Persönlichkeitsrechte

Saubere Hände?

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2016

Luxemburg braucht ein Verfassungsgericht, das verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetze im Vorfeld überprüfen kann, das zeigte sich einmal mehr am Dienstag im Parlament. Bei der Abstimmung ging es um ein Abkommen, das die – verfassungsrechtlich relevante – Frage regeln soll, was zu tun ist, wenn ein Zivilflugzeug von Terroristen benutzt wird, um einen Anschlag zu verüben, etwa auf die Staumauer, Cattenom oder den Finanzplatz. Da Luxemburg über keine eigene Luftabwehr verfügt, soll in Kooperation mit den militärischen Partnern Belgien und Holland ein Stufenplan greifen: Der Flieger würde aufgefordert, den Kurs zu ändern, zu landen, er könnte durch Kampfflieger und Warnschüsse abgedrängt werden. Als Ultima ratio sieht das Benelux-Abkommen zur Luftsicherheit die force létale, den finalen Abschuss, vor.

Allerdings nicht in Luxemburg. Artikel 11, Absatz 3 der Verfassung garantiert die menschlichen Naturrechte, zu der das Leben und die eigene Unversehrtheit zählen. Daher darf das Leben Unschuldiger nicht gegen das Leben von Terroristen aufgerechnet werden. Die Regierung machte dies im Abkommen geltend: In unserem Luftraum darf kein Flieger zur Terrorabwehr abgeschossen werden. Ist Luxemburg damit also fein raus?

Die Mehrheit der Abgeordneten sieht das offenbar so. Sie stimmte für das Abkommen, eine Diskussion fand weder im Parlament noch im zuständigen Ausschuss statt. Einzig der linke Abgeordnete Marc Baum hakte nach: Was wenn ein entführter Flieger mit unverdächtigen Passagieren über Luxemburg fliegt, von befreundeten Abwehrjägern abgedrängt und dann eben im benachbarten Luftraum abgeschossen wird? Würde sich Luxemburg durch eine Zustimmung zum Einsatz oder mit seiner Unterschrift zum Abkommen mitschuldig machen?

Eingreifen dürfen ausländische Kampfflieger in Luxemburg nur, wenn der Verteidigungsminister dies erlaubt. Ist er verhindert, springt der Außen- oder der Justizminister ein. Aber darf eine Entscheidung von solcher Tragweite – der Einsatz befreundeter Militärs zur Terrorabwehr mit vielleicht tödlichen Folgen für viele Menschen – dem Verteidigungsminister überlassen sein? In Deutschland stellte das Bundesverfassungsgericht fest: Nur die Bundesregierung als Kollegialorgan darf einen solchen Einsatz befehligen. Etienne Schneider (LSAP) will keine Zeit verlieren, im Kata-strophenfall „lange Meetings“ einzuberufen. Dabei räumt der Verteidigungsminister ein, dass ein Terrorangriff aus der Luft in Luxemburg schon deshalb kaum zu verhindern wäre, weil der Luftraum winzig ist und es dauern würde, bis die Flugabwehr hier wäre. Und trotzdem segneten fast alle Abgeordneten seine Argumentation ab. Es ist nicht das erste Mal, dass weitreichende Anti-Terror-Maßnahmen von fast allen Parteien ohne große Bedenken durchgewunken wurden. Luxemburg braucht daher dringend eine Normenkontrollklage, wie sie in Deutschland und Frankreich existiert. In Deutschland waren es die Länder Bayern und Hessen, die gegen das Luftsicherheitsgesetz klagten. Das umstrittene Anti-Terror-Gesetz des BKA und das Gesetz zum Bundestrojaner ließen FDP-Politiker auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen.

Hierzulande enthüllte Radio 100,7 kürzlich, dass der Geheimdienst Srel die Trojaner-Spähsoftware längst einsetzte, obwohl die Rechtsbasis wackelig war und die Justiz sie als unzureichend einstufte. Freundlich toleriert wurde der Einsatz des Staatstrojaners von der parlamentarischen Kontrollkommission. Bald weiß der Bürger nicht mehr, worüber er sich mehr Sorgen machen muss: den (unwahrscheinlichen) Fall, dass ein Terrorist mit einem Flieger Kurs auf Luxemburg nimmt oder den (wahrscheinlichen) Fall, dass übereifrige Parlamentarier ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen durchwinken. Selbst wenn es verfassungsrechtlich bedenklich ist.

Ines Kurschat
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