Ein auf den ersten Blick kleiner Konflikt um Urlaub bei der Armee könnte Minister François Bausch politisch auf den Kopf fallen

Der Pakt von 2019

d'Lëtzebuerger Land vom 13.05.2022

Die Welt war schöner als heute, als am 12. Juli 2019 Verteidigungsminister François Bausch (Grüne) mit den Armeegewerkschaften Spal und Apol sowie der Staatsbeamtengewerkschaft CGFP ein Abkommen über die Arbeits- und Ruhezeiten in der Armee unterschrieb. Dazu lud er die Presse ein und war „überzeugt, dass die verbesserten Arbeits- und Ruhezeiten die militärische Karriere bei der nächsten Rekrutierung attraktiver machen werden“.

Auch die CGFP meinte, mit dem Vertrag werde „das eigentliche Problem bei der Armee“ angegangen: der Personalmangel. Denn gleich in seinem ersten Artikel verspricht das Abkommen, das Verteidigungsministerium werde den Gewerkschaften einen „Vorschlag“ für einen Mehrjahres-Einstellungsplan unterbreiten. Anhand dieses Plans würden über die gewohnten Rekrutierungsbemühungen der Armee hinaus von 2020 bis 2023 jährlich 30 Militärs und 15 Zivilisten zusätzlich engagiert.

Heute ist die Welt schon deshalb weniger schön, weil in der Ukraine noch immer Krieg herrscht. Doch der Verteidigungsminister ist zum effizientesten und im Ausland sichtbarsten Kriegs-Minister der Luxemburger Regierung avanciert. Während die zwei Putin-Telefonate von DP-Premier Xavier Bettel schon vergessen sind, Außenminister Jean Asselborn (LSAP) sich mit seiner Bemerkung zur „physischen Eliminierung“ des russischen Präsidenten diplomatisch disqualifiziert hat, wird François Bauschs Bilanz immer ansehnlicher. Er kann sich politisch anrechnen lassen, dass Luxemburg bisher für umgerechnet ein Zehntel seines Verteidigungshaushalts Waffen und Ausrüstungen an die Ukraine geliefert hat. Vergangene Woche erklärte er auf einer Reise nach Litauen und Lettland, „eine gemeinsame militärische Struktur“ der EU zur Sicherung ihrer Grenzen müsse her. Luxemburg werde dabei „helfen“. Zwei Wochen zuvor, am 26. April beim Treffen der Ukraine Defense Consultative Group aus Vertretern von 40 Ländern in Ramstein, dankte er den USA für ihre „substanzielle Hilfe an die Ukraine“, ließ durchblicken, wie viel Luxemburg gegeben hat, und erklärte die Bereitschaft zu mehr. Was nicht nur eine Geste an die Ukraine war, sondern den USA die Loyalität Luxemburgs versicherte. Amerika hatte um solche Bekundungen indirekt ersucht: Das Treffen fand nicht im Nato-Hauptquartier in Brüssel statt, sondern auf einer US-Luftwaffenbasis.

Daheim im Großherzogtum aber könnte Bausch politisches Ungemach drohen. Nur auf den ersten Blick ging es um eine Kleinigkeit, als am Mittwoch vergangener Woche die Armeegewerkschaft Spal in der Kaserne auf dem Diekircher Herrenberg Flugbätter verteilte, auf denen Sätze standen wie: „Loosst iech net blenden a manipuléieren!“ Stein des Anstoßes ist, dass der Minister zu einem Passus im Abkommen von 2019 nicht mehr stehen will: Der Ausgleich durch Urlaub und Freizeit nach einer Teilnahme an militärischen Übungen soll weitgehend zurückgefahren werden auf den Stand von vor dem Abkommen. Andernfalls sei das Funktionieren der Armee gefährdet. Statt mehr Urlaub soll es mehr Geld geben. Nur die freiwilligen Soldaten bekämen etwas mehr Urlaub als vor 2019. Bis dahin bekamen sie nach Übungen gar keinen. Das Spal und die mit ihm verbündete CGFP kontern mit Pacta sunt servanda.

Dabei betrifft der sich nun wahrscheinlich anbahnende Konflikt nur einen kleinen Teil des Vertrags von 2019. Insgesamt leistet der nicht weniger, als „sektoriell“ für die Armee die EU-Arbeitszeitrichtlinie umzusetzen. Der Haken liegt in dem Versprechen, dass künftig mehr rekrutiert werde: Den angekündigten Vorschlag für einen Mehrjahres-Einstellungsplan habe das Verteidigungsministerium ihnen bis heute nicht vorgelegt, sagen die Gewerkschaften. Im Regierungsrat wurde entschieden, dass mehr rekrutiert werden soll.

Doch das klappt nur beim zivilen Personal, von dem die Armee damit zunehmend abhängt. 2020 wurden 19 statt 15 Zivilisten neu eingestellt, im Jahr danach 21. Dagegen traten für jeweils 16 in den Jahren 2020 und 2021 neu zu besetzende Posten für Berufsunteroffziere zehn beziehungsweise acht Kandidaten an. Sieben beziehungsweise sechs bestanden ihre Tests. Dieses Jahr liegt die Quote bisher ebenfalls bei um die 50 Prozent, bezogen auf die Zahl der freien Stellen. Besser besetzt werden lediglich die bei der Militärmusik. Bei den Berufs-Korporalen ist die Lage ähnlich wie bei den Unteroffizieren. Bei den freiwilligen Soldaten sieht sie kaum besser aus: Von 37 im Herbst 2020 neu Vereidigten gab es 2021 einen Zuwachs auf 56 und 46 in zwei Durchgängen. Als vor zwei Wochen wieder Eide abgelegt wurden, waren es nur 31. Eigentlich brauchte die Armee jedesmal 60. An der zurzeit laufenden viermonatigen Grundausbildung nehmen 43 Soldaten-Anwärter teil. Der Eid wird nach erfolgreich absolvierter Grundausbildung geleistet. 43 Anwärter sind so wenige wie noch nie seit Herbst 2020. Im vergangenen Jahr wurden zu Ausbildungsbeginn jeweils doppelt so viele gezählt. Hinzu kommt: 30 bis 35 Prozent der Soldaten verlassen die Armee vor Ablauf ihres Zeitvertrags.

Für den Minister, seine Beamten und den Generalstab ist das in den Diskussionen mit den Gewerkschaften um Einsatzzeiten und Urlaube natürlich eine Last. Es ist nicht so, dass keine Gespräche stattfänden. Doch zumindest das Spal, das die CGFP hinter sich weiß, beharrt darauf, dass das Abkommen von 2019 buchstabengenau einzuhalten sei. Immerhin hatte der damalige General-
stabschef Alain Duschène daran mitgewirkt. Ohne seine Zustimmung wäre es nicht zustandegekommen. Und François Bausch hatte vor der Pressebetont, man habe „donnant-donnant“ verhandelt.

Sollte der Konflikt sich zuspitzen, wäre das für François Bausch auch politisch riskant. Dass es der Armee an Personal fehlt, ist ihm klar. Seine Hoffnung setzt er in die Reform des Armeegesetzes, das neue Laufbahnen für Abiturienten und Bachelor-Träger einführen soll. Doch ob der Gesetzentwurf vor Ablauf der Legislaturperiode zur Abstimmung kommt, ist nicht mehr so sicher. Und wie das neue Karrierenangebot sich auswirkt, kann niemand vorhersagen.

In der Zwischenzeit könnte die Frage aufkommen, ob die Initiativen und Projekte für die Armee, die unter François Bauschs Verantwortung angeschoben wurden, Luftschlösser sind. Bausch nimmt für sich in Anspruch, Verteidigungsausgaben langfristig zu planen. Er hat neue Aktivitäten der Armee in den Bereichen „Cyber“ und „Weltraum“ ergreifen lassen. Aufklärung betreibt sie zunehmend auch mit Drohnen. Die gepanzerten Fahrzeuge der Armee werden durch Hightech-Mobile ersetzt, die mit französischen Standards „interoperabel“ sind. Nicht zuletzt kann Bausch die vergangenes Jahr mit Belgien getroffene Vereinbarung für sich verbuchen, bis 2028 ein gemeinsames Aufklärungs-Bataillon einzurichten. Was Luxemburgs Kampf-Beitrag zur Nato mit boots on the ground erhöhen soll.

Doch Drohnen zu bedienen, ist personalintensiv. „Cyber“ erfordert nach zweijähriger Ausbildung kontinuierliche Weiterbildung. Die Bediener der neuen Fahrzeuge werden ebenfalls ausgebildet werden müssen. Und selbst im Generalstab der Armee weiß im Moment niemand, wo die 100 bis 120 zusätzlichen Berufsmilitärs und Soldaten für das Bataillon mit Belgien herkommen sollen. Dass bis 2028 noch sechs Jahre bleiben, ist keine Beruhigung: Die zusätzlichen Kräfte werden ebenfalls ausgebildet werden müssen. Was vielleicht gerade so aufgehen könnte, falls man sie demnächst hätte.

So dass das „Funktionieren“ der Armee im Moment vielleicht gar nicht gefährdet ist durch die Urlaube nach Übungen. Sondern es in Zukunft werden könnte, weil der Verteidigungsminister eine Menge Versprechungen gemacht hat und mit dem Effekt der neuen Karrieren pokert. Anscheinend sind bei den politischen Parteien diese Zusammenhänge noch nicht wirklich angekommen. Das dürfte sich aber bald ändern: Das Spal tourt zurzeit durch die Opposition wie durch die Mehrheit. Nur die Grünen werden ausgelassen, man will sie ja nicht gegen François Bausch aufbringen. Im Hintergrund hält die CGFP sich bereit. Sie hatte schon 2019 behauptet, „den Minister zum Einlenken veranlasst“ zu haben.

Peter Feist
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