Theater

Staubwedel wider die Wilden

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2019

Der kleine blaue Globus passt in zwei hohle Hände. Ein Herr in beigefarbenem Siebzigerlook samt gestreifter Krawatte möchte den Versuch starten, die entzweiten Hälften wieder zu einen. Diese kleine handliche Welt im spießbürgerlichen Mobiliar eines Junggesellenzimmers ist aus den Fugen geraten. Es sind nicht die bekannten Fremden, jene Passanten also, die sich tagtäglich in sicherer Distanz ins anonyme Stadtbild fügen, es sind die „fremden Fremden“. Sie kommen. Und der deutsche Bürger muss aufrüsten, mit Molotow-Cocktail, von Fallersleben und Staubwedel.

Wer die Komik der Abschottung bisher nicht mit dem gebürtigen Prager Expressionisten Franz Kafka in Verbindung gebracht hat, kann dies seit Andreas Kriegenburgs dramaturgischer Collage von Klaus Wagenbachs Kafka-Sammlung Ein Käfig ging einen Vogel suchen. Darin werden insbesondere die Erzählungen Schakale und Araber, Blumfeld ein älterer Junggeselle und Der Bau mit einer ganzen Reihe musikalischer Intermezzi verbunden – vom Deutschlandlied über Bohemian Rhapsody bis hin zu Stayin’ Alive. Andreas Kriegenburg spielt hier mit einer Fülle an Einfällen und Besonderheiten, deren umfassende Deutung diesen Rahmen zweifellos sprengen würde, die aber konsequent ums Fremde kreisen.

Die Hauptrolle des Abends, die Kulisse im Grand Théâtre, besteht aus mehreren aufeinander gestapelten, sich gegenseitig durchbrechenden, trapezförmigen Zimmern, allesamt versehen mit identischem Mobiliar. Je höher ein Zimmer, umso krasser die Schräglage. Kriegenburgs Bühnenbild ist eine Welt, die sich hinter Gewöhnlichem abschottet, im Abspulen tagtäglicher Arbeitsgriffe Sicherheit findet und bei geringster Störung ins Wanken gerät. Es ist die Geschichte des Herrn Blumfeld, die auf der Bühne Gestalt annimmt. Dem Geschehen gesellen sich, in den Nebenzimmern und in gleichem Kostüm, weitere Blumfeld-Klone hinzu. Alle tragen sie Masken, um das Einerlei dieses Stellvertretertyps zu unterstreichen.

In denselben Kontext wird der „Bau“ eingefügt. Darin werden Planung und Verteidigung eines Tierbaus geschildert, errichtet, um die Vorstellung eines Walls gegen äußere Feinde zu perfektionieren. Die Arbeit führt das Tier am Ende in die Paranoia. Ein kaum hörbares, lediglich erahntes Zischen in den Wänden provoziert die Wandlung zum notorischen Einheizer, der in allem Fremden eine feste Bedrohung sieht: ein klarer Hinweis auf selbst ernannte Bürgerwehren.

Auch die Kurzprosa Araber und Schakale treibt Ein Käfig ging einen Vogel suchen in eine Dimension allgemeiner Hysterie, wie sie immer mehr von geistigen Brandstiftern gezündet und von keifenden Massen gelebt wird. Elias Arens, Laura Goldfarb, Jörg Pose und der Rest des Ensembles verstecken sich weitestgehend hinter Masken, so dass der Mimik der Darsteller wenig Raum gewährt wird. Diese Produktion des Deutschen Theaters Berlin besticht durch eine originelle Kulisse, deren Effekt bisweilen verpufft, dann aber wieder durch die umfangreichen Slapstick-Einlagen auf den unterschiedlichen Stockwerken dieses Gehäuses an Profil gewinnt. Der Slapstick wirkt nur selten albern, ist aufgrund seiner rhythmischen Abstimmung durchdacht und bedient konsequent die Motivik des in seinem Alltag aufgestörten Spießbürgers. Herausragend ist die Szene, darin die fünf Blumfeld-Klone sich gegenseitig in ihren Krawatten verheddern, sich nahezu daran erwürgen und in diesem Schauspiel beruhigt befinden, in dieser Enge fände ein „Sechster“ keinen Zutritt mehr.

Technokratische Form, die auf grotesken Inhalt stößt: Teilweise lässt sich Franz Kafkas Werk so definieren. Dieser Kafka ist aber ungewöhnlich, weil die Regie ihn auf das brandaktuelle Thema der Flüchtlingskrise, ja vor allem der irrationalen Rezeption auf dieselbe, festnagelt. Dieser Kafka ist aber vor allem ungewöhnlich, weil Kriegenburg bei seiner Umwandlung der Prosa ins Dramatische eine gehörige Schippe drauflegt. Seine Inszenierung ist schräg, himmelschreiend zynisch, choreografisch bizarr. Ob Kafka-Puristen diesem Theaterabend etwas abgewinnen können, sei dahingestellt. Das Deutsche Theater Berlin liefert jedoch eine Bühnenarbeit, die mit einem interdisziplinären Kunstwerk auf eine Farce des Clash of civilziations unserer Zeit aufmerksam macht.

Ein Käfig ging einen Vogel suchen von Franz Kafka; eine Produktion des Deutschen Theaters Berlin; Regie und Bühne von Andreas Kriegenburg; Kostüme von Andrea Schraad; Dramaturgie von Juliane Koepp; mit Elias Arens, Laura Goldfarb, Moritz Grove, Bernd Moss, Jörg Pose, Nele Rosetz, Natali Seelig, Lisa Quarg. Premiere im Februar 2016. Keine weiteren Vorstellungen in Luxemburg.

Claude Reiles
© 2024 d’Lëtzebuerger Land