Notizen zu Anstand und Würdelosigkeit

Was gibt es da zu lachen?

d'Lëtzebuerger Land vom 10.10.2025

Ja, es ist immer wieder schön, wenn ein Regierungsmitglied mit großer Geste und philosophischem Schwung über Leben und Tod doziert. Im Tageblatt-Interview vom 2. Juli 2025 sagte die Waffenbeschaffungsministerin Yuriko Backes wörtlich: „Sein Leben für sein Land aufs Spiel zu setzen, ist eine ehrwürdige Aufgabe.“ Da atmet man zunächst einmal tief durch. Was meint sie mit diesem tonnenschweren Satz? Wer ist mit dieser Propagandaparole visiert? Ist es nicht höchst bedenklich, dass auch der Großverbrecher Putin genau den gleichen Satz benutzt, um die russische Jugend hunderttausendfach in den Tod zu treiben?

Abgesehen davon, dass es wohl „ehrenvoll“ und nicht „ehrwürdig“ heißen muss, haben wir es hier mit einem Bekenntnis zu tun, das die Verantwortung des Staates nicht nur auf den Kopf stellt, sondern radikal in ihr Gegenteil verkehrt. Der wichtigste Auftrag einer Regierung war bislang, alles zu unternehmen, damit die Bürger/innen am Leben bleiben. Sie sollte alle Instrumente und Ressourcen in Bewegung zu setzen, um den Schutz des Lebens zu sichern. Wieso stellt sich plötzlich eine Ministerin hin und erklärt den Tod zum erstrebenswerten Allgemeingut? Und nicht nur das: Ihr zufolge ist der Tod „ehrenvoll“ und eine „Aufgabe“, also ein Auftrag und eine Pflicht. Die Bürger/innen sollen sterben „für ihr Land“. Wenn schon der Feind übermächtig ist, können wir ihm immerhin noch in einer Art Trotzreaktion unser Leben vor die Füße werfen. Am Ende bleibt auch die Frage, was an „unserem Land“ so verteidigenswert sein könnte, dass es den freiwilligen Tod rechtfertigt.

Zum Kontext: Die Ministerin versucht, die fast schon frenetische Militarisierung Luxemburgs zu legitimieren. Alle Mittel sind ihr recht, um vor allem die jüngeren Bürger/innen unter Druck zu setzen. Die Armee wird geschildert als eine Art Nirvana für motivierte Arbeitssuchende. „Maach deng Passioun zum Beruff a komm bei d'Arméi!“, heißt es in einer pathetischen Härebierg-Selbstdarstellung. „Gestäerkt duerch hiren Ekippegeescht, ass d’Lëtzebuerger Arméi eng dynamesch an innovativ Institutioun.“ Glaubt man der Ministerin, gipfelt diese „Passioun“ offenbar in der Bereitschaft, aus nationalistischen Gründen sein Leben zu opfern. „Dynamik“ und „Innovation“ laufen darauf hinaus, der Luxemburger Jugend kommende tödliche Schlachtfelder schmackhaft zu machen.

Man muss die jungen Menschen bedauern, denen in nächster Zukunft folgendes Werbeschreiben der Armee zuflattern könnte: „Hey kids, come to the army! Wir befreien euch garantiert von allen Sorgen. Lasst euch die Köpfe einschlagen, und ihr seid fein raus. Keine verzweifelte Suche nach einem Job, keine Wohnungsnot, keine soziale Verwahrlosung. Wir versprechen euch: Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, wie sie im aktuellen Pensionsreformwirrwarr angedacht wird, bleibt euch todsicher erspart. Wenn ihr dann nach eurem tödlichen Einsatz für die Heimat nach Hause zurückkehrt, wird euch ein schöner staatlicher Verdienstorden an den Leichensack geheftet. Und wenn die Militärmusik gerade auf Draht ist, spielt sie euch bestimmt einen bewegenden Trauermarsch. Hey kids, what are you waiting for?“

Friedliebende Menschen brauchen gewiss keine Ministerin, die ihnen nahelegt, im Ernstfall bis zum Äußersten Widerstand zu leisten. Sie werden von sich aus Frieden und Freiheit verteidigen, notfalls mit der Waffe in der Hand. Doch wieso sollten sie es für „ihr Land“ tun? Wenn sie für ihre Liebsten oder andere Menschen, die ihnen wichtig sind, das ultime Risiko auf sich nehmen, muss „unser Land“ gar nicht erst ins Spiel gebracht werden. Die Repräsentanten dieses Landes, die so vollmundig unsere kollektive Opferbereitschaft fordern, sind nicht unbedingt vertrauenerweckend. Man erinnert sich an das unbekümmerte Gelächter der Frau Ministerin, als sie bei der Waffenkirmes auf dem Härebierg stümperhaft mit Maschinengewehren hantierte. Kaum zu glauben, dass es hier mit letzter Dringlichkeit um Tod oder Leben geht. Der tollpatschige Auftritt der Ministerin spricht eine andere Sprache: Ehrgefühl und Selbstrespekt sind für sie Fremdwörter. Sie spielt mit den Ängsten der Bürger und glänzt lieber als Schauspielerin im militaristischen Variété. Unvergessen ist auch das Foto vom CEO Frieden, wie er gemeinsam mit Nato-Generalsekretär Rutte aus vollem Halse lacht (zu sehen zum Beispiel im Tageblatt vom 1.9.25). Als sei die Nato ein Amüsierclub unernster Staatsmänner, die allesamt nie in Schützengräben steigen müssen, wenn es hart auf hart kommt. Das dürfen andere für sie besorgen. „Mit dem Leben bezahlen immer die einfachen Leute“, schreibt der ukrainische Autor Artem Tschapaj (Die Zeit, 22.9.25).

Wie kann man vom Bürger Würde verlangen, wenn man selber völlig würdelos agiert? Die Waffenbeschaffungsministerin und der CEO warnen in Interviews eindringlich vor dem drohenden Krieg, benehmen sich aber, als hätten sie selbst mit der Bedrohungslage rein gar nichts zu tun. Sie prusten vor Lachen in einem Umfeld, wo es um todernste Gefahren geht. Wie wollen sie dem Bürger vermitteln, dass auf dem Härebierg und bei der Nato nichts weniger als das Überleben Europas thematisiert werden soll? In „unserem Land“ erlauben sich die Repräsentanten, lachend auf Distanz zu den eigenen Lippenbekenntnissen zu gehen. Aber die Jugend soll bluten und ihre „ehrenvolle Aufgabe“ erfüllen.

Wie der Zufall wollte, erschien am Tag nach dem Tageblatt-Interview die Wort-Kolumne „Wohin geht es diesen Sommer in Urlaub, Yuriko Backes?“ Antwort der Ministerin: „Mit der Familie eine Woche in den Süden in Italien und eine Woche in den Norden nach Dänemark. Den Rest zu Hause im Garten.“ Das ist eine verwunderliche Auskunft. Gibt es den Krieg plötzlich nicht mehr, die verschärfte Krise, den Ausnahmezustand, den die Ministerin noch am Vortag mit dramatischer Pose beschwor? Stehen die Zeichen vierundzwanzig Stunden später wieder auf heile Welt? Ist jetzt Sommerfrische angesagt und nicht mehr das erstrebenswerte Leichenhaus? Oder sollen die Aufopferungsbereiten ohne Beistand der Ministerin das Leben für „ihr“ Land lassen? Wahrscheinlich wirkt hier nur wieder das berühmt-berüchtigte „Luxemburger Modell“ mit seinem starren Klassengefüge: Die einen gehen in Urlaub, die andern halten den Kopf hin, damit die Urlaubsgebiete erhalten bleiben. Die Lebensfreude der einen erfordert die Todesfreude der andern.

Weitere Frage: „Was darf im Koffer auf keinen Fall fehlen?“ Antwort der Ministerin: „Bücher, Sonnenbrille und Sonnencreme. Musik.“ Ist das alles? Keine Drei-Tage-Überlebensration, kein Schutzhelm, keine Jodtabletten, nicht einmal eine Mini-Apotheke mit Wundspray und Heftpflaster? Seit wann sind Italien und Dänemark keine hochgefährdeten Feindesziele mehr? Oder ist die Kriegsgefahr in Europa gar nicht so akut, wie sie die Ministerin mit ihrem aufdringlichen Waffenkult immer wieder an die Wand malt? Gibt es im Nato-Bering etwa geheime Reservate für Staatsvertreter mit Urlaubsbedarf für die ultime Erholung vor dem großen Knall? Man kann nur hoffen, dass die Todesaspiranten auf dem Härebierg von diesem ministeriellen Bonus keinen Wind bekommen. Sonst könnte es passieren, dass sie dem „ehrenvollen“ Tod gar nicht mehr ins Auge schauen möchten.

Die letzte Interview-Frage lautete: „Wenn Sie Donald Trump an der Hotelbar treffen würden, über was würden Sie sich gerne mit ihm unterhalten?“ Antwort der Ministerin: „Über die Vorbildrolle von Politiker/innen.“ Sie würde dem globalen Verbrecher aus Washington also unter die Nase reiben, dass Politiker/innen exemplarisch zu sein haben. Angenommen, sie meint es ernst: Worauf wartet sie? Wieso beweist sie nicht ihren Vorbildcharakter? „Pro patria mori“ kann ja nicht nur ein wohlfeiler Slogan sein, dem sich Regierungsmitglieder nicht verpflichtet fühlen. Oder will die Ministerin doch lieber Urlaub machen und ihre Verantwortung auf andere abwälzen? Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.^

Guy Rewenig
© 2025 d’Lëtzebuerger Land