Kino

Läuterung mit Pfannkuchen

d'Lëtzebuerger Land vom 11.09.2020

Filmische Geschichten, die ums Essen kreisen, sind häufig dem Phänomen des Feel-good movie verpflichtet. Sie erzählen von der Annäherung von Menschen durch schmackhafte Reize und sind auf die affektive Erzeugung von Wohlgefühl und Lebensfreude angelegt. Die geschmackvollen Reize in Adam sind die marokkanischen Spezia-litäten Msemen und Rziza, das sind Arten von Pfannkuchen, die man mit Käse oder Schokolade füllt. Die marokkanische Regisseurin und Drehbuchautorin Maryam Touzani geht in ihrem ersten Langspielfilm, der im Frühjahr vergangenen Jahres bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt wurde, besonders auf die Beschaffenheit und die Machart dieser Backwaren ein.

Der Filmtitel könnte in seiner Zentrierung auf der Idee von „Männlichkeit“ irreführender nicht sein, denn Adam ist in erster Linie eine Erzählungen von weiblicher Solidarität, Mutterwerden und Muttersein: In einer kleinen marokkanischen Bäckerei öffnet die Witwe Abla (Lubna Azabal), Mutter der kleinen Warda (Douae Belkhaouda), allmählich ihr Herz für Samia (Nisrin Erradi), eine junge, unverheiratete, schwangere Frau, die sie in ihr Haus aufnimmt. Der modernistischen Tendenz des Films verpflichtet, steigen wir in medias-res in die Handlung ein. Touzani belässt die Umstände der Schwangerschaft im Unklaren, lässt aber Assoziationen zu den religiösen Normen in Samihas gesellschaftlichem Umfeld zu. Die sehr unterschiedlichen Porträts beider Frauen stellt Touzani sehr demonstrativ und direkt gegenüber: Abla ist die verbitterte und isolierte Witwe, Samia der junge etwas übermütige Eindringling, der Abla läutern wird – in der Küche, beim Backen, beim Essen.

Die Analogie zwischen dem weiblichem Schoß und dem Backofen zeugt von einer gewissen Überdeutlichkeit, so sehr setzt Touzani auf die Verbindung zwischen Samias Schwangerschaft Samias und Ablas Bäckerei: Die sorgfältig kadrierten Einstellungen der hochschwangeren Frau, ihr angestrengter Gang, die schwere Atmung, die schnelle Erschöpfung wechseln sich ab mit der rhythmisierten Montage der Küchenszenen, der Vermischung von Mehl und Wasser, dem Formen des Teigs. Touzani beschreibt beides als einen Prozess der Sinnlichkeit und als Akt der kreativen Schöpfung. Nisrin Erradis feine Gesten wirken dabei wie in ihren Körper eingeschrieben; davon zeugen die sorgfältigen Großaufnahmen ihrer Hände und der Finger.

Großes Wohlfühlkino, in dem die Glücksmomente überwiegen, ist das dennoch nicht: Die Regisseurin hat betont, dass beide Frauen Gefangene ihrer selbst seien und die Erzählung sich aus persönlichen Jugenderinnerungen nähre. Was Adam in seiner vorsätzlich beklemmenden Wirkung im Allgemeinen ausmacht, ist die Reduktion und Konzentration auf wenige Sets und die Kulmination der Handlung an ein- und demselben Ort; das macht seine filmische Intensität aus. Adam zeigt eine einengende Welt der Verdrängung und der Isolation, und so wird die klare Idee des filmischen Innenraums immer prominenter. Zusammen mit ihrer Kamerafrau Virginie Surdej findet Touzani dafür die passende ästhetische Ausleuchtung, und trotzdem führt die Regisseurin ganz bewusst und doch wie beiläufig den Außenraum in ihrem Film mit: Bilder von streitenden Passanten auf der Straße verweisen auf einen geschäftigen Raum außerhalb, vorbeifliegende Möwen deuten auf einen nahegelegenen Strand hin. Das Schauspielpaar Azabal-Erradi durchläuft die bekannten Stationen der Läuterung, welche die Handlung in bekannter Manier stukturieren. Erzählt wird aus dem Leben zweier Frauen mit einer ganz respektvollen Haltung, die in klassischer Arthouse-Manier keine überaus dramatischen Wendepunkte markiert, sondern vielmehr Momente bedächtiger Einsicht und sukzessiver Akzeptanz in den Vordergrund stellt. Das macht aus Adam keine allzu originelle, aber eine dennoch unwiderstehlich sensible Variation des Themas von der sehr persönlichen Beziehung zwischen Gast und Gastgeber.

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Marc Trappendreher
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