EU-Wirtschaftsregierung

Europas langer Marsch

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2011

Schritt für Schritt und scheinbar unaufhörlich steuert die Europäische Union auf eine Wirtschaftsregierung zu. Der vergangenen Montag tagende EU-Finanzministerrat hat die wirtschaftspolitische Integration ein weiteres Stück vorangetrieben. Nach der Ratssitzung stand vor allem der Euro-Rettungspakt im Rampenlicht, den die Euro-Gruppe allein beschließt. Doch sollte sich davon niemand täuschen lassen. Wichtiger als die wahrscheinliche Aufstockung des Euro-Sicherheitsfonds auf 750 Milliarden Euro ist der Umstand, dass Deutschland und Frankreich entschlossen sind, die wohl endgültige Sicherung der europäischen Gemeinschaftswährung als Hebel zu benutzen, um eine verbindliche Abstimmung der nationalen Wirtschaftspolitiken auf europäischer Ebene durchzusetzen.

Entsprechend steht die Euro-Sicherung unter Vorbehalt. Der kundige Beobachter fühlt sich an die belgische Politik der vergangenen Monate erinnert. „Nichts ist entschieden, bevor nicht alles entschieden ist“, sagte beispielsweise Jean-Claude Juncker. Auch hört man immer wieder aus dem deutsch-französischen Lager, dass finanzielle Solidarität eben auch Verantwortung bei den Empfängern mit sich bringe. Im Unterschied zu Belgien, das schon ein Wunder braucht, um nicht im Bruderkrieg zu versinken, scheint in Brüssel aber niemand mehr das Ende der Union an die Wand zu malen. Das sah vor wenigen Wochen noch ganz anders aus. Das Ende des Euros ist das Ende Europas, diese Melodie pfiffen Merkel, Barroso, Van Rompuy und andere laut vor sich hin. Das ist vorbei. Nicolas Sarkozy hat auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos geschworen, dass er den Euro bis zum letzten Blutstropfen verteidigen werde. Das war vordergründig risikolos, weil sich die Märkte gerade deutlich beruhigt hatten, aber es lässt auf seine Entschlossenheit schließen, innerhalb der EU eine deutlich stärker integrierte Wirtschaftspolitik durchzusetzen.

Auch der zu Hause umstrittene deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nahm am Dienstag kein Blatt vor den Mund und sagte laut Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Beschluss, den Euro-Sicherungsfonds auszuweiten unter dem Vorbehalt stehe, dass alle bestehenden Streitpunkte über die Bestandteile der geplanten Reform der Währungsunion bis Ende März geklärt werden können. Nicht die wichtigsten, nicht die meisten, sondern alle. Kein Wunder, dass da der eine oder andere von einem deutsch-französischen Diktat spricht.

Was soll diktiert werden? Vor dem letzten europäischen Gipfeltreffen am 4. Februar haben Angela Merkel und Sarkozy die Katze aus dem Sack gelassen und ihren „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ vorgestellt. Die beiden wollen nicht weniger als die Unternehmenssteuern und das Renteneintrittsalter harmonisieren, Berufsabschlüsse gegenseitig anerkennen, die teilweise Bindung der Löhne an die Inflation, wie in Belgien und Luxemburg noch üblich, abschaffen und eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild einführen. All das sollen die Regierungschefs am 24./25. März beschließen. Die Kommission soll außen vor bleiben und das Europäische Parlament damit ebenso. Die Regierungschefs blieben gerne unter sich. Wie sie da eine gesetzliche Verbindlichkeit herstellen wollen, bleibt vorerst ihr Geheimnis. Die Zustimmung der noch widerstrebenden Länder, da sind sich Deutschland und Frankreich sicher, werden sie letztlich bekommen. Vorbehalte bestehen bei Italien, Österreich, Belgien, Luxemburg, Finnland und den Niederlanden.

Der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere hat der Europäische Rat von langer Hand unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Finanzkrise vorbereitet. Schon im März 2010 wurde Ratspräsident Hermann Van Rompuy beauftragt, Vorschläge für eine enge wirtschaftpolitische Zusammenarbeit vorzubereiten. Diese sind nun, gemeinsam ausgearbeitet mit der Kommission, beschlussreif. Nach den Regierungschefs im März soll das Parlament im Juni zustimmen. Überraschungen für Merkel und Sarkozy sind dabei nicht ausgeschlossen. Es geht vor allem um eine Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die Kommission soll die nationale Haushaltsplanung und Defizitentwicklung überwachen und bei makroökonomischen Ungleichgewichten schärfer und früher als bisher eingreifen können. Die Einhaltung einer Gesamtstaatsverschuldung von nicht mehr als 60 Prozent des BSP wird von der Kommission stärker eingefordert werden. Diese Kröte zu schlucken wird vielen Mitgliedstaaten schwerfallen.

Die Geldgeber geben sich bisher unnachgiebig. Sie sollten durchhalten, denn die finanzpolitische Gesundung ist nicht nur Voraussetzung für die Rettung des Euro, sondern noch viel mehr dafür, dass die EU die wirtschaftspolitischen Herausforderungen der beiden nächsten Jahrzehnte meistern kann.

Christoph Nick
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