Das Naturhistorische Museum erfindet sich neu

Sind Roboter auch Sternenstaub?

d'Lëtzebuerger Land vom 15.05.2015

Im Erdgeschoss des Naturhistorischen Museums steht im Eingangsbereich, ehe man in den großen Saal mit den vielen ausgestopften Tieren gelangt, eine vielleicht drei Meter hohe und vier Meter breite aus Holz gezimmerte Kabine. Sie ist nach vorn offen zum Betreten und Betrachten: Ihre Innenwand beherrscht ein großes Bild, auf dem ein Riesenlurch durch eine urzeitliche Sumpfwelt krabbelt, während eine riesige Libelle die Szenerie überfliegt. „Die Erde wird grüner“ ist das Bild überschrieben, und unter dem Titel erklärt ein Text, welcher Abschnitt der Erdgeschichte hier beschrieben wird. Passend dazu sind in Vitrinen Fossilien zu sehen, auf Bildschirmen werden Videos gezeigt, und weitere Texte mit Illustrationen vertiefen noch, wie die Erde damals „grüner wurde“.

Der Aufbau demonstriert, wie in Zukunft die Dauerausstellung des Naturhistorischen Museums funktionieren soll. Schon seit September vergangenen Jahres wird im Natur Musée gebaut, knapp zwei Jahrzehnte nach der Neueröffnung im Stadtgrund von Luxemburg-Stadt im Juni 1996 wird das gesamte Gebäude technisch überholt. Gegenwärtig wird vor allem die für Sonderausstellungen gedachte zweite Etage umgebaut. Mitte August soll der Umbau von Erdgeschoss und erstem Stockwerk beginnen und bis Anfang Dezember 2016 die Dauerausstellung ganz neu angerichtet werden.

Warum sie neu erfunden wird? „Weil sie einerseits schon seit 1996 besteht und viele sie schon gesehen haben; andererseits sind rund um die Themen ‚Artenvielfalt’ und ‚Leben’ neue Fragen aufgetaucht – etwa der Einfluss des Klimawandels oder die Versauerung der Ozeane“, erklärt Patrick Michaely, Kommunikationschef des Museums. Hinzu komme die wachsende Bedeutung der elektronischen Medien: „Wenn die Leute in Sekundenschnelle alle möglichen Informationen aus dem Internet abrufen können, müssen Museen dem Rechnung tragen.“ Und sich überlegen, wie sie das einsetzen, was Museen einzigartig macht: die hauseigene Sammlung, die es erlaubt, den Besuchern Originale zu zeigen.

In diesem Sinne hat das Natur Musée das gesamte Vermittlungskonzept seiner Dauerausstellung überdacht. Mit dem darauf spezialisierten Atelier für Gestaltung aus Wincheringen an der deutschen Seite der Mosel wurde eine neue Szenografie für das Erdgeschoss und die erste Etage im Museum entwickelt. „Unsere Anliegen“, erklärt Museumsdirektor Alain Faber, „sind und bleiben Evolution und Artenvielfalt. Bisher aber stehen Luxemburg und seine Nachbarregionen im Vordergrund des Gezeigten, und was wir zeigen, orientiert sich daran, welche Stücke wir in seiner Sammlung haben.“ Künftig werde „das Disziplinäre“ nach vorn gerückt, thematische Fragen wie etwa: „Was ist Leben?“ Um sich solchen Fragen zu nähern, würden die Originale aus dem Fundus des Hauses nun Teil – wenngleich ein wichtiger – eines ausgeklügelten Ansatzes, Ideen zu transportieren und Neugier zu wecken.

Neugier wecken – vor allem das soll das reformierte Gestaltungskonzept. „Wir wollen, was Leben ist, als Prozess darstellen, und den Besucher weniger belehren als ihn dazu zu bewegen, sich Fragen zu stellen“, erläutert Wieland Schmid, Chef des Ateliers für Gestaltung. Geplant sei, den Eingangsbereich als offenen Raum umzubauen, in dem ein Teil der Decke zwischen Erdgeschoss und erster Etage entfernt und durch einen Balkon ersetzt wird. Von dort aus würden die Besucher eine große Projektion des Weltalls erleben. Im Erdgeschoss des Eingangsbereichs sollen drôles de rencontre zu sehen sein, „lauter Begebenheiten aus der Zoologie, der Botanik und der Mineralogie, von denen man sich nicht ohne weiteres vorstellt, dass es sie gibt“, sagt Alain Faber. Gleichzeitig wären sie eine Einstimmung auf das, was später während des Rundgangs noch vertieft wird.

Wurden die Museumsbesucher mit dem Weltall konfrontiert und auf sonderbare Umstände aufmerksam gemacht, würden sie anschließend auf die Erde geholt und Fragen gestellt wie: „Was macht Leben aus?“ Immerhin gebe es ja, sagt Faber, Kristalle, die wachsen, und Roboter, die immer intelligenter und autonomer werden; muss man „Leben“ also womöglich neu definieren?

Dass Evolution nichts Regelmäßiges ist, will das Natur Musée in einem Bereich zeigen, der der Paläontologie gewidmet ist und wo besonders viele Sammlungsstücke aus Luxemburg und Umgebung genutzt werden sollen. „Wir erklären dort, dass es in der Evolution Krisen gab, in denen Arten verschwanden und Platz machten für andere.“ Das Aussterben der Saurier sei jedem ein Begriff, sagt Faber, viel weniger bekannt sei, dass vor ungefähr 200 Millionen Jahren, zu Beginn des Jura, auch Schneckentiere massenhaft verschwanden. Dies könne das Museum anhand Luxemburger Funde gut dokumentieren. Oder die „kruzialen Prozesse“ innerhalb der Evolution: Gefragt würde zum Beispiel, was genau geschah, als die Tiere das Land eroberten, wie Lebensumstände auf der Erde sich geändert hatten, wie Lebewesen durch Variation, Selektion und Anpassung – die drei klassischen Evolutionsprinzipien nach Charles Darwin – darauf reagierten, aber auch, welche genetischen Veränderungen mittlerweile erforscht sind.

Apropos Forschung: Die Wissenschaft, die im Naturhistorischen Museum selbst betrieben wird, soll das neue Konzept populärer machen. „Viele Besucher wissen gar nicht, dass wir eine eigene Forschungsabteilung mit 25 Wissenschaftlern unterhalten, die mit unserer Sammlung arbeiten“, sagt Kommunikationschef Michaely. Durch die neue Szenografie sollen die Besucher auch den Forschern begegnen – die Videobildschirme zu den einzelnen Themen der Schau werden unter anderem auch die Forscher bei ihrer Arbeit zeigen.

Luxemburg mit seinen Nachbarregionen soll ein eigener Ausstellungsraum gewidmet sein. „Einerseits, weil es vor allem für Besucher aus dem Ausland interessant ist zu sehen, was in Luxemburg gefunden wurde, andererseits schlagen wir damit den Bogen zur Artenvielfalt“, sagt Michaely. Dieses Thema wird später weiter vertieft, etwa, wenn es darum geht zu zeigen, welchen Einflüssen die Artenvielfalt unterliegt – vom Klimawandel bis hin zur modernen Kultur und Wirtschaft. Zum Schluss wird noch einmal das Weltall zum Thema, diesmal ebenfalls anhand gezielt gestellter Fragen. Wie etwa der, woher die moderne Menschheit ihr nicht geringes Wissen über Welten hernimmt, die so fernab von uns liegen, dass wir dorthin nie gelangen werden. Insgesamt werden im Astronomie-Saal Universum, Galaxien, Sternsysteme und Planeten als Kontinuum eines Werdens und Vergehens präsentiert. „Auch wir Menschen und die Erde sind Sternenstaub, das ist der auch thematische Kreis durchs Museum, der sich dort schließt“, resümiert Patrick Michaely.

Am 6. Dezember kommenden Jahres soll die neue Dauerausstellung eröffnet werden – als kleines Nikolausgeschenk, und natürlich hofft das Natur Musée auf viele Besucher an dem schulfreien Tag. Bis dahin aber werde das Museum wegen der Umbauarbeiten nur für kurze Zeit vollständig geschlossen, versichert Direktor Faber. Die Komplettschließung ab 17. August dauere nur bis zum 7. Oktober; am 8. Oktober werde in der dann renovierten zweiten Etage die nächste Sonderausstellung gezeigt: Sie dokumentiert die abenteuerlichen Reisen, die Luxemburger Naturforscher zwischen 1830 und 1930 nach Lateinamerika unternahmen, und bleibt bis Juli 2016 geöffnet. Während dieser Zeit sind noch zwei weitere, kleinere Sonderausstellungen geplant, ehe im Oktober 2016 die nächste große Sonderschau über Katzentiere folgt.

Weitere Informationen, auch zu den Bauarbeiten und den Schließzeiten: www.mnhn.lu
Peter Feist
© 2024 d’Lëtzebuerger Land