Nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union will Luxemburg, wie immer, im Kerneuropa mitmachen und den Finanzplatz schützen. Nur die Priorität ist manchmal unklar

No cherry picking!

d'Lëtzebuerger Land vom 01.07.2016

Am gestrigen Donnerstag gab es keine Regierung, keine Mehrheit und keine Opposition im Parlament, sondern nur noch Luxemburger und selbstverständlich leidenschaftliche Europäer, die schon immer gewarnt hatten. Im Rahmen einer zweistündigen „Regierungserklärung über die Folgen des Referendumsergebnisses vom 23. Juni 2016 in Großbritannien“ sagten Premier Xavier Bettel (DP) und CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler dasselbe, der eine etwas schwungvoller, der anderer etwas betulicher. Luxemburg verliere einen Partner, mit dem es gemeinsame Interessen wie die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsystems verteidigt habe, klagte der Premier.

Als die Schwerindustrie Betriebe schloss und Arbeitsplätze abbaute, wurde die Association des banques et banquiers (ABBL) zur einflussreichsten Unternehmerlobby im Land. Wenige Stunden, nachdem das Ergebnis des britischen Referendums feststand, hatte sie am Freitag die Losung ausgegeben: „De longues négociations – sans issue certaine – créeraient de l’incertitude menaçant la stabilité de l’Union européenne et de son économie. Les marchés, pour leur bon fonctionnement, ont besoin d’une sécurité de planification.“ Eine längere Ungewissheit über die künftigen Geschäftsbedingungen in Großbritannien und in der Europäischen Union lässt Investoren im Ungewissen, wo sie die beste Rendite finden.

Monate- oder jahrelange Ungewissheit hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaftskonjunktur in Europa, wie das Statec gestern in seinem Conjoncture Flash warnte, sondern auch direkte Auswirkungen auf die Staatseinnahmen. Der Finanzplatz Luxemburg ist zunehmend ein Investitionsfonds-Platz, der von den Kursen der in den Fonds versammelten Wertpapiere abhängt. Das Statec schreibt in seiner Konjunkturnote 1/2016: „Les fluctuations des indices boursiers – basées sur celles de l’indice Eurostoxx 50 – et celles du PIB en volume observées au niveau annuel ont continué à montrer de fortes similitudes au cours des dernières années.“ Zögern angesichts der politischen Ungewissheit die Investoren bis zum Jahresende beim Aktienkauf, nimmt der Staat weniger Steuern ein. Angesichts von Null- und Negativzinsen erwartet er für 2016 eine Milliarde Euro Einnahmen aus der von den Nettoeinlagen der Fonds abhängenden Abonnement­taxe, 7,6 Prozent aller Steuereinnahmen. Hinzu kommen die Auswirkungen der unsicheren Geschäftsaussichten auf den europäischen Märkten der Exportindustrie.
Der erste Schritt, der nach dem Referendum von vergangener Woche Klarheit schaffen soll, ist ein formelles Austrittsgesuch Großbritanniens entsprechend Artikel 50 des Lissaboner Vertrags, durch das die Verhandlungen über die Austrittsbedingungen, die Entflechtung der unzähligen Abmachungen und Verträge, anlaufen könnten. Doch die britische Regierung muss im augenblicklichen politischen Chaos Zeit gewinnen, der demissionäre Premier David Cameron kündigte an, das Austrittsgesuch seinem Nachfolger zu überlassen. So lange die britische Regierung ihre Austrittserklärung zurückbehält, verfügt sie über ein Druckmittel gegenüber der EU, ist die Kündigung einmal eingereicht, beginnt die zweijährige Kündigungsfrist, und dann haben die 27 anderen Regierungen ein Druckmittel.

Um die Ungewissheit zu verkürzen und damit auch die Folgen auf die Aktien- und Devisenmärkte abzuschwächen, versuchten Kommis­sionspräsident Jean-Claude Juncker, die französische Regierung, deutsche Sozialdemokraten und Europaparlamentarier, die britische Regierung unter Druck zu setzen. Jean-Claude Juncker forderte am Tag nach dem Referendum: „Die Phase der Ungewissheit darf nicht länger dauern als unbedingt nötig, wir müssen die Dinge beschleunigen.“ Er verstehe nicht, warum die britische Regierung bis Oktober für ihre Entscheidung brauche. Martin Schulz, der sozialdemokratische Präsident des Europaparlaments, setzte am Sonntag in der Bild-Zeitung ein Ultimatum für das Austrittsgesuch: „Der Gipfel am kommenden Dienstag ist hierfür der geeignete Zeitpunkt.“ Aber beim Gipfeltreffen am Dienstag und Mittwoch hörte niemand auf ihn.

Andere Politiker in der Europäischen Union, darunter die christdemokratische deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die sich mit Großbritannien nach Möglichkeit einen Geschäftspartner und politischen Verbündeten erhalten will, wollten anfangs der Regierung und dem Parlament in London Zeit lassen. Premier Xavier Bettel verlangte dagegen am Dienstag in Brüssel Klarheit. Seine Aphorismen „Married or divorced, but not something in between” und „We are not on Facebook, with ‘It’s complicated’ as a status” gingen durch die Weltpresse.

Auf dem Gipfeltreffen bemühten sich die 27 EU-Staaten vor allem, ihre Meinungsverschiedenheiten zurückzustellen und geschlossen gegenüber der britischen Regierung aufzutreten. Man sei sich einig geworden, nicht vorzuverhandeln und damit auch nicht abhängig von der Londoner Entscheidung zu werden, wann Artikel 50 geltend gemacht werden soll, freute sich Xavier Bettel gestern vor dem Parlament. Der britische Premier habe mitgeteilt, dass sein Nachfolger am 9. September bestimmt werde, und man erwarte danach so schnell wie möglich den Brief aus London. Doch auch wenn Vorverhandlungen tabu sind, wünschte Xavier Bettel sich, dass Luxemburger Stellen zügig Kontakt mit ihren britischen Kollegen aufnehmen, um bilaterale Abkommen für die Zeit nach dem Austritt auszuhandeln. Er dachte an die Studenten, an die Krankenversicherung und wer weiß woran noch.

Zudem gibt es inzwischen auch Stimmen, die nichts überstürzen wollen, weil sie sich ausmalen, dass das alles ein Missverständnis war und nach Neuwahlen in Großbritannien eine EU-freundlichere Regierung an die Macht kommt, die ihre Wahl als Legitimation ansieht, um das Austrittsgesuch in der Schublade liegen zu lassen. Das Ergebnis des Referendums war ja knapp, und die Geschichte der Europäischen Union ist reich an Referenden, die folgenlos blieben – vom dänischen 1992 zum Maastrichter Vertrag über die irischen 2001 und 2008 zu den Verträgen von Nice und Lissabon bis hin zum luxemburgischen 2005 über den Europäischen Verfassungsvertrag und dem griechischen 2015 über den Schuldenplan.

Doch der Kündigungstermin ist nur der Anfang. Wichtiger sind die Verhandlungen über die Austrittsbedingungen und die Beziehungen zwischen Großbritannien als neuem „Drittstaat“ zur Euro­päischen Union. Deshalb streiten schon Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk, wer die Verhandlungen führen darf.
Die Lobby der 3 880 Investitionsfonds, die Association of the Luxembourg Fund Industry (ALFI), sieht sich ein wenig als die ABBL des 21. Jahrhunderts. Nach dem Referendum verbreitete sie am Freitag eine Erklärung, in der es heißt: „The impact of this vote will be dependent on future political decisions and trade negotiations and, in order to avoid uncertainty and to ensure that investors continue to be as protected as they are under EU regulation, it is essential that the period for negotiation is not prolonged and that a level playing field is maintained.“

Das Level playing field würde holprig, wenn den Banken der Londoner City der Zugang zum euro­päischen Binnenmarkt gewährt würde ohne dessen Auflagen – weniger wegen des Verbraucherschutzes als wegen des Wettbewerbsvorteils. Das war bereits die Priorität der Regierung im Februar dieses Jahres, als Ausnahmebedingungen für Großbritannien ausgehandelt worden waren für den Fall, dass das Land Mitglied der Europäischen Union bliebe.

Premier Xavier Bettel hatte für den Fall der Fälle eine Krisensitzung der Regierung am Freitag um neun Uhr vorgesehen. Die Sitzung musste stattfinden, und danach brachte er es in einer kurzen Erklärung wieder einmal fertig, sich auf Allgemeinplätze zu beschränken – außer der Forderung, dass Großbritannien bei Verhandlungen über die künftigen Beziehungen „sich nicht die Kirschen vom Kuchen klauben“ dürfe. Am Dienstag verbot auch Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem deutschen Bundestag den Briten das „cherry picking“. Sie meinte damit vor allem, dass keine Freizügigkeit für Geld, Waren und Dienstleistungen auf dem Binnenmarkt möglich sei ohne Freizügigkeit für Personen.

Der luxemburgischen Regierung geht es dagegen um den einheitlichen Bankenpass, der bisher Banken aus aller Welt erlaubt, von London aus EU-weit Geschäfte zu machen, ohne jeweils nationale Zulassungen. Behielte Großbritannien diesen Vorteil, ohne anderen Auflagen des Binnenmarkts zu unterliegen, wäre das ein wohl unfairer Wettbewerbsvorteil für die Londoner City. Verlöre das Land dagegen den Bankenpass mit dem Austritt aus der Europäischen Union, würde ein Teil der Finanzfirmen in London gezwungen, in die Europäische Union umzuziehen, nach Dublin, Frankfurt, Paris und weshalb nicht auch nach Luxemburg?

Um den zu erwartenden Vorwurf abzuwenden, er habe das Brexit verschlafen, erzählte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Mittwoch bei RTL, er habe bei Prospektionsreisen den Londoner Banken schon vor zwei Jahren empfohlen, „einen Plan B zu haben und an Luxemburg zu denken“. Er dachte dabei an „die Schweizer Banken, die auch keinen vollen Zugang zum Binnenmarkt haben“, ähnlich könnten die britischen Firmen Filialen in Luxemburg eröffnen, um Fonds zu vertreiben. Auch Xavier Bettel hielt es gestern nicht für nötig, dass die Regierung nun „hyperaktiv“ werde, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Luxembourg for finance habe in letzter Zeit 18 Mal das Vereinigte Königreich bereist. Allerdings hatte Pierre Gramegna sich im Radiointerview auch versöhnlich gegeben: „Wir wollen ihnen keine Geschäfte wegnehmen, wir wollen mit ihnen Geschäfte machen.“ Denn „London und deshalb auch Großbritannien sind unser wichtigster Partner für Finanzdienstleistungen, sowohl im Import wie auch im Export, vor Amerika, vor Deutschland“. Und dabei soll es bleiben, Brexit hin oder her.

Sollte der Zugang der Londoner City zum Europäischen Binnenmarkt tatsächlich erschwert werden, ist es aber nicht ausgeschlossen, dass Großbritannien diesen Standortnachteil durch eine Verschärfung des Steuerwettbewerbs und eine Lockerung der Aufsicht auszugleichen versucht. Das erhöhte den Konkurrenzdruck auf andere Finanzzentren und Steueroasen, auch und vor allem auf jene, die nicht nur unter die OECD-Bestimmungen, sondern auch unter die geplanten Regeln der Europäischen Union gegen Steuervermeidung und für mehr Transparenz fallen.

Verlässt Großbritannien die Europäische Union, muss auch die erst 2011 gegründete Europäische Bankenaufsichtsbehörde aus London einen neuen Standort suchen. Es würde sicher den Finanzplatz Luxemburg aufwerten, wenn sie auf den Kirchberg käme, wo es bereits die Euro­päische Investitionsbank und den Europäischen Stabilitätsmechanismus gibt. Und es hatte schon einmal eine, allerdings erfolglose, Kampagne von Regierung und Banken mit gediegenen Hochglanzbroschüren gegeben, um die Europäische Zentralbank nach Luxemburg zu locken. Um den Sitz der europäischen Bankenaufsicht zu beanspruchen, beruft die Regierung sich wieder auf EWG- und Euratom-Abmachungen aus dem Jahr 1965 über den Standort der europäischen Institutionen in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Danach habe Luxemburg ein Anrecht auf weitere Einrichtungen und Dienstleistungen „insbesondere im Finanzbereich“. Das Gerichtsurteil gegen Antoine Deltour kommt da etwas ungelegen.

Nach dem Austritt Großbritanniens werden die Karten in der Europäischen Union neu gemischt, nicht nur zwischen den Mitgliedsländern, sondern getreu dem Parkinson-Gesetz vielleicht auch zwischen den Institutionen. Das hofft jedenfalls der liberale Europaabgeordnete Charles Goerens: Es bestehe nun „eine ganz große Chance für das Europaparlament“, vorausgesetzt, dass es dafür sorgt, in den bevorstehenden Trennungs- und Reformprozess „von Anfang an eingeschaltet zu werden“. Da sind sich die sechs Luxemburger Europaabgeordneten aus vier Parteien einig. Sie sind eine Gemeinschaft von politischen Konkurrenten, die gleichwohl gemeinsame Interessen zu verteidigen haben. Deshalb war die kleine Landsmannschaft auch die erste, die sich am Freitag nach dem britischen Referendum schon zum Frühstück zu Wort gemeldet hatte, als die Regierung noch in ihrer außerplanmäßigen Kabinettsrunde zusammensaß.

Anders als ihre Parteikollegen auf dem Krautmarkt sind die christlichsozialen Europaabgeordneten eher zufrieden, den Briten los zu sein, die nicht einmal mehr der Europäischen Volkspartei angehören. „Besser eine ordentliche Scheidung als eine schlechte Ehe“, meinte Viviane Reding, selbst geschieden. Frank Engel mokierte sich über all jene, die die britischen Wähler bis zum letzten Augenblick angefleht hatten, für den Verbleib zu stimmen. Wütend sind die rechten Parlamentarier nicht auf die britischen Wähler, sondern auf die britischen Politiker, die David Cameron und die Boris Johnson, alles rechte Politiker, alles Ihresgleichen. Ihnen werfen sie explizit vor, aus parteipolitischer Taktik Chaos nicht nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa gestiftet zu haben, und implizit, vielleicht noch unverzeihlicher, die Kontrolle über ihre Wähler verloren zu haben.
Denn das europäische Projekt hat seine hegemoniale Kraft verloren, die es als Versprechen von Frieden, Entgrenzung und wirtschaftlichem Fortschritt ausstrahlte. Der ungehemmte Binnenmarkt und die institutionalisierte Austeritätspolitik im Euro-Raum lassen sich nicht mehr länger mit demokratischen Mitteln durchsetzen. Nicht die Brexit-, sondern schon die Grexit-Krise hatte es gezeigt, wie alle Wahlen, Referenden und Umfragen der vergangenen Jahre. Die Politik der Europäischen Union findet noch in den Parlamenten, aber nicht mehr in den Wählerschaften Mehrheiten. Bester Beweis ist der schleichende Vertrauensverlust im Großherzogtum, für das mangels Binnenmarkts die Europäische Union lebenswichtig ist wie zuvor der Zollverein und die Union économique belgo-luxembourgeoise. Unter solchen Bedingungen eine Volksbefragung zu organisieren, war politisch so selbstmörderisch wie das Referendum von 2015, das Xavier Bettel und Etienne Schneider im Übermut ihres Wahlerfolgs ausgeheckt hatten.

Da konnte Mady Delvaux, die einzige LSAP-Vertreterin im Europaparlament, nur hilflos aufzählen, wie „enttäuscht“, wie „traurig“ und wie voll „Bedauern“ sie ist. Denn den britischen Labour-Kollegen ist genau dasselbe passiert wie der LSAP bei dem Referendum 2005 über den Europäischen Verfassungsvertrag: Sie wurden wie keine andere Partei von den eigenen Wählern desavouiert, die dagegen stimmten, dass alles so weitergeht wie bisher, gegen die Armut in den verwüsteten Industrieregionen, gegen die konservative Regierung im Auftrag der Londoner City, gegen die Ausländer, die wohlfeilen Sündenböcke, die von den wirklichen Schuldigen ablenken müssen. Der Europaabgeordnete Claude Turmes warnte schon vor einer Rückkehr in die Dreißigerjahre mit ihren Wirtschaftskrisen und ihrem blutigen Nationalismus.

Über die Geschäftsbedingungen hinaus, unter denen Großbritannien die Europäische Union verlassen soll, beginnt mit einem im September in Bratislava geplanten Gipfel auch eine Diskussion über die künftige Ausrichtung dieser ­Union. Neben den nach jeder Niederlage üblichen und auch gestern im Parlament metapherreich angebotenen Versprechen, nun wirklich auf die Sorgen und Nöte der Bürger zu achten: Auf dem Gipfel in Brüssel war diese Woche die Begeisterung für die insbesondere von Sozialdemokraten geforderte Vertiefung der Integration ohne die britischen Bremser gering. Das Referendum in Großbritannien und die Wahlerfolge von Nationalisten in anderen Ländern fördern eher die Renationalisierung europäischer Politik rund um das Kernstück, den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung. Manche Regierungen wollen die Gelegenheit nutzen, um ein Kerneuropa des reichen Norden gegen die ärmere Peripherie, gegen den verschuldeten Süden und den nationalliberalen Osten, durchzusetzen, ein Europa der zwei Geschwindigkeiten.

Angesichts seiner Größe hat Luxemburg Interesse an einer Vergemeinschaftung zahlreicher Bereiche. „Grundsätzlich: Luxemburg muss sich immer mit an die Spitze der europäischen Inte­grationsbewegung stellen“, dekretierte Jean-Claude Juncker im Mai 2012, damals noch Premierminister. Außer es geriete in Konflikt mit den Geschäften des Finanzplatzes. Weshalb Juncker zwei Monate später der „verstärkten Kooperation“ zur Einführung einer gemeinsamen Finanztransaktionssteuer fern blieb. So können auch wieder neue Widersprüche zwischen Europapolitik und Finanzplatz auftreten.

Wenn die Karten in der Europäischen Union neu gemischt werden, läuft das Großherzogtum Gefahr, an Einfluss zu verlieren, umso mehr als sein Ansehen durch Luxleaks und Panama Papers weiter gelitten hat. Zudem birgt die selbst hierzulande wieder vermehrte Kritik an der „Brüsseler Bürokratie“ die Gefahr einer Stärkung des Ministerrats, das heißt weniger großer Länder. Da war das vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Wochenende organisierte Außen­ministertreffen der sechs Gründerstaaten ein Punktgewinn für Luxemburg, weil es zu einem erlesenen Kreis zählen durfte. Dagegen sprach sich am Montag die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nur mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem italienischen Premierminister Matteo Renzi ab, eine neue „Allianz“, die Claude Wiseler gestern missbilligte.

Zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge im März nächsten Jahres soll ein neuer Plan für die Zukunft der Europäischen Union vorliegen,und Xavier Bettel wünschte sich gestern, dass die euro­päischen „Sterne wieder in den Augen der Leute“ funkelten und sie „Lust auf Europa“ bekämen, wie der Wahlkampfslogan der Christlich-Sozialen Jugend vor mehr als einem Jahrzehnt lautete.

Hatte es diese Woche keine Mehrheit und keine Opposition im Parlament gegeben, sondern nur noch Luxemburger, so könnte das nächste Woche bereits ändern. Die CSV-Fraktion hat für Dienstag eine Aktualitätsstunde über des Brexits „Auswirkungen und Folgen für die Luxemburger Wirtschaft und unseren Finanzplatz“ beantragt. Dann dürfte Schluss mit der Europahymne sein und nachgerechnet werden, wer am vergangenen Freitagmorgen unvorbereitet von dem britischen Votum erwischt worden war, wer in den nächsten Jahren der bessere Lobbyist für Banken und Investitionsfonds sein wird.

Romain Hilgert
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