Es ist keine schmeichelhafte Botschaft aus dem eigenen Synapsen-Geflecht, eine identische Thalia-Produktion bereits sechs Jahre zuvor im Kapuziner-Theater besucht zu haben, dazu eine Rezension zu verfassen (siehe d’Land vom 19. April 2013) und nun, am vorletzten Mittwoch, von keiner Erinnerung befangen, unbewusst „Kafkas Prozess, die Zweite“ in die Tasten zu hauen. Es ist dem reinen Zufall geschuldet, dass der damalige Beitrag bei Recherchen ins Auge springt, positiver als an diesem Dezemberabend 2019. Nicht das eigene Hirn, es ist die Datenbank, die nichts vergisst. Eine Erfahrung so peinlich wie erkenntnisreich. Hochmair trat also schon mehrfach vor das Luxemburger Publikum: Die szenische Lesung Werther! (2012), eine Lesung von Schillers Balladen (2013) und nun also – zum zweiten Mal – Kafkas Prozess, im ausverkauften Mamer Kinnéksbond.
Auszüge aus Kafkas posthum veröffentlichtem Roman, darunter das Anfangskapitel mit der willkürlich vollstreckten Verhaftung Joseph K.‘s sowie die Parabel Vor dem Gesetz, trägt der Darsteller über unterschiedliche Kanäle vor: Er spricht sie frei heraus, stets leicht nasal verschnupft, oder haucht sie mit vertiefter Stimme in ein Mikrofon auf einem mit Lampe, Manuskript und Bürokram beladenen Sekretär. Durchs Mikrofon klingt der Text weitaus mechanischer und die für Kafka so typische Technisierung eines bürokratischen Apparats, der nicht greifbar ist, klingt mit.
Gemeinhin wird dem österreicher Hochmair (Jahrgang 1973) der Stempel des Bauchschauspielers aufgedrückt. Stellenweise wirken Rhetorik und Diktion heiß und stürmisch, manchmal jedoch improvisiert, gelegentlich unkontrolliert oder schlichtweg falsch. Diesen Punkt lasse ich dem Heißsporn Hochmair nach Jahren nicht mehr vollständig durchgehen. Nicht alles Spontane ist zwingend gut.
Hochmair vervollständigt das Spektrum an Tonalitäten jedoch mit Hilfe einer Komik, die er insbesondere bei der Beschreibung eingeblendeter, völlig vergilbter Diaprojektionen nutzt: hier die Tischrunde mit Arbeitskollegen, dort das unnachgiebig einschnappende Foto eines Verhandlungsraums, dazu das eingespielte Rotwild im Schneegestöber. Kafka hat sich nun wahrlich kein Denkmal als Komödiant in der deutschen Literaturgeschichte gesetzt. Das Mittel der Groteske hingegen zieht sich durchs Gesamtwerk. An diesem Abend überrascht Kafkas komisches Potenzial, das aber stimmig ist, weil es anfangs die Überheblichkeit des Joseph K. betont, im späteren Verlauf zu genannter Groteske mutiert. Kafka und das Komische? Eine Rezeption gewinnt an Vielfalt.
Gekonnt verkörpert Hochmair vor allem diese typische Dissonanz zwischen der ans Beamtendeutsch grenzenden, radikal sachlichen Ausdrucksweise und dem unbegreiflichen Wahnsinn kafkaesker Handlung. Auch gestisch verlagert er seine Interpretation vom lässig arroganten Analytiker zum erkennenden und resignierenden Opfer des Apparats, was nicht nur am steigenden Schnapskonsum deutlich wird. Dazu gehört auch eine repetitive, teilweise (ver-)störende Geräuschkulisse: Die eingespielten Maschinengeräusche dürften auf das Unabänderliche eines waltenden Apparats hindeuten. Das minutenlange Kratzen auf einem Metalltisch im Schummerlicht begleitet die Parabel Vor dem Gesetz, die die übersteigerte Absurdität der Technokratie zu ihrem Selbstzweck verkörpert.
Wie bereits erwähnt, verheddert sich der Darsteller wiederholt im Text, was nicht leichtfertig als Charme der Improvisation durchgewunken werden kann. An manchen Stellen mangelt es der Produktion auch an Dichte, sodass Hochmairs Interpretation von Kafkas Prosawerk zwischen Momenten darstellerischer Verve mitunter der Saft fehlt – was bei Hochmair überrascht.