Der linke Abgeordnete Marc Baum brachte den Revisionsvorschlag ein. Alle Parteien wollen die Freiheit des Schwangerschaftsabbruchs in die Verfassung schreiben. Nur die ADR ist dagegen. Bemerkenswert ist die Begründung: ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA. Die von Donald Trump ernannten Richter ermöglichen wieder Abtreibungsverbote.
Wie in Frankreich soll die Verfassung das Abtreibungsrecht vor Natalisten, Fundamentalisten schützen. Derzeit regelt ein Gesetz Abtreibungen. Das Parlament kann es mit 31 Stimmen einschränken, abschaffen. Vielleicht kommen einmal die ADR, die rechten Law-and-Order-Flügel von CSV, DP auf eine Mehrheit. Vergangenes Jahr verteidigten sie gemeinsam das Steuerdumping. Um ein Verfassungsrecht abzuschaffen, bräuchten sie 40 von 60 Abgeordneten.
Mit der Verfassungsänderung bereiten sich die Abgeordneten auf eine Machtergreifung vor. In den USA ist die Faschisierung weit fortgeschritten. In vielen europäischen Staaten sind rechtsradikale Parteien in der Regierung. In anderen stehen sie kurz davor. Im Europaparlament verbünden sich Konservative mit Rechtsradikalen.
„You might consider us an encapsulated volume of pre-Fascist space-time, forever on the move“ (Thomas Pynchon, Shadow Ticket, New York, 2025, S. 279). Die Abgeordneten halten das Großherzogtum nicht für immun. Internationale Entwicklungen kommen mit der üblichen Verspätung der Provinz auf die Metropolen. Das Vertrauen der Abgeordneten in die liberale Demokratie, in das Proporzwahlrecht, in ihre Wählerschaft hat Grenzen. Vor 90 Jahren brachten die Ahnen von CSV, DP den Entwurf des Maulkorbgesetzes ein.
Der Schutz des Abtreibungsrechts ist nicht die einzige Vorbereitung. „D’Chamber huet elo decidéiert, datt mer eng Étude maachen, wou mer déi demokratesch Institutiounen e wéineg ënner Stress setzen. Fir ze kucken, wéi resistenzfäheg se sinn, wann ee wéilt se ugoen, se ukrazen a se ofschafen.“ So Kammerpräsident Claude Wiseler im Mai. „Wann also géing eng Partei un de Pouvoir kommen hei zu Lëtzebuerg, demokratesch gewielt, déi wëlles hätt, d’Demokratie ofzeschafen. Wéi kënne mer garantéieren, datt véier, fënnef Joer dono d’Demokratie nach existéiert“ (chd.lu/lu/node/2861).
Nach dem Vorbild der Europäischen Zentralbank ordnete die Kammer einen „Stresstest“ an. Nächstes Jahr soll ihre Cellule scientifique ein juristisches Gutachten vorlegen: Wie leicht die Demokratie mit demokratischen Mitteln abgeschafft werden kann. Wie schnell Gewaltenteilung, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit aufgehoben werden können. Wie einfach Justiz, Verwaltung gleichgeschaltet werden können.
Die Staatsorgane, die Ausgestaltung des Staates passen sich den Besitz-, Macht-, Produktionsverhältnissen an. Eine wirtschaftliche, soziale Krise kann sie verändern. Allgemeine, freie, geheime Wahlen können ein autoritäres, identitäres Regime hervorbringen.
Gegen ein solches Regime wollen die Abgeordneten die aktuelle Ausformung des Staates verteidigen. Sie haben parteiübergreifende Interessen daran: Die liberale Demokratie gewährleistet ihre Wiederwahl, ihren Politikerberuf. Sie fürchten, überflüssig zu werden.
Die Finanzbranche, die Exportindustrie haben nichts Prinzipielles gegen die Unterdrückung der Gewerkschaften, gegen eine „simplification administrative“ mit der Kettensäge. Doch einstweilen bleibt die Berechenbarkeit von Staat, Verwaltung, Justiz wichtiger fürs Geschäft.
Gegen die drohende Faschisierung hilft nicht die Resilienz der Verfassung, der Institutionen. In den USA knickten Parlament, Justiz, Bürokratie, Armee widerstandslos ein. In Frankreich will der Rassemblement National nach einem Wahlsieg die nationale Revolution mit einem Verfassungsreferendum durchsetzen.
Die Verfassung, die Institutionen werden eine autoritäre, kriegerische, gnadenlose Ausgestaltung des nächsten Akkumulationsregimes nicht verhindern. Sie werden sich ihr anpassen. Nur im Sozialdialog wird sie vielleicht nicht zu haben sein.