Die kleine Zeitzeugin

Möge es frommen und bekommen!

d'Lëtzebuerger Land vom 03.01.2020

Vorbei, bye, bye! Zu diesem Anlass lassen wir es krachen oder schauen zu, wie andere es krachen lassen, nicht ohne den Kopf digital zu schütteln und was zu Hunden, Alten, Kleinkindern, Feinstaub zu posten. Männer kommen bei so was nie vor, als wären sie keine schützenswerte Unart. Dabei sind sie die vom Aussterben Bedrohtesten, es gibt Studien dazu!

Was und wen man mit dem Geld nicht alles retten könnte, denken alle denkenden Menschen und posten diese Einsicht, aber dann posten sie doch auch das Freedefeier und prosten einem Knallkopf zu. Nur die echten Profis, die Ur-Oldies, suhlen sich schon im Pfuhle und maulen, während ihre Hunde jaulen. Haben sie alles hinter sich, schnarch, alle Silvester überlebt, früher, da waren das noch echte, als die Manns- die Weibsbilder überfielen bei Schlag zwölf, Köln 2016 war nichts dagegen. Da war noch was los, gähn.

Aber wer kann nicht so einen Blumenstrauß am Himmel brauchen in den rauen Nächten, die mit prophetischen Träumen aufwarten, morgens wiederkäut man sie beklommen? Weil, schön ist es ja dann doch, wenn da oben im Feinstaubnebel was erblüht, verglüht wie wir eh dann bald alle, in äh … wieviel Milliarden Millionen Jahren? Nein, du Klimakatastrophenkatastrophe, all das steht schon vor der Tür: Glut, Hitze, Welle, nicht aufgepasst letztes Jahr?! Nachs(chw)itzen bei Greta!

Raus aus dem SUV, und sattle schon mal Schusters Rappen! Vielleicht kann die alte Degeneration ja noch Buße tun? Das Jüngste Gericht ist nämlich unbestechlich, es lässt sich nicht von Augenwischerei und Oldie-Geflenne vom Ziel abbringen, Klimaziel heißt das. Und sie werden immer strenger, jetzt ist nicht nur der bewährte alte weiße Mann dran, er hat es in diesem Jahr zum Alten Weißen Mann gebracht, nein, jetzt knöpfen sie sich auch die alte weiße Frau vor. In Deutschland gar in ihrer herzallerliebsten Verkörperung, der der Oma. Ja Kinder, geht es denn noch? Rotkäppchen hat Wald und Wolf getrotzt und der Oma, die im Bett chillte, Wein an dasselbe gebracht, das waren noch Zeiten! Aber kaum will sich alte Linke rechtschaffen empören, Oma-Bashing, Ageismus, schnappen ihr die Rechten den fetten Empörungsbrocken weg, das ist jetzt denen ihre Empörung. Das ist urfies, das machen die andauernd. Wenn frau Frau Rowling nicht gar so bös findet, obschon die glaubt, dass es Frauen und Männer gibt, und Frau Schwarzer nicht gar so schlimm findet, weil die Burkas schlimm findet, findet sie sich plötzlich unter Furcht erregenden Freund_innen wieder.

So wird das Leben natürlich immer komplexer und komplizierter mit all den Nebennebenwidersprüchen, denen wir noch schnell widersprechen müssen. Und bis wir das letzte Schamhaar gespalten haben – Huch! Schamhaar, ist das noch sagbar?, noch tragbar? – werden knallharte Fakten geschaffen. Während wir uns gegenseitig emporschaukeln in himmelschreiender Empörung und uns gegenseitig abknallen in den Foren, während die Primitivität professionalisiert wird, man nennt es Campaigning, werden knallharte Fakten geschaffen. Der Anti-Rassist und Menschenrechtler Recep Tayyip Erdogan macht Kurdistan alle, eine echte Rechte spinnt ihre Blutfäden durch die Kontinente. Und Julian Assange schmort. Wer will ihn, wer braucht ihn, Held von gestern, gehören Helden nicht auf Friedhöfe? Dann auch noch ein Demokratie-Held, wie dämlich unsexy klingt das?

Und die bosnischen Flüchtlingslager und die armen Kinder auf Lesbos und die armen Kinder in Luxemburg. Ja, alle noch da. Immer noch.

Der Großherzog ermahnt uns wegen einer Relativierung der Werte. Im Lenz wird Prinzessin Stefanie eines Kindleins genesen.

Ein Jahr ist weg, und es kommt nicht zurück. Angeblich kriegen wir ein neues.

In Chaville ist der vom Nobelpreistragen ermüdete Heimkehrer eingetroffen. Er installiert sich neben einem Still-Leben aus selbst aufgeklaubten Äpfeln und selbst gesammelten Pilzen, ein zart modriger Geruch steigt auf.

Morgen geht es wieder zu den Pilzen, nach dem Hochamt.

„Und so weiter. All das schöne Undsoweiter. All das schöne Undsoweiter“, schrieb der Dichter mir hinter die Ohren.

Doch ein guter Schluss für einen neuen Anfang.

Michèle Thoma
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