Amtliche Statistiken sollen mit mathematischer Präzision politische Entscheidungen rechtfertigen. Deshalb werden sie maßgeschneidert. Hierzulande geschieht das je nach Bedarf durch die Addition oder Subtraktion ausländischer Arbeitskräfte, Konsumenten und Kapitalien. Die Covid-19-Statistiken sind das jüngste Beispiel dieses Brauchtums.
Seit 20 Jahren berechnet das Statec die Preisentwicklung einmal als Indice des prix à la consommation harmonisé und einmal als Indice des prix à la consommation national. Der EU-weit einheitliche Index dient dem internationalen Vergleich, der nationale der Anpassung der Löhne und Renten. Im nationalen Index sind unter Verweis auf den Tanktourismus die Treibstoffpreise geringer gewichtet. So werden Indextranchen seltener fällig.
Die Europäische Kommission schreibt vor, wie das Bruttoinlandsprodukt errechnet werden soll. Das Statec bevorzugt seine Modux- und Com-Lux-Modelle, um die Erträge der Finanzbranche stärker zu gewichten. Der Conseil national des finances publiques bügelt lieber kurzfristige Veränderungen des BIP nach Hodrick und Prescott aus. Die Ergebnisse der vier Rechenarten variieren um Hunderte Millionen Euro jährlich.
Zur Institutionalisierung der Austeritätspolitik müssen die Euro-Staaten ihre Haushaltspolitik einem mittelfristigen strukturellen Saldo unterordnen. Neben der Berechnung des Saldos durch die Europäische Kommission erfanden zwischen 2014 und 2015 das Statec, das
Finanzministerium, der Conseil national des finances publiques und die Zentralbank gleich vier eigene Methoden. Ihre Ergebnisse liegen bis zu 300 Prozent auseinander.
Um die Infektionszahlen im internationalen Vergleich zu schönen und Grenzkontrollen zu verhindern, verdrängte das Gesundheitsministerium schrittweise die Grenzpendler aus seinen täglichen Covid-19-Statistiken. Bis Ende März veröffentlichte es einfach die Zahl der „personnes infectées“ oder „cas confirmés“. Am 31. März wurde die Gesamtzahl der „personnes testées Covid-19 positif“ erstmals nach „résidents“ und „non-résidents“ aufgeschlüsselt. Ab dem 13. Juni wurde nicht mehr die Gesamtzahl der Infizierten angegeben, sondern bloß die Zahl der „personnes testées Covid-19 positif (résidents)“, am 1. August der „Nombre de tests PCR effectués (sur résidents)“. Die Zahl der infizierten Grenzpendler rutschte in eine Fußnote. Bis am 27. August nur noch die „Personnes testées positives au Covid-19“ angezeigt wurden, ohne Hinweis darauf, dass es sich bloß um die im Land Ansässigen handelt. Die Zahl der infizierten Grenzpendler ist nun ein Staatsgeheimnis.
Auf dem bisherigen Höhepunkt der Seuche bekamen verschiedene Grenzpendler kostenlose Hotelaufenthalte angeboten. Nun müssen sie sogar die Statistiken räumen. Dabei sind in den besonders gefährdeten Branchen wie Gesundheitswesen, Einzelhandel und Gaststättengewerbe besonders viele Grenzpendler beschäftigt. Anders als Statistiker fragen Viren nicht nach dem Wohnsitz von Leuten, die den ganzen Tag über hierzulande arbeiten.