Gebäudereinigung

Kräftemessen

d'Lëtzebuerger Land vom 16.05.2014

Am Dienstagnachmittag hatten sie sich einige Festentschlossene unter strömendem Regen auf dem Gehweg vor dem Europäischen Gerichtshof versammelt, um gegen den Stillstand in den Tarifverhandlungen zu protestieren, während das Sicherheitspersonal mit etwas Abstand und verschränkten Armen zusah. Sie, das sind fast ausschließlich Frauen, fast ausschließlich Nicht-Luxemburgerinnen, ob gebietsansässig oder nicht, und die wenigsten von ihnen haben lange die Schulbank gedrückt. Viel Anerkennung für die unangenehme Arbeit, die sie verrichten – tagtäglich den Dreck anderer Leute beseitigen –, bekommen sie nicht. Als Sinnbild dafür könnte das Bild dienen, das die Transporter einer Reinigungsfirma ziert: Ein schwarzweißer Hund in der Schürze einer Reinigungskraft schrubbt fröhlich den Boden.

Die Fronten zwischen Tarifpartnern im Gebäudereinigungssektor sind verhärtet, es gibt keine Komplizenschaft, wie es sie manchmal in der Stahlbranche gibt, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbünden, um der Regierung in der Stahltripartite Zugeständnisse abzuringen. Dabei zählt die Branche mit rund 9 000 Beschäftigten mehr Arbeitnehmer als die Schwerindustrie. So verkrampft ist die Situation mittlerweile, dass die Arbeitgeber sich überhaupt nicht mehr öffentlich zu den Tarifvertragsverhandlungen äußern wollen.

Im Januar vergangenen Jahres hatten die Gewerkschaften den laufenden Tarifvertrag teilweise aufgekündigt. Darauf folgte im April 2013 ein Treffen, erklärt Estelle Winter vom OGBL. Danach: Stillstand. Die Gewerkschaft zitierte die Arbeitgeber zum Schlichter, der im September vergangenen Jahres feststellte, dass die Verhandlungen gescheitert waren. Die non-conciliation hat allerdings keine der beiden Tarifparteien beim Schlichter beantragt.

Es sind fünf Punkte, welche die Arbeitnehmer neu verhandeln wollen. Die Hauptanliegen betreffen eine Lohnaufbesserung und die Überstundenregelung. Die Beschäftigten verlangen eine Gehaltsaufbesserung um jeweils 1,5 Prozent dieses Jahr sowie 2015 und 2016. Seit Ende der Neunziger hat es überhaupt erst zwei Tarifverträge in der Branche gegeben, 2004 hatten die Arbeitnehmer eine moderate Lohnaufbesserung ausgehandelt: drei Prozent über drei Jahre. Vom Index und den gesetzlichen Mindestlohnerhöhungen abgesehen, seien die Löhne deshalb binnen eines Jahrzehnts um gerade einmal 33 Cent pro Stunde gestiegen, erklärt die Gewerkschaftssekretärin. Diese Analyse teilten die Arbeitgeber nicht, erzählt sie, die auf höhere Lohnzuwächse verwiesen. Dass die Ansichten auseinandergehen, erklärt sich mit dem Blick auf die Gehältertabelle, die im Tarifvertrag drei Gruppen mit jeweils zwei Unterkategorien vorsieht. In der höchsten Gehälterklasse waren die Zuwächse tatsächlich höher. Doch für Unternehmen und Beschäftigte spielt das kaum eine Rolle. Denn, erläutert Winter: „Die große Mehrheit der Beschäftigten ist zum niedrigsten der Tarife eingestellt.“ 11,4407 Euro beträgt ihr Stundenlohn seit der Indextranche vergangenen Oktober.

Die Arbeitgeber haben die Forderung mit Hinweis auf die schlechte Wirtschaftslage abgelehnt. „Ihre Argumentation bezog sich aber eher auf die schlechte Wirtschaftslage im Allgemeinen“, so Winter. Eine Analyse der Rentabilität in der Branche, wie sie die Gewerkschaft vorgeschlagen hatte, hätten die Arbeitgeber abgelehnt. Die Analyse, die der OGBL bei der Salariatskammer beantragt hat, ist indes mit Vorsicht zu genießen. Nicht weil die Kammer nicht seriös vorgehe, sondern weil es an konkreten Angaben aus den Unternehmen fehlt. Eurostat-Daten zufolge ist die Zahl der Reinigungsfirmen zwischen 2000 und 2010 von 102 auf 140 angestiegen, die Zahl der Arbeitnehmer stieg im gleichen Zeitraum von 4 785 auf 8 829 Beschäftigte, die 2010 einen Umsatz von rund 236 Millionen Euro erwirtschafteten. Pro Kopf stieg der Umsatz von 22 700 Euro auf 26 600 Euro jährlich. Daraus schlussfolgert Estelle Winter, dass es der Branche gut geht. Wäre das nicht der Fall, würden sich keine neuen Firmen gründen und die Beschäftigtenzahlen nicht wachsen, sagt sie. Doch wie viel von diesem Wachstum darauf zurückzuführen ist, dass Firmen und öffentliche Einrichtungen die Reinigung von Schulen, Krankenhäusern, Büros und Produktionsanlagen auslagern, statt eigenes Reinigungspersonal zu beschäftigen, weiß niemand. Und steigende Umsätze allein sind keine Garantie für eine hohe Rentabilität. Welche Rolle dabei die Personalkosten spielen, hängt auch davon ab, welchen Anteil der Kosten sie ausmachen. Zwischen 70 und 80 Prozent schätzt die CSL aufgrund der wenigen, ungesicherten Angaben, über die sie verfügt.

Änderungen verlangen die Gewerkschaften außerdem, was die Handhabung der Überstunden betrifft. Viele Reinigungskräfte arbeiten Teilzeit – so ist es zumindest in ihren Arbeitsverträgen vorgesehen. Denn laut Tarifvertrag können sie bis zu 50 Prozent zusätzlich arbeiten, bevor der Überstundenaufschlag fällig wird. Konkret heißt das, dass eine Beschäftigte mit einem Kader von 20 Stunden pro Woche bis zu 30 Stunden wöchentlich zum Dienst bestellt werden kann, ohne Überstundenzuschlag. Die Gewerkschaft fordert, die Schwelle auf zehn Prozent zu senken, wodurch bereits nach der 23. Stunde ein Zuschlag fällig würde. Auch das haben die Arbeitgeber abgelehnt. Dabei befindet sich die Branche ohnehin ein wenig in der Grauzone, wie Winter erklärt. Denn laut Arbeitsgesetzbuch muss der Überstundenaufschlag bezahlt werden, wenn die reguläre Arbeitszeit um 20 Prozent überschritten wird – der alte Tarifvertrag hinke der allgemein gültigen Gesetzgebung hinterher, weswegen fraglich sei, welche der beiden Dispositionen Gültigkeit habe, so Winter. Das könnte in Zukunft vielleicht ein Gericht klären. Denn wenn die Konfrontation weitergehe, fänden sich eventuell Beschäftigte, die bereit seien zu klagen, sagt Winter.

Beim letzten Tarifvertragsabschluss hatten die Arbeitnehmer zu den 25 Tagen gesetzlichen Urlaub zusätzlich einen halben Tag Urlaub nach 15, und einen ganzen Tage Urlaub nach 25 Dienstjahren ausgehandelt. Nun fordern sie jeweils einen ganzen Tag nach zehn, 15 und nach 20 Dienstjahren sowie beim Erreichen des 50. Lebensjahres. Außerdem streiten die Tarifpartner um Höhe und Auszahlungsbedingungen der Gewissenhaftigkeitsprämie, die bei einem Vollzeitkader 525 Euro maximal beträgt. Doch schon bei einer Krankschreibung im Jahr verfallen davon 75 Prozent. Und das, erklärt Winter, gelte auch dann, wenn die Beschäftigten Familienurlaub beantragten, weil nicht sie selbst, sondern die Kinder krank seien.

Die Tarifparteien werfen sich gegenseitig vor, Schuld am Stillstand zu sein. Die Protestkundgebung am Dienstag war eine von mehreren, seit der OGBL vergangenen Februar mit der Mobilisierung begonnen hat. Die Protestaktionen fallen im Vergleich zu den Aktionen in der Baubranche in der nahen Vergangenheit vergleichsweise bescheiden aus. Das liegt auch daran, dass es für Personaldelegierte und Gewerkschaften schwierig ist, überhaupt Kontakt zu den Beschäftigten herzustellen. Die sind in kleinen Gruppen bei abertausenden Kunden quer durchs Land im Einsatz, wo Delegierte keinen Zutritt haben. Am 1. Juni soll die Mobilisierung mit einer großen Abschlusskundgebung beendet werden. Dann sollen sich die Beschäftigten äußern, wie weit sie gehen wollen, sagt Winter. Ob sie zum Streik bereit sind? Dann müsste die Gewerkschaft beim Schlichtungsamt die non-conciliation feststellen lassen, wodurch allerdings die aufgekündigten Teile des Tarifvertrages aufgehoben würden.

Dass sich die Tarifpartner gegenseitig belauern, liegt auch am langwierigen Stellungskrieg, den Beschäftigte und Arbeitnehmer seit bald 15 Jahren vor Gericht austragen. Estelle Winter selbst war eine von 350 Reinigungskräften, die damals entschieden, ihr Recht auf den Mindestlohn nach zehn Jahren Dienstalter einzuklagen – so wie es laut Arbeitsgesetzbuch auch unqualifiziertem Personal in Sparten zusteht, für die es eine mit Zertifikat abgeschlossene Berufsausbildung gibt. In den verschiedenen Instanzen gewann mal die eine, mal die andere Seite. Die Arbeitnehmerinnen mussten erst einmal beweisen, dass die Gebäudereinigung ein Beruf ist – indem sie bewiesen, dass CATP und CCM in diesem Bereich ausgestellt wurden. Danach ging es um die Frage, was die Aufgaben einer Reinigungskraft seien. Und danach darum, ob die Klägerinnen diese Aufgaben auch ausgeführt hätten. In der Zwischenzeit streiten Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen – zum zweiten Mal vor dem Kassationsgerichtshof – darum, ob die Klägerinnen alle diese Aufgaben ausführen müssen, um Anspruch auf den Mindestlohn für Qualifizierte zu haben, oder ob eine teilweise Ausübung ausreicht.

Im Büro von Estelle Winter beim OGBL – 2009 wechselte sie von einer Putzfirma zur Gewerkschaft – stapeln sich die Dossiers. Und die Zettel: Um zu belegen, dass sie die Aufgaben von Gebäudereinigungskräften durchführen, müssen sich die Reinigungskräfte gegenseitig attestieren, welche Arbeiten sie durchgeführt haben. So bringt es Winter mittlerweile auf zehn Seiten, auf denen sie versucht, ihre Karriere als Reinigungskraft zu rekonstruieren: Bei welchen Kunden sie wann mit welchen Kolleginnen, welche Oberflächen sie von welcher Art von Schmutz befreit haben, welche Reinigungsmittel und Chemikalien sie dafür eingesetzt haben, welche Maschinen sie dafür bedient haben. Die Klägerinnen finden es lachhaft. „Was stellen sich denn die Leute vor, was wir in unserer Arbeitszeit machen? Und welche Dienstleistung verkaufen denn die Arbeitgeber, wenn nicht die Gebäudereinigung auf industrieller Skala?“, fragt Winter. Dass die Beschäftigten dafür wissen müssen, wie man welche Oberflächen womit behandelt, belegen auch die Anweisungen, welche die Firmen ihren Beschäftigten aushändigen. Beispielsweise über die korrekte Behandlung von Terracotta-Böden. Oder die Reinigung von Sanitäranlagen – wie oft, womit –, die korrekte Mischung von säure- oder basehaltigen Mitteln. Die korrekte Vorgehensweise in Krankenhäusern, von der auch die Hygiene nicht unwesentlich abhängt.

Winter erwartet das neuerliche Urteil des Kas­sationshofes für Juni und ist guter Dinge, dass sie Recht bekommt. Dann würden ihr Nachzahlungen zustehen. Mit qualifiziertem Mindestlohn hätte sie 20 Prozent mehr verdient, als sie tatsächlich erhielt. Rund 25 000 Euro sind es in ihrem Fall. Dabei war sie nicht einmal in der untersten Lohnkategorie beschäftigt und entsprechend größer ist der Unterschied bei anderen Mitklägerinnen. Im Schnitt ergäben sich bei einer Vollzeitkraft 10 000 Euro auf drei Dienstjahre. Summen, die erklären, weshalb beide Seiten so erbittert kämpfen. Winter bereitet derzeit neue Klagen für andere Kolleginnen vor. Denn: Selbst wenn den Klägerinnen der ersten Klagewelle ihr Recht auf den qualifizierten Mindestlohn zugesprochen wird, wird das Prinzip nicht automatisch auf alle Beschäftigte im gleichen Fall ausgeweitet. Sie müssen ihre Rechte individuell einklagen. Es sei denn, die neue Rechtslage würde in den Tarifvertragsverhandlungen berücksichtigt. Eine Forderung, welche die Gewerkschaft bisher noch gar nicht gestellt hat.

Auf Nachfrage des Land ließ der Verband der Reinigungsfirmen mitteilen, dass er bis auf Weiteres nicht öffentlich Stellung bezieht.
Michèle Sinner
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