Stresstest Lëtzebuerg

Säure im lieblichen Tropfen

d'Lëtzebuerger Land du 10.02.2012

2010 reist der gebürtige Ungar Hagen Rether mitsamt Flügel durch das deutsche Bundesgebiet und sorgt mit seiner zynischen Betrachtung von Friedenseinsätzen und interkulturellen Scheindebatten, aber auch mit nachdenklichen Zwischentönen für Schmunzeln, für Sprachlosigkeit. Als der Pfälzer Kabarettist Klaus Peter Schreiner (Jahrgang 1930) sich anlässlich des Aschermittwochs der Kabarettisten im Jahre 2008 in sprachlichem Schliff über die Würde des Menschen im Alter und die bestehende Pflegestufenregelung auslässt, lachen nur die Hartgesottenen, zögerlich, in beschämtem Basston. Das restliche Publikum ist derweil bestrebt, den Knoten in der Gurgel zu lösen, weil das Lachen im Halse stecken bleibt.

Und eben dieser Klaus Peter Schreiner taucht in der Liste des diesjährigen Peffermill(ch)en-Programms Stresstest Lëtzebuerg mit einem ins Luxemburgische übersetzten politischen Wortspiel auf. Trotz dieser Feststellung spreche ich Fons und Denise Ruppert, Regisseur beziehungsweise Darstellerin, darauf an, warum sich die luxemburgische Kabarett-Szene so schwer damit tut, sich an die gepflegte Bösartigkeit jener Rethers, Schreiners und Schramms heranzuwagen. „Diese Kritik kann ich umgehend unterschreiben“, bestätigt Fons Ruppert. „Die deutsche Kabarett-Szene darf sich leider sehr viel mehr Biss erlauben. Es gibt aber aus rein demografischen Gründen zu wenig Nachfrage im Großherzogtum. Gefälliges und Anspruch müssen sich die Waage halten“, gesteht der leidenschaftliche Sammler von bekannten und unscheinbareren Kabarett-Beiträgen vor allem der deutschen Szene ein. Persönlich legen beide Wert auf Kabarett „mit zwei t“, also das politisch-sozialkritische Kleinkunstprogramm.

Andy-National, „de Premier“, „Heng“, „’t ass Kriiss“ und – natürlich – die „Carte Kaktüss“ werden auf luxemburgischen Bühnen somit im Dutzend aufgetaut und aufgetischt. Da sorgt auch schon mal ein „buppen“ für Schenkelklopfer. Bekömmliches wird mit einem Glas lieblichen Weines hinuntergespült. Zwischentöne machen sich rar. Noch dazu fehlt zu oft die Säure im Gemisch. Nicht unbedingt Griffe unter die Gürtellinie, aber zumindest solche deutlich in die Nabelregion, davon sollte gutes Kabarett auch leben. Mehr Schmunzeln und Staunen denn Grölen, selbst am wohlverdienten Feierabend.

Auch das Programm der Peffer[-]mill(ch)en rollt Altbewährtes wieder auf, „Te Deum“ und „Dillebourg“, „Militär“ und „Mittal“ werden zum x-ten Mal aufgewärmt. Und doch: Auftritte wie etwa „Ech si gestresst“ mit Josianne Fritz über die institutionelle Versorgung unserer Kinder sowie „Wonnerkanner“ mit Monique Reuter über den elterlichen Selbstverwirklichungswahn entpuppen sich als glanzvolle Momente dieses Programms. Auch der „Onkrautrappert“ entlarvt die luxemburgische Haltung gegenüber Asylanten, die wie Haustiere eingestellt werden, um unsere Gärten zu pflegen und uns rundum zu verwöhnen: „Méi ee praktescht Hausdéier fënns de net. Ech brauch mir et net laang z’iwwerleeën. Ech well och en Asylant. Et ass jo awer e Mënsch. Just vläit méi en däischteren. Sou een tëscht Terracotta an Ocker. Da passt hien a mäi Living.“ Der Luxemburger Spießbürger trifft auf die Schattenseite der Globalisierung.

„Dat do geet awer elo wirklich e bessen ze wäit“: Dieses Leitmotiv stellt Monique Reuter den meisten ihrer Solo-Auftritte voran. Es untermauert die in diesem Beitrag anklingende Forderung nach mehr Wagnis und weniger Bekömmlichkeit in erfrischend selbstironischem Ton. Keine Frage: Die „Haffs“ müssen auf die Bühne, der 20. Kalauer über die Nationalflaggen-Debatte lässt das Bierchen besser rutschen. Die vereinzelt gesetzten Stiche tief ins Fleisch unserer Selbstgefälligkeit sind jedoch von Belang und damit sehr viel wohltuender. Sie gehen ganz und gar nicht „zu weit“.

Gerecht werden wir dem Satiriker Kurt Tucholsky wohl kaum, wenn wir ihn auf sein vielleicht bekanntestes Zitat beschränken: „Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint. Was darf die Satire? Alles.“ („Was darf die Satire“, Berliner Tageblatt, 1919). Die Autoren Claude Lamberty, Roland Harsch, Lucien Blau, Guy Rewenig und so weiter. wagen zynische, manchmal nachdenkliche Töne. Reibung entsteht. Funken fliegen. Satire darf dies, aber noch viel mehr.

Stresstest Lëtzebuerg von „Peffermill(ch)en; Inszenierung: Fons Ruppert; Texte von Danielle Igniti, Lucien Blau, Roland Harsch, Guy Rewenig, Claude Lamberty, Georg Kreysler, H. P. Heinzl und viele mehr; musikalische Begleitung von Arthur Henn; dargestellt von Josianne Fritz, Monique Reuter, Denise Ruppert und Fons Ruppert. Weitere Informationen, auch zu den geplanten Auftritten unter www.peffermillchen.lu.
Claude Reiles
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