP-Nordabgeordnete Carlo Weber während der von Ali Kaes eingeleiteten Debatte ans Verkehrsministerium: Im Nordwesten bedürfe es weiterer Park & Ride-Strukturen, er denke da vor allem an den Hareler Poteau und an Redingen.
Um den Stausee fährt darüber hinaus eine Stau-Navette, die die Region mit dem Bahnhof in Ettelbrück verbindet, aber laut Bürgermeister Jeff Gangler müssten der Fahrplan und die Kadenz überdacht werden, – denn zu oft wird der Anschlusszug verpasst. „Überhaupt wäre besser, wenn die Stau-Navette an die RGTR-Expresslinien im Westen angebunden sei“, analysiert Gangler. Der Verkehrsminister kündigte am Dienstag seinerseits einen Radweg an, die an Ettelbrück und den verschlafenen Stausee-Dörfern entlang schlängelt. Aus Bauschleiden heißt es, dieser Radweg sei kommenden Sommer bereits teilweise befahrbar.
Obwohl das Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stauseeregion weitmaschig ausfällt, versuchen die Gemeinden zu verhindern, im Sommer erneut von Blechlawinen überschwemmt zu werden. Die Anreiner-Gemeinden verkündeten vergangene Woche in den Sozialen Medien, dass die Parkkosten auf drei Euro pro Stunde erhöht wurden. RTL griff die Nachricht auf, sowie den Aufruf, man solle sich mit dem öffentlichen Transport an die Stauufer begeben. Und der Abgeordnete Carlo Weber verbreitete im Mai im Parlament den Vorschlag, im Sommer solle eine Buslinie die Hauptstadt mit den Touristenorten des Staus verbinden. Im Januar 2022 ist er als Nord-Abgeordneter in die Chamber nachgerückt; er fahre nun öfters nach Luxemburg-Stadt, erlebe währenddessen das Verkehrschaos im Zentrum und frage sich, ob der CSV-Transportminister Claude Wiseler nicht vor über 15 Jahren vorausschauend ein Verkehrskonzept hätte ausarbeiten müssen.
Tatsächlich ist der von Minister François Bausch vorgelegte Fahrplan für 2035 mit seinen 200 Seiten das bisher umfangreichste Referenzdokument, um die Verkehrsprobleme praxisorientiert und multimodal anzugehen. Eines Tages solle Luxemburg wie die Schweiz werden, wo Rad-, Fußgängerwege, Bahnhöfe, Buslinen und Autostraßen aufeinander abgestimmt sind, behauptete der Verkehrsminister gegen Ende seines Vortrags in Ettelbrück.
In der Fragerunde am Dienstag wurde abschließend wieder das Strategische gegen das Lebensweltliche eingetauscht: „De Vëlo an Zuch ass jo schéin a gutt“, aber warum werde die Nordstraße nicht auf vier Fahrbahnen ausgebaut, meldete sich ein Bauer. Wann wird die Verkehrssicherheit zwischen Echternach und Diekirch erhöht, fragte eine hagere Frau; eine Arbeitskollegin von ihr sei dort durch einen Unfall gestorben. „De Plang ass super mee d’N17…“ warf ein junger Mann ein, und ein nicht mehr ganz so junger: „Am Gousseldéngertunnel komme se geflunn, wéini kommen do Radaren?“. Und plötzlich verlagerte sich die Diskussion von der Nordstad Richtung Funiculaire im Pfaffenthal. Der Fußweg sei dort nicht ordentlich ausgeschildert und die Abfahrtszeiten der Seilbahn müssten erhöht werden, bemängelte eine Frau. Ein Grauhaariger fragte, weshalb das Gastgewerbe gerade am Wochenende rund um die Standseilbahn geschlossen sei. Doch nicht in allen Punkten ist die Regierung zuständig, manchmal ist es das privatisierte Gastgewerbe an den Haltestationen, aber häufiger die Gemeinden. Beispielsweise bei der Frage, die ebenfalls gestellt wurde: Weshalb eigentlich ein Durchfahrtsverbot für Räder auf dem Feldweg zwischen Ettelbrück und Fehlen erlassen wurde?