Nationbildung geschieht durch Abgrenzung, und als Abgrenzungsmerkmal fällt den hierzulande zuständigen Pfarrern, Lehrern, Richtern und Ärzten meist nur die Sprache ein. Deshalb üben sie sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts darin, das Luxemburgische zu dichten, zu erforschen, vom Dialekt des einfachen Volks zur Nationalsprache aufzuwerten und von Fremdwörtern zu säubern. Je nach politischer Konjunktur organisieren sie sich dazu bald in patriotischeren, bald in wissenschaftlicheren Vereinen.
Claude Kremer, Digital Curator am Merscher Literaturzentrum, stellt in einem Katalog und im Internet fünf Sprachgesellschaften aus der Zeit von 1845 bis zum Zweiten Weltkrieg vor. Der 1845 gegründete Verein für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde war im Grunde gar keine Sprachgesellschaft. Aber Polizeikommissar Jean-François Gangler (1788-1856), der Autor des Lexicon der Luxemburger Umgangssprache (1849), war Mitglied; Deutschlehrer Peter Klein (1825-1856) konnte Die Sprache der Luxemburger 1854 im Jahrbuch des Vereins veröffentlichen. 1868 wurde der Notabelnverein zum Großherzoglichen Institut, einer staatlich geförderten Gelehrtengesellschaft, die bis heute überlebte.
Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts die bürgerliche Öffentlichkeit größer geworden war, wurde als volkstümlichere, kulturelle und literarische Variante 1894 unter der Regie von Pfarrer Martin Blum (1845-1924) Ons Hémecht, Verein für Luxemburger Geschichte, Litteratur und Kunst gegründet, dessen gleichnamige Zeitschrift für Luxemburger Geschichte bis heute im Sankt-Paulus-Verlag erscheint. Auch Ons Hémecht war im Grunde keine Sprachgesellschaft, obwohl ihre Zeitschrift in den ersten Jahren sprachwissenschaftliche und literarische Beiträge veröffentlichte. Viele Mitglieder gehörten der staatlichen Wörterbuchkommission an, die 1907 das Wörterbuch der luxemburgischen Mundart veröffentlichte.
War Ons Hémecht konservativ und gottesfürchtig, so entwickelte im Zeitalter des Imperialismus die 1910 nach dem Vorbild der rechtsradikalen Action française gegründete Letzeburger Nationalunio’n rasch einen karikaturalen Chauvinismus. Die Nationalunio’n war ebenfalls keine Sprachgesellschaft. Sie bemühte sich zuerst um das Entstehen einer Nationalliteratur, bis sie unter Anführung des Lateinlehrers und späteren DP-Stadtrats Lucien Koenig (1888-1961), aka Siggy vu Letzeburg, die Sprache nach dem Vorbild des Deutschen Sprachvereins auch gegen Ausländer und Juden einzusetzen versuchte.
An der wissenschaftlichen Front wurde 1923 auf Initiative des linksliberalen Englischlehrers Joseph Tockert (1875-1950) die Luxemburger Sprachgesellschaft gegründet, auch als Ersatz für eine Universität, wie Claude Kremer vermutet (S. 136). Dieser eigentlich erste eigenständige Sprachverein sammelte Wenker-Sätze, suchte den Anschluss an die ausländische Linguistik und pflegte Beziehungen zu Siebenbürgen, wo er Sprachrelikte Luxemburger Auswanderer vermutete. 1935 wurde die Sprachgesellschaft zur Sektion für Sprachwissenschaft, Volkskunde und Ortsnamenkunde des Großherzoglichen Instituts, die bis heute fortbesteht, aber zwischen Universität, Sprachvereinen und Wörterbuchkommissionen sachte eingeschlafen ist.
Als wiederum volkstümliches, patriotisches Pendant zu der neuen Sektion des Großherzoglichen Instituts gründeten eine Gruppe meist klerikal-konservativer Lehrer 1936 den Verein D’Hémechtssprôch. Ursprünglich als Interessenvertretung luxemburgisch schreibender Autoren gedacht, setzt er sich für die Aufwertung des Luxemburgischen als dem Französischen und Deutschen gleichwertige Sprache in allen öffentlichen Bereichen samt einer amtlichen Rechtschreibung ein. Dabei profitierte der 350 Mitglieder starke Verein von der 1939 in der Unabhängigkeitsfeier gipfelnden nationalen Mobilisierung kurz vor dem deutschen Überfall.
Claude Kremer zitiert aus wenig erschlossenem Material der Sprachvereine im Staatsarchiv, in der Nationalbibliothek und im Literaturzentrum, stellt die Vereinsgeschichten in den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang ihrer Epochen. Mit der gefährlichen Nähe der hiesigen Sprachwissenschaft zur deutschen Mundartforschung in den Dreißigerjahren befasst er sich weniger. Weil die Schrift mit dem Zweiten Weltkrieg aufhört, erwähnt sie bloß kurz den ungeahnten Aufschwung des Luxemburgischen in Zeiten der europäischen Integration und Globalisierung, von der Actioun Lëtzebuergesch über das Sprachengesetz, die ADR-nahen Protektionisten und die Erfindung der Luxemburgistik bis zur Verstaatlichung der Sprachpflege vor den Kammerwahlen 2018.