Altersgerechte Wohnungen

Der letzte Umzug

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2011

Wohnungen für Ältere – Pierre Weydert lässt davon gleich an drei Orten welche bauen: in Kehlen, Mertzig und Niederkorn. Insgesamt 185 Apartments mit Wohnflächen zwischen 44 und 130 Quadratmetern entstehen dort. „Klar sind solche Projekte aufwändiger und komplexer als klassische Apartments“, sagt der Firmenchef der Immobilière Pierre Weydert s.a., „doch es ist ein interessanter Markt“.

Weydert zielt auf die so genannten Best agers, Leute im „dritten Alter“, deren Zahl auch in Luxemburg wächst. „In 20 Jahren wird jeder Vierte im Land über 60 sein“, zitiert er einschlägige Bevölkerungsprognosen. Das „vierte Alter“ mit Mehrfacherkrankungen und Pflegebedürftigkeit kommt später. Über 60-Jährige dagegen, denen ihr Einfamilienhaus ein wenig zu groß, das Treppensteigen darin vielleicht zu beschwerlich geworden ist, und die genügend Mittel haben für einen erneuten Wohnungskauf, sind die Ziel-Klientel für Logements adaptés.

Pierre Weydert ist nicht der einzige Promoteur, der diesen Markt erschließen will. In Petingen zum Beispiel errichten Thomas [&] Piron derzeit eine Residenz mit über 200 angepassten Apartments. In Bad Mondorf entstanden im neuen Stadtviertel Brill solche Wohnungen. In Roodt/Syr ist das im Rahmen des Projekts Bowengsbierg vorgesehen. Etablierte Betreiber von Senioren- und Pflegeheimen werden gleichfalls aktiv: Zitha Senior etwa plant, am Rande der Hauptstadt altersgerecht bauen zu lassen.

„Angepasst“ sind diese Wohnungen einerseits baulich: mit extra breiten Türen, Gängen und Liften beispielsweise, damit – falls nötig – auch Rollstühle Platz haben; mit Handläufen in den Gängen, mit speziell ausgebauten Badezimmern. Darüber hinaus steht den Bewohnern bei Bedarf eine Palette an Dienstleistungen zur Verfügung: Wäscherei, Reinigung und ein Restaurant sind typische Angebote. Immo Weydert bietet in ihren drei Residenzen auch Saunas, Pflegebäder und Therapieräume an. Den Umzug in eine solche Residenz stellt Weydert sich als den „letzten Umzug“ im Leben eines Menschen vor. Weil täglich und rund um die Uhr eine Pflege-Fachkraft zur Verfügung stehen und überdies noch ein Vertrag mit einem Pflegedienstleister abgeschlossen werde, sei das so angepasste Wohnen sogar eine Alternative zum Alten- oder Pflegeheim.

Werden die Trends auf dem Immobilienmarkt damit zur Herausforderung für die gewachsene Altenbetreuung? Fast sieht es so aus. Das dafür zuständige Familienministerium stellt seit zwei, drei Jahren ein verstärktes Interesse auch von privaten Promoteuren am Bau altersgerechter Wohnungen fest. Eigentlich hatte das Ministerium diesen Trend sogar mit angestoßen: durch die so genannten betreuten Wohnstrukturen (Logements encadrés). Landesweit gibt es gegenwärtig davon zwischen Ulflingen und Kayl zehn, eine weitere ist derzeit in der Zulassungsphase. Der Unterschied: Betreiber betreuter Wohnungen benötigen eine ministerielle Zulassung. Die Kriterien dafür regelt eine Verordnung. Was zu einem Logement adapté gehört, steht nirgends.

Gerade die Gestaltungsfreiheit, die sich daraus ergibt, ist aber für einen Akteur wie die Zitha-Gruppe ein Grund, altersgerechte Wohnungen bauen zu lassen: „Wir machen nicht etwa unseren Heimen Konkurrenz“, sagt Carine Federspiel, die Direktorin von Zitha Senior. „Sondern wir regieren darauf, dass manche älteren Leute aus ihrem Haus ausziehen möchten, ihnen in betreuten Wohnstrukturen aber der Kollektivzwang zu weit geht. Sie suchen lediglich eine altersgerecht umgebaute Wohnung.“

Damit besteht allemal eine alten- und familienpolitische Herausforderung: Werden doch im traditionell CSV-geführten Familienministerium mit dem Ansatz, immer neue Heimplätze zu schaffen, ein wesentlicher politischer Fundus und eine Art ständiges Wahlversprechen der Partei verwaltet. Ende 2010 war Luxemburg mit 5 154 Betten in Centres intégrés pour personnes âgées (Cipa) und Pflegeheimen Europameister in der Bettenzahl pro Einwohner.

Doch mittlerweile wird auch im Familienministerium eingeräumt, nicht genau zu wissen, wie viele Heimplätze in Zukunft tatsächlich gebraucht werden. Insbesondere die Nachfrage nach Cipa-Plätzen ist rückläufig. Erst vergangene Woche erklärte Ministerin Marie-Josée Jacobs auf eine parlamentarische Anfrage hin, bis 2014 werde noch fertig gestellt, was an Neu- oder Ausbauten begonnen wurde – danach werde man den Bedarf analysieren und gegebenenfalls die Politik ändern.

Vielleicht aber erlaubt gerade die Entwicklung auf dem Markt für Logements adaptés es der Familienministerin am Ende nicht, so lange zu warten: Welchen baulichen Standards eine betreute Wohnung genügen muss, schreibt jene Verordnung vor, die die ministerielle Zulassung betreuter Wohnformen regelt. Wer diese Zulassung ohnehin nicht anstrebt, könnte bauen, wie er will – zum Leidwesen der späteren Bewohner. Da könne ein Label helfen, findet Pierre Weydert.

Ein anderer Umstand ist subtilerer, aber umso grundsätzlicherer Natur: Ob die ministeriell lizenzierten betreuten Wohnungen tatsächlich übermäßig kollektivistisch angelegt sind, ist Ansichtssache: die Verordnung mit den Zulassungskriterien reicht so weit nun auch wieder nicht. Abgesehen von baulichen Standards macht sie lediglich Minimalvorgaben für das Personal, dessen Qualifikation und Disponibilität: So muss in mindestens 40 Stunden pro Woche eine Hilfs- und / oder eine Pflegekraft anwesend sein; die Qualifikation der Hilfskraft darf vom Arzt über den Sozialarbeiter bis zur SOS-Kinderdorfmutter reichen. Die Pflege darf in betreuten Wohnungen nur von Krankenpflegepersonal verabreicht werden.

Problematischer ist eine andere Bestimmung in der Verordnung: Einer betreuten Wohnstruktur darf nicht angehören, wer einen von der Pflegeversicherung anerkannten wöchentlichen Pflegebedarf von über 12 Stunden hat. Das ist einerseits sinnvoll. Denn es bedeutet, schon für Basis-Verrichtungen wie Ankleiden, Essen und Körperpflege insgesamt 12 Wochenstunden an Unterstützung zu benötigen – eine betreute Wohnstruktur, die tatsächlich nur mit dem Personalminimum ausgestattet ist, könnte schnell überfordert werden, falls sie viele derart pflegebedürftige Bewohner hat.

Andererseits hieße es streng genommen, einem so pflegebedürftig gewordenen Bewohner einer betreuten Struktur womöglich gar seine Eigentumswohnung zu nehmen. Weil niemand so weit gehen mag, ist die Bestimmung in der Praxis ohne viel Wert. Weil mobile Pflegedienste in der Zuhaus-Betreuung weitaus mehr zu übernehmen vermögen als 12 Wochenstunden und ein Promoteur wie Immo Weydert in seinen angepassten Wohnungen Rund-um-die-Uhr-Pflege anbieten will, werden solche angepasste Wohnungen nicht nur zur Herausforderung für die Heime.

Letzten Endes könnte alles nur eine Frage von Abstimmung, aber auch eine des Preises sein – und der, wer welche Betreuung mit welcher Mission übernehmen soll: Heimplätze anzubieten, ist ungeachtet allen elektoralen Kalküls eine sozialpolitische Verpflichtung. Komfortabel ausgestattete Seniorenwohnungen sind vorerst nur ein Marktsegment. Da wäre es wünschenswert, dass die Familienministerin sich für die Veränderungen in der Nachfrage nicht erst 2014 interessiert.

Peter Feist
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