Ein hellblauer Fußbodenteppich bedeckt den Saal und verleiht ihm eine retro Note. Auf den Tischen stehen Stiefmütterchen – in gelben, roten oder violetten Blüten. An den Tischen sitzen überwiegend Personen im Rentneralter. Fast 200 ADR-Mitglieder trafen letzten Sonntag zum Nationalkongress im Dommeldinger Parc Hotel ein. Der an dem Tag offiziell zum Spitzenkandidaten ernannten Fred Keup, erfreut sich während des Kongresses über den „schéine, flotte Sall“. Am Rednerpult meint die ADR, das ganze Volk, alle Berufsgruppen und Klassen, zu repräsentieren. Und weil die ADR das Volk verkörpere, wolle man es über Referenden stärker einbinden– – „auch in der Gemeindepolitik“. Zu oft würden die Regierenden aus Angst vor Bürgerbewegungen vieles im Geheimen abstimmen, mahnt der Abgeordnete. „D’Wale si fir d’Leit, déi eenzeg Kéier, wou se gefrot ginn no hirer Meenung. Notzt déi Momenter, si si rar“, ruft der ehemalige Geografielehrer durch den Saal. Man solle sich die derzeitige Regierung anschauen: „Si fäerten d’Stëmme vum Vollek“. Alle Parteien durchziehe eine Furcht vor dem Wahltermin, meint der ADR-Parteipräsident. Nur die ADR fürchtet kommenden Oktober nicht, denn sie wird von dem unbescheidenen Selbstverständnis getragen, die wahre Stimme des Volkes zu sein. Sie zielt auf eine Regierungsbeteiligung ab und unterbreitete ein Koalitionsangebot an die CSV: „Traue ihnen nicht, Luc.“ Die regierenden Parteien hätten ihn 2013 ignoriert und würden es diesmal auch tun. Er solle sich rechts umsehen.
Eine Entwicklung, die derzeit vielen Bürgern und auch Fred Keup Sorgen bereite, sei die Sicherheit: „Jeder kennt jemanden, bei dem eingebrochen wurde“. Die an der Macht würden Statistiken nicht publik machen, man werde nicht richtig informiert über das wahre Ausmaß an Kriminalität. „Sicherheit und die Bekämpfung der Kriminalität werden wir zur politischen Priorität im Wahlkampf machen, ob es ihnen passt oder nicht“, warf er den anderen Parteien zu. (Dabei besetzen DP und CSV law-and-order Aspekte bereits seit Jahrzehnten). In den Chor stieg ebenfalls der Adrenalin-Präsident Maksymilian Woroszylo während seiner Rede ein. Die Jugendpartei drehe nun Videobeiträge, die sie auf Facebook veröffentliche. Vor ein paar Wochen war er im Bahnhofsviertel unterwegs, um die Zustände dort zu dokumentieren. Fazit: „De Video hat sech richteg gutt gemaach, respektiv déi aus dem lénke Spektrum waren natierlech immens rose ginn, dat heescht, mir hunn do eppes richteg gemaach.“ Und weiter: „Wir müssen im Bahnhofsviertel ordentlich aufräumen.“ Auch die Jugendpartei der ADR sei das Sprachrohr des Volkes. Denn während sich andere Jugendparteien über steigende Benzin- und Dieselpreise freuen würden, hätten Adrenalin-Mitglieder auf Parkplätzen Einwohner zu steigenden Preisen interviewt. Anders als die „Champagnersozialisten“ mache die ADR sich nicht über „eis eege Leit“ lustig. In Luxemburg herrschten die höchsten Lebensmittelpreise, während die Regierung Geld für „Klima- und Genderpropaganda“ verschwende, empörte sich Woroszylo.
Neben der Symbiose zwischen Volk und ADR, die am Sonntagmorgen beschworen wurde, fand ein innerparteilicher Dialog zwischen Fred Keup und Maksymilian Woroszylo statt. „Maks“ erste Worte richteten sich an sein politisches Vorbild: „Fred, Du bass fir Adrenalin eng wichteg Inspiratioun, Du hues zwee wonnerschéi Kanner, du hues eng wonnerschéi Fra, a wéi’s de dat hikriss, dass de zu allen Zäiten erreechbar bass, dat fanne mer wierklech super.“ Fred Keup seinerseits antwortet später: „Merci Maks, Merci der Adrenalin, dir maacht dat groussaarteg“. Gerade bei der Jugend komme man zunehmend gut an. Die neue Dynamik innerhalb der ADR und die internationale Stärkung rechter Populisten lässt die Mitgliederschaft wachsen. Auf dem Kongress wurde verkündet, man zähle nun fast 1 800 Mitglieder, allein im letzten Jahr seien 300 dazu gekommen.
Fred Keup machte sich während des Referendums von 2015 zum Ausländerwahlrecht einen Namen; er mobilisierte damals nahezu auf eigene Faust für das „Nein“ und verkaufte sich als Bastion gegen Angriffe auf die luxemburgische Sprache. 2018 ging er zum ersten Mal mit der ADR in die Nationalwahlen und rückte 2020 für Gast Gibéryen ins Parlament nach. Im März 2022 wird der politische Quereinsteiger mit 84 von 94 Stimmen zum Parteipräsidenten gewählt. Vor Beginn seiner politischen Karriere war er seit 2003 als Geografielehrer am Escher Lycée technique tätig sowie ehrenamtlich im Kehlener Fußballverein. Maksymilian Woroszylo ist Vorsitzender der ADR-Jugendorganisation Adrenalin. Der Maschinenbaustudent ist international bestens vernetzt und war Anfang März an der „Conservative Political Action Conference“ in den USA zugegen, einem weltweiten Treffen der Rechtskonservativen. Wahrscheinlich hat er die Videobotschaft von dem polnischen Premier, Mateusz Morawiecki, die am Sonntag gegen Ende des Kongresses ausgestrahlt wurde, in die Wege geleitet. Der Premierminister von der klerikal-konservativen PiS-Partei rief die ADR dazu auf, sich gemeinsam für das christliche Abendland einzusetzen. Es war der einzige Redebeitrag, der die Kirche erwähnte. Doch während der Adrenalin-Präsident den Anschluss an eine transnationale rechte Bewegung beschäftigt, scheint dieser Eifer bei Fred Keup abwesend. Beide vereint vielmehr eine rechtspopulitische Identitätspolitik.
Würde es den Feierkrop noch geben, könnte er nun nicht mehr schreiben, die ADR sei eine Kukident-Partei, versichert ihrerseits Sylvie Mischel mit Blick auf die heranwachsende Politikergeneration. Die Präsidentin der ADR-Fraen richtet sich ebenfalls gegen die „Genderpropaganda“. Man stehe für Biologie statt Ideologie. „Der Kampf dreht heute um die Kontrolle der Sprache“, aber die ADR sei konsequent gegen das Gendern, in der ADR sage man auch in Zukunft: „Dir Damen an dir Hären.“ Sie mahnt vor radikalen Feministinnen, die in der Schule Goethe und Voltaire zugunsten von Literatur von zum Beispiel schwarzen Frauen angeblich abschaffen wollen. „Wir sagen nein zu den Grünen, nein zur Leihmutterschaft, nein zur post-mortem-Befruchtung“, versichert sie. Nur die ADR vertrete die Interessen der Frauen und Familie. So sieht es auch Fred Keup. Keine andere Partei setze sich für Familien und Kinder ein, behauptete er am Sonntag. „Wir haben einen Minister, der meint, Kinder seien besser in Strukturen aufgehoben, als zu Hause bei der Familie.“ Das sei sozialistische Familienpolitik. Und in seinen Kinderkrippen „wird kein Luxemburgisch gesprochen“, obwohl Minister Claude Meisch dies behaupten würde, wetterte Keup. Mehrmals tönte Fred Keups Herzensangelegenheit, die Bewahrung des Luxemburgischen, durchs Mikrofon. Man müsse sie „héich halen“. Besonders schlimm sei, dass die DP dem Nationalstadion einen französischen Namen (Stade de Luxembourg) verpasst habe. Auch Symbole würden abgeschafft: „Mir sinn eng Natioun, déi hire Joerhonnerten ale Roude Léiw duerch een X ersetzt. Dat ass Gambia! A mir sinn déi eenzeg, déi sech wieren.“
Vor dem Kongress erzählte ein Mann, er kandidiere diesmal bei den Gemeindewahlen für die ADR, weil ihn die Familienorientiertheit der Partei beeindrucke. Aber noch mehr habe ihn die Coronapolitik der Regierung und CSV enttäuscht. Die ganze Pandemie sei ein Fake gewesen und diente zur Bereicherung von ein paar Menschen. „Ich war selbst hospitalisiert und habe dort viel über Viren gelernt.“ Man sage zwar, die Partei sei rechtsradikal, „mee ech hunn nach kee Rietsradikalen do gesinn“. Schelten gegen die Regierungspolitik in der Pandemie blieben in den Redebeiträgen vom Parteipräsidenten Fred Keup aus. Maksymilian Woroszylo und Fernand Kartheiser heizten die Anwesenden jedoch mit Coronafrust auf. Von einem „allgemeinen Covid-Betrug“ sprach der Präsident der Jugendpartei und Fernand Kartheiser behauptete, Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Premier Xavier Bettel hätten stets neue Repressionen verordnet. „Mir vergiessen dat net“, rief der Kerschener durch den Saal.
Ein weiteres Kernthema der ADR wurde von Tom Weidig zu Beginn des Kongresses angeschnitten: die „Bevölkerungsexplosion“. Und man verschweige, dass die Wohnungspreisproblematik mit der Massenimmigration zu tun habe. Tom Weidig ist mit Fred Keup Ko-Autor des Buches Mir gi Lëtzebuerg net op – Auflösungserscheinungen einer kleinen Nation. In dem Sachbuch warnen die ADR-Politiker vor dem Zerfall der luxemburgischen Sprache und einer angeblich ehemals eindeutigen Nationalidentität. Fred Keup verkündete, „Zubetonierung, Anonymisierung, Individualisierung“ werden die Folge eines ungebremsten Wachstums sein. Sowie immer mehr Staus, zu kleine Schulen, weniger Krankenhausbetten und nicht ausreichend Polizisten. All das mag leicht zu verkünden sein in einem prallgefüllten Raum voller Anhänger. Wenn es um Sachfragen und wirtschaftliche Analysen geht, wird es jedoch recht diffus und dünn. Am Mittwochmorgen fragte RTL-Journalistin Carine Lemmer in einem Interview, wie er aus der Wachstumsspirale aussteigen möchte. Fred Keup meinte daraufhin: Man bräuchte ein Wirtschaftsmodell, das einen hohen Mehrwert ohne viel Personal schöpfe. (Dabei setzt Luxemburg mit seinem Finanzsektor bereits auf eine hohe Pro-Kopf-Wertschöpfung). Am Sonntagmorgen präsentierte er den Tanktourismus als „formidabel“, er bringe dem Land jedes Jahr eine Milliarde Euro ein, „ohne viel dafür zu tun“. Er warnte überdies vor einem möglichen Autoverbot. Überhaupt sei die Verbotspolitik eine allgegenwärtige Mode, nicht nur unter Grünen. Unerhört sei auch, dass in manchen Schulkantinen an einigen Tagen kein Fleischgericht angeboten wird.
Während das Thema Gender, Sicherheit und Bevölkerungswachstum am Sonntag mehrmals die Runde drehten, wurden einige Themen gar nicht angesprochen, wie die Landwirtschaft (einst unter dem ADR-Politiker Robert Mehlen ein zentrales Thema) sowie die Position gegenüber der Kirche (die noch in Mir gi Lëtzebuerg net op eine Rolle spielte). Auch ausgeblendet wurden globale Krisen, internationale Handelsbeziehungen sowie eine Stellungnahme gegenüber China und Russland. Überhaupt scheint das politische Interesse der ADR nicht über die Grenzen des Großherzogtums hinauszugehen. Aber das ist vermutlich normal für eine nationalistische Partei.