Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Die Ballade von Herrn Mittal

d'Lëtzebuerger Land du 18.09.2020

Manche halten die Stahlindustrie in Luxemburg für eine „industrie crépusculaire“. Vielleicht weil Arcelor-Mittal sich ziert, die Geschäftsergebnisse seiner Luxemburger Werke an die große Glocke zu hängen. Vergangenes Jahr bilanzierte Arcelor-Mittal Belval & Differdange S.A., der seit 2018 auch das Werk von Rodange gehört, einen Gewinn von 360,4 Millionen Euro. Arcelor-Mittal Bissen & Bettembourg S.A. war mit 4,9 Millionen Euro dabei. Einschließlich Arcelor-Mittal Finance S.C.A. wies die Dachgesellschaft der Luxemburger Firmen, Arcelor-Mittal Luxembourg S.A., 2019 einen Gesamtgewinn von 1 048 549 721,75 Euro aus.

Um die Mannstunden pro Tonne weiter zu senken, hatte die Direktion von Arcelor-Mittal Luxembourg S.A. vor genau einem Jahr einen „Plan de transformation Score“ vorgelegt. Er sah den Abbau von etwa 260 Arbeitsplätzen in den Luxemburger Werken vor – neben den üblichen Leiharbeitern.

Drei Monate nach Ausbruch der Corona-Seuche kam am 20. Mai die Jahresversammlung von Arcelor-Mittal Luxembourg S.A. zusammen. Inmitten der wirtschaftlichen Unwägbarkeiten wäre es ratsam gewesen, den Gewinn in den Luxemburger Werken zu belassen. Auf Vorschlag des Verwaltungsrats – dem auch Prinz Guillaume, Vertreter des Wirtschaftsministeriums, von OGBL und LCGB angehören – beschloss die Jahresversammlung, eine Milliarde Euro Dividenden an das Mutterhaus Arcelor-Mittal S.A. auszuzahlen. Dies hatte 13,341 Milliarden Dollar Verluste bilanziert.

Am Donnerstag vergangener Woche stellte das Direktionskomitee von Arcelor-Mittal Luxembourg S.A. fest, dass die Corona-Folgen „represent a serious threat to ArcelorMittal’s industrial and administrative activities in Luxembourg“. Deshalb gab es seinen „Plan de transformation Score“ auf und beschloss kühn, doppelt so viele Arbeitsplätze abzubauen: 353 in den Fabriken und 225 in den Verwaltungen.

In einer Presseerklärung begründete die Direktion den Stellenabbau mit „an unprecedented 26% decline in European automotive production“. Arcelor-Mittal Luxembourg S.A. produziert laut seiner eigenen Internet-Seite Spundbohlen, Träger, Schienen und Draht – aber keine Bleche für die Automobilindustrie. Eine zweite Erklärung lautete, dass „in the second quarter, activity in the construction sector dropped by 15% in the euro zone“. Eine vorübergehende Schrumpfung des Marktes um 15 Prozent ist ohne Stellenabbau aufzufangen. Umso mehr als die Luxemburger Werke stolz darauf sind, statt Betonstahl für die Großregion Spundbohlen und Grey-Träger für den Weltmarkt herzustellen.

Nun ist die Generaldirektion, die sich seit Jahren gegen die Tripartite als Angriff auf ihre Gewerbefreiheit wehrt, zu einer Stahltripartite bereit. Sozialdemokratische Minister und Gewerkschaftsfunktionäre halten Frühpensionen und Cellule de reclassement bereit, um die sozialen Kosten der Produktivitätssteigerung zu verstaatlichen. Zum Dank wird Arcelor-Mittal Luxembourg S.A. die Zahl der abgebauten Arbeitsplätze am Ende symbolisch senken. Dann dürfen sich die Minister und Gewerkschaftsfunktionäre als erfolgreiche Kämpfer im Interesse der Arbeiterklasse feiern lassen. Sie werden schließlich noch gebraucht.

Romain Hilgert
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