Amado, ein Kriegsmärchen

"Du bist der Feind"

d'Lëtzebuerger Land du 03.02.2012

Ein kleiner, scheuer Mann mit Schnurrbart beim Schlussapplaus auf der Bühne des Kapuzinertheaters. Er hält eine Videokamera in der Hand, möchte den Beifall filmen. Aber immer wieder wird er auf die Bühne gerufen, gebeten, sich mit der Truppe zu verbeugen. Er ist sichtlich überwältigt. Nahidh Al-Ramadhani, Autor aus dem Irak, Lehrer, Soldat, hat, heute fast fünfzigjährig, Zeit seines Lebens nur Krieg gekannt: den ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak (1980-1988), den zweiten Golfkrieg, um die Besatzung Kuwaits (1990/91) und schließlich, nach 2003, den dritten Golfkrieg und die Besatzung seines Landes durch die US-Armee. Die deutschsprachige Erstaufführung seines Stückes Amado, ein Kriegsmärchen, ist seine erste Erfahrung als Autor im Ausland. Anne Simons Inszenierung ist anders, als er sich das vorgestellt hat, reduzierter, viel abstrakter als sein Original. Er ist sichtlich ergriffen von der Begeisterung des Publikums. 

Amado handelt vom Krieg. Nicht von einem bestimmten Krieg, seinem geostrategischen oder wirtschaftlichen Zweck, sondern von seiner ewigen Wiederholung, seiner Unendlichkeit, dem Vergessen, dem (unmöglichen) Weiterleben danach. Amado ist ein „Kriegsmärchen“ über die „urban legend“ jener Soldaten, hier: japanischer Soldaten, die man irgendwo vergessen hat. Die auch 30 Jahre nach Kriegsende noch nicht wissen, dass es keinen Feind mehr gibt, dass ihr Land jetzt mit denen, die die todbringenden Waffen gegen sie eingesetzt haben, Geschäfte macht. Wer ist der Feind? Was ist ein Nationalheld? Was ist Heimat? Wie kann man nach dem Grauen weiterleben? 

Zwei Männer in schäbigen grauen Fetzen beschäftigen sich still auf der Bühne, zwischen einem Haufen Kieselsteine und einem Wald aus roten Eisenstangen (wunderbar abstrakte Bühne von Anouk Schiltz) während die Zuschauer Platz nehmen. „Wer bist Du?“, fragt plötzlich der eine, Hauptmann Yoshi. „Ich bin Amado... Amado, Herr Hauptmann. Ich glaube nicht, dass Sie sich an mich erinnern. Ich war nie eine wichtige Person. Ich war nur... der Soldat Amado“. Yoshi ist gekommen, diesen „Private Ryan“ zu holen, den symbolischen Soldaten, das „andere Kriegsopfer“ endlich zu befreien. Drei Jahrzehnte zu spät zu befreien. Doch wie kann Amado danach weiterleben? Wie kann er in das Land zurück, das sie Heimat nennen, jedoch dessen Städte und Dörfer sich so stark verändert haben, dass er sie nicht wiedererkennen wird? Wie kann er seine Kameraden vergessen, die im Krieg oder an dessen Folgen gestorben sind. Den Tod, die Angst, den Verrat? 

Anne Simon hat den doch ziemlich epischen Text stark zusammengestrichen, die Sprache verknappt und die Handlung dermaßen abstrahiert, dass aus dem Stück eine Parabel wird, ein Beckett‘sches Märchen der Absurdität, in dem sie zwar spielen, dass Godot kommt – doch das schließlich auch nicht viel bringt. Die Bühne ist in ihrer extremen Reduzierung jener Nullraum, in dem schon Wladimir und Estragon ewig warteten, der im Endspiel oder in den Glücklichen Tagen die Hoffnungslosigkeit symbolisiert. Wolfram Koch und Steve Karier, zwei in jeder Hinsicht, besonders aber in Kraft und Bühnenpräsenz ebenbürtige Schauspieler, geben abwechselnd Amado und Yoshi, mal in Slapstickmanier, mal in gefährlicher Auseinandersetzung. Dreimal wechseln sie die Rolle und die Erzählung über Amados Drama, darüber, wie seine Kameraden auf der Insel gestorben sind, wie der Krieg zu Ende ging, wie er vergessen wurde und wie sein Leben zuvor war. 

Es geht in Amado um Gewalt und Zerstörung, Ehre und Gehorsam, um Schmerz und Hoffnung, Rache und Erinnerung, Würde und Wahnsinn. Wie der Text selbst, setzt auch Regisseurin Anne Simon auf Wiederholung und Spiegelung von Handlungen, Bildern und Sprache, um die Absurdität des Krieges, seine Beständigkeit, seine ewige Wiederholung zu versinnbildlichen. So kann es durchaus sein, dass eine Orange vom Himmel gefallen kommt und mal als gefährliche Handgranate, sofort danach jedoch als prosaischer Imbiss wahrgenommen wird – als sei das alles nur eine Frage der Interpretation. 

Es braucht Mut, dieses universelle Motiv aus einem anderen Blickwinkel auf die Bühne zu bringen, das Potenzial in einem Text zu sehen, den man auf einem Flughafen von einem scheuen Mann in die Hand gedrückt bekommt, wie es Steve Karier passierte. Er konnte auf Frank Feitler zählen, der ihm vertraute, die Übersetzung in Auftrag gab und die Produktion des Stückes ermöglichte. Auch weil er wusste, dass die Gratwanderung mit diesen beiden Schauspielern gelingen würde. 

Einen Krieg kann man nicht gewinnen, sagt uns Nahidh Al-Ramadhani, und man kann ihn nicht beenden. Er dauert, in den Köpfen derer, die ihn erlebt haben, ewig an, auf der Suche nach Anerkennung, Rache oder Vergebung. Und irgendwo auch immer noch nach einem Feind.

Amado, ein Kriegsmärchen von Nahidh Al-Ramadhani, ins Deutsche übersetzt von Kim Jemel-Bauler, Inszenierung von Anne Simon, mit Steve Karier und Wolfram Koch; Bühne und Kostüme: Anouk Schiltz; Musik: Emre Sevindik; Regieassistenz: Jérôme Konen; eine Koproduktion der Théâtres de la Ville de Luxembourg und Fundamental asbl; keine weiteren Vorstellungen vorgesehen.
josée hansen
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