Kino

Kriegsodysee

Mendes stellt das Einzelschicksal in den Vordergrund
d'Lëtzebuerger Land vom 17.01.2020

Regisseur Sam Mendes (American Beauty, Skyfall) hat mit Jarhead (2005) bereits einen eindringlichen Kriegsfim zum Golfkrieg realisiert. Mit 1917 widmet er sich nun dem Ersten Weltkrieg. Das Drama ist kürzlich mit dem Golden Globe in den Kategorien „beste Regie“ und „bester Film“ ausgezeichnet worden. Zwei junge britische Soldaten erhalten eine unmöglich scheinende Mission: Sie müssen eine Botschaft tief im Feindesland an ein britisches Bataillon überbringen, die 1 600 Männer davon abhalten soll, direkt in eine tödliche Falle der Deutschen zu laufen. Blake (Dean-Charles Chapman) und Schofield (George MacKay) sind zwei genretypische unscheinbare Helden, und zu ihrem Wesen gehört es, dass sie das, was sie tun, nicht wirklich freiwillig unternehmen.

Es sind junge Männer, die keine andere Wahl haben, denn wer würde wirklich den Befehl seines Vorgesetzten missachten? Das Einzelschicksal soll hier im Vordergrund stehen, von dem man auf das Kollektiv schließt, doch eine zentralere Perspektive nach dem Wesen des Krieges wird nicht angestrebt. 1917 erzählt vielmehr von einem Akt der zielbewussten Humanität in ganz inhumanen Zeiten. Statt sich auf die Gewaltausbrüche zu konzentrieren, nimmt sich der Film Zeit für ausgedehnte Märsche, die subtil davon berichten, wie die Männer die Kontrolle über die Situation zunehmend verlieren. Dabei interessiert der eigentliche Kriegsakt, die unzähligen Massentötungen, Sam Mendes eher weniger, vielmehr zielt sein Blick auf die Wahrnehmung von Landschaften in einem vom Krieg zerrütteten Gebiet. Deshalb bedient Mendes sich mithin nicht des Bildes des stereotypen bösen Deutschen, der Feind ist in diesem Film – und die aufreibende Filmmusik von Thomas Newman setzt da einen deutlichen Akzent – ein unsichtbarer: die Zeit.

Um die Eindringlichkeit des Kriegsgeschehens möglichst unmittelbar zu inszenieren, nutzte Christopher Nolan in Dunkirk (2017) noch eine äußerst komplexe Montage und ein stumpfes, brutales Sounddesign. Sam Mendes setzt dafür ganz auf die Plansequenz: Roger Deakins‘ Kamera begleitet die beiden Unteroffiziere in einer scheinbar einzigen Einstellung und entfaltet so eine immersive Anziehungskraft; sie gleitet durch riesige Kriegsgebiete, zeigt die Schützengräben, die unterirdischen Tunnelsysteme, die weiten Landschaften, und eine ruinierte französische Kleinstadt. Darin liegt gewiss ein traurig-poetisches Moment, von der stilsicheren Virtuosität des russischen Großmeisters Andrej Tarkowski ist Mendes allerdings weit entfernt.

Um in diesem Wahrnehmungsprozess einen möglichst großen Realismuseffekt zu erzeugen, will Sam Mendes das Geschehen in einem ungebrochenen Fluss der Bilder wiedergeben. Dass dies ein Film ist, der weniger über den Intellekt (die Story ist überaus simpel) als über eine emotionale Gestimmtheit erschlossen werden will, ist evident. So überträgt sich dieses Raum-Zeit-Kontinuum in aller Sinnlichkeit auf den Zuschauer, von der erdrückenden klaustrophobischen Enge der unendlich lang wirkenden Schützengräben bis zu den Weiten der sonnendurchfluteten Graslandschaft.

Freilich geht damit paradoxerweise eine Distanzierung einher: Mendes und Deakins heben die besondere technische Über-Konstruiertheit dieses Films ins Bewusstsein, anstatt sie zu kaschieren. 1917 fokussiert die Aufmerksamkeitslenkung auf seine Form dergestalt, dass der Film seine technische Gemachtheit mithin eher unfreiwillig offenlegt und damit dem Realismuseffekt tendenziell zuwiderläuft.1 Und gerade deshalb wirkt auch der Einsatz der Filmmusik stellenweise eher deplatziert, gerade so als wolle sie den Zuschauer bei aller schweifenden Kontemplation dieser fast übergestalteten Bilder wieder ins Geschehen reißen. Kurz: Man ist drin und dann wieder doch nicht.

Bei aller Unmittelbarkeit des Einzelschicksals kommt in 1917 aber eine Auseinandersetzung mit Sinnfragen und eine pessimistisch-humanistische Botschaft zum Ausdruck: Es ist der Colonel MacKenzie (Benedict Cumberbatch), der die Fatalität des Unternehmens anspricht, nämlich, dass diese zweistündige Odyssee letzten Endes auch nur ein weiteres Rad im Getriebe ist in diesem großen Krieg, in dem auch der absolute Befehlsgehorsam nichtig ist, wenn doch in diesem System des strategischen Ränkeschmiedens der nächste Auftrag wieder ein ganz anderer ist.

1 Experimente mit der Plansequenz sind fast so alt, wie der Film selbst. Alfred Hitchcock z.B. versuchte sich daran in Rope (1948), meinte später aber, dass der Film als Kunstform auf die Montage angewiesen sei.

Marc Trappendreher
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