Astronomen und Naturschützer kämpfen gegen Lichtverschmutzung

„Rettet die Nacht!“

d'Lëtzebuerger Land vom 18.04.2014

Wohin ist bloß die Milchstraße verschwunden? „Es gibt bei uns kaum mehr wirklich dunkle Gebiete“, klagt Matthias Engel, Ingenieur und Hobby-Astronom in Stuttgart. Wenn er sein Teleskop gen Himmel richtet, sieht er immer weniger: Schwach leuchtende Sterne, Kometen, Gasnebel und Galaxien haben keine Chance gegen Straßenlampen, Tankstellenwerbung, Scheinwerfer. Kunstlicht überstrahlt jede Sternschnuppe. An den Anblick von Polarlichtern, der auch in Mitteleuropa manchmal möglich wäre, ist im Umkreis des Stuttgarter Flughafens nicht einmal zu denken.

Als Engel anfing, sich mit dem Thema Lichtverschmutzung zu beschäftigen, also mit „unnötig abgestrahltem Licht und Streulicht“, erkannte er bald, dass nicht nur der Sternenhimmel abhanden kommt: „Man kann auch andere weitreichende Probleme nicht einfach ignorieren.“ Einen Tag-Nacht-Rhythmus haben schließlich nicht nur Eulen und Füchse, sondern auch Menschen. „Durch Licht wird zum Beispiel unsere Körpertemperatur gesteuert“, erläutert Engel. „Und die Blaulicht-Anteile wirken auf unser Hormonsystem.“ In kaltweißem, blauem Kunstlicht wird das Ruhe-Hormon Melatonin nicht ausgeschüttet – welche Folgen das für unsere Gesundheit hat, weiß man noch nicht so genau.

Das Kunstlicht-Großexperiment läuft schon, seit vor rund 200 Jahren die ersten Straßenlaternen aufgestellt wurden, aber um mögliche negative Auswirkungen sorgt man sich erst seit kurzem. Im deutschen Forschungsverbund Verlust der Nacht, der vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie geleitet wird, arbeiten seit 2009 Chronobiologen und Historiker, Astronomen und Ökologen, Stadtplaner und Techniker zusammen. Zur internationalen Konferenz Artificial Light at Night kamen im vergangenen Oktober mehr als 120 Wissenschaftler aus der ganzen Welt nach Berlin.

Erste Ergebnisse sprechen dagegen, den Naturschutz um 17 Uhr Feierabend machen zu lassen: Über Bodenstrahlern werfen Bäume im Winter ihr Laub nicht ab. Zugvögel werden durch helle Hochhäuser verwirrt und knallen in Fassaden. Aale und Lachse trauen sich unter beleuchteten Brücken nicht durch. Angestrahlte Fische vermehren sich nicht, sondern stecken alle Energie ins Wachstum – gut für Aquakulturen, in der freien Natur aber eher schädlich. Laternen ziehen wie Staubsauger aus der Umgebung Insekten an, die dann erschöpft im Lichtkegel sterben oder von Spinnen abgeschlachtet werden. So kommen ganze Nahrungsnetze durcheinander. In Mitteleuropa sind ein Drittel aller Wirbeltiere und mehr als zwei Drittel der Wirbellosen, zum Beispiel die meisten Schmetterlinge, nachtaktiv: Sie sind auf schwaches Naturlicht eingestellt.

In Slowenien und Italien lobbyierten Hobby-Astronomen erfolgreich für Gesetze zum Schutz der Nacht. Davon ermutigt, gründete Matthias Engel mit sechs Mitstreitern eine Initiative für den Erhalt natürlicher Dunkelheit über der Schwäbischen Alb. An deren Rändern blenden zwar die riesigen Lichtglocken von Stuttgart und Ulm, aber in den finsteren, pardon: den sternenhellen Kerngebieten bei einem ehemaligen Truppenübungsplatz ist die Milchstraße noch gut zu sehen. Ähnliche Sternenpark-Projekte gibt es zum Beispiel für den Nationalpark Eifel, das Biosphärenreservat Rhön und den Naturpark Westhavelland, wo nur 70 Kilometer westlich von Berlin der dunkelste Ort Deutschlands gefunden wurde.

Damit die Aussicht in die Weiten des Universums bleibt, tingeln die Sternenfreunde nun unermüdlich durchs Land, verteilen Flyer Rettet die Nacht! und werben für umweltgerechte Außenbeleuchtung: abgeschirmt, warmweiß, maßvoll und energieeffizient. „Für neue Laternen vergibt meist der Bürgermeister den Auftrag, der Gemeinderat entscheidet dann bei Tag, und den meisten ist es egal“, berichtet Engel von seinen Bemühungen. „Dabei ist jetzt die Gelegenheit: Ab 2015 sind in der Europäischen Union Quecksilberdampflampen verboten, und die neuen LED-Leuchten werden die nächsten 30 Jahre stehen.“ LED-Lampen sind nicht nur billiger, sondern auch heller als ihre Vorläufer – da besteht die Gefahr, dass sinnlos aufgeblendet wird.

Immerhin sind Ökologie und Ökonomie sich einmal einig: An Fassaden und Werbetafeln vorbei ins Weltall zu leuchten, ist reine Verschwendung. Die Stadt Wien spart seit 2008 pro Jahr mehr als 200 000 Euro allein dadurch, dass die „Halbnachtschaltung“ von Mitternacht auf 23 Uhr vorverlegt wurde. Die Halbierung der Beleuchtungsstärke stört dabei kaum jemanden: Unser Auge unterscheidet bei der Gesamthelligkeit nur Zehnerpotenzen. Wenn eine ganze Straße gleichmäßig abgedunkelt wird, bemerken wir das erst, wenn es zehn Mal dunkler wird.

Moderne Großstädter wissen nicht einmal, was ihnen im Lichtsmog alles entgeht. Der Tübinger Physiklehrer Till Credner macht deshalb für die Sternenpark-Initiative beeindruckende Fotos vom Nachthimmel; er organisiert auf der Schwäbischen Alb auch Sternenführungen und „Meteorcamps“ zum Sternschnuppen-Schauen. Den Schwaben soll es nicht so gehen, wie den Kaliforniern: Als 1994 in Los Angeles der Strom ausfiel und es nachts tatsächlich einmal finster wurde, bekam die Polizei aufgeregte Meldungen, am Himmel seien so seltsame Lichter und eine große silbrige Wolke. Die verstörten Anrufer hatten zum ersten Mal Sterne gesehen.

Der Skripten-Band Schutz der Nacht – Lichtverschmutzung, Biodiversität und Nachtlandschaft des deutschen Bundesamts für Naturschutz gibt einen Überblick zum aktuellen Wissensstand: www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/service/Skript_336.pdf
Martin Ebner
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