Meder, Cornel: Another Jesse Owens, Angesammelte Geschichten

Laublese

d'Lëtzebuerger Land vom 03.02.2012

In einer Schrift, die so kurz und zackig, so absolut nützlich und goldrichtig ist, dass man sie sämtlichen angehenden wie etablierten Autoren gar nicht oft genug als Vademekum ans Herz legen kann, warnt Umberto Eco: „Ein Erzähler darf das eigene Werk nicht interpretieren1“, nämlich „[d]amit er die Eigenbewegung des Textes nicht stört“. Damit benennt Eco allerdings nur die eine Seite des Arguments: Ein literarischer Text enthält ein Interpretationsangebot2, dessen Reichweite der Autor nur teilweise überblickt.

Die andere Seite, die des Lesers, ist von einer Einmischung des Autors in die Rezeption seines Textes ebenfalls betroffen: Indem der Autor vorgibt, am besten über den Text Bescheid zu wissen, indem er versucht, die Interpretation dieses Textes dadurch vorwegzunehmen, dass er sie in bestimmte Bahnen lenkt, bevormundet er den Leser. Das ist einerseits der Wesensart von literarischen Texten nicht angemessen und andererseits nicht besonders nett. Dem Leser wird es unter Umständen nicht gefallen, vom Autor gegängelt zu werden. Der Leser wird unter Umständen meinen, sich lieber vom Text überzeugen zu lassen als vom Autor. Denn auch das kann ja passieren: dass der Autor sich in der Einschätzung seines Textes irrt. Kurz: Dem Autor ist prinzipiell von selbst verfassten Kommentaren abzuraten.

Natürlich kommt es hin und wieder vor, dass ein paar erklärende Worte des Verfassers dabei helfen, den Sinn und den Zweck eines Buches besser zu begreifen. Der „Vorspann des Ansammlers“3 in Cornel Meders neuem Buch Another Jesse Owens, Angesammelte Geschichten klärt den Leser zum Beispiel darüber auf, dass es sich um Texte aus verschiedenen Lebensabschnitten handelt, die, wie man in den bibliografischen Angaben am Ende des Bandes nachlesen kann, zwischen 1957 und 1996 in Zeitungen und literarischen Zeitschriften erschienen sind. Über solche nützlichen Informationen hinaus widersteht Meder der Versuchung, selbst zu bestimmen, wie seine Texte wahrgenommen werden sollen, unglücklicherweise nicht.

Das Vorwort beginnt mit einer apodiktischen Wertung: „Meine Geschichten sind düster, trocken, illusionslos – darauf will ich hier nicht eingehen.“ Die Ankündigung, nicht weiter auf diese Charakterisierung eingehen zu wollen, wird durch Hinzufügen weiterer Merkmale zurückgenommen: Meder spricht von der „strengen, fast brutalen Art“ der Texte, von ihrer „exotisch anmutenden Starrsinnigkeit“. Eine ziemlich selbstsichere Ankündigung, möchte man meinen. Gleichzeitig aber, und das ist in Wahrheit irritierender als die Vorwegnahme des Leserurteils, relativiert Meder den Wert seiner Texte. Sie seien „nicht das Wichtigste“, das er geschrieben habe, er dürfe sie „weder verleugnen noch überschätzen“. Eine seltsame Art der Einführung, die den Leser im Unklaren darüber lässt, ob der Autor eigentlich hinter seinen Texten steht und eine Veröffentlichung wirklich für notwendig hält! Denn davon würde man dem Autor noch viel eher abraten als von einem unvorsichtigen Vorwort: ein Buch zu veröffentlichen, von dem er nicht restlos überzeugt ist.

Teilt der Leser nach der Lektüre des Buches die Meinung des Autors, es handele sich hier um „düstere, trockene, illusionslose“ Geschichten, wird er freilich geneigt sein, über das Vorwort hinwegzusehen. Vielleicht wird er diese Meinung jedoch nicht teilen. Einerseits könnte er über die vielen Druckfehler (Verwechslung von „rn“ und „m“, „l“ und „I“, „ss“ und „ß“ undsoweiter) stolpern und sich darüber ärgern, dass niemand das Buch gewissenhaft lektoriert hat, bevor es in den Druck ging. Andererseits könnte dem Leser noch auffallen, dass Meder einige seiner stilistischen Unarten, wie den inflationären Gebrauch der Konjunktion „und“ als Satzbeginn, die Häufung von Ausrufezeichen und Auslassungspunkten (die eine Emphase suggerieren, die der Wortlaut nicht hergibt), den unironischen Gebrauch antiquierter Wortformen undsoweiter, bereits seit einer Erzählung pflegt, die er 1957 in einer Schülerzeitung veröffentlicht hat. Dass die in Another Jesse Owens abgedruckten Texte als „Geschichten“ bezeichnet werden, mag den Leser darüber hinaus wundern. In den meisten dieser „Geschichten“ „geschieht“ nämlich nicht sehr viel oder man kann kaum nachvollziehen, was dort geschieht. Auch das scheint sich als Merkmal von Meders Texten durchzuhalten: Die Verweigerung eines empathischen Verhältnisses zur Figur. Ein Leser könnte finden, er habe dem Selbstmord von Figuren noch nie so gleichgültig gegenüber gestanden wie bei der Lektüre von „Bericht über Konrad Thoss“, „Maria Magdalena“ oder „Der stille Mann“. Statt düsterer, trockener Illusionslosigkeit stößt er womöglich auf unverständliche Handlungsstränge und lieblose Herleitungen von Motivationen.

Oft haben Autoren Gründe, an Geschriebenem zu hängen, die mit literarischen Kriterien wenig zu tun haben. Das ist natürlich legitim. Auch den Wunsch eines Autors, sein Werk integral zu hinterlassen, wird ihm niemand abstreiten. Doch warum dem Leser Texte zumuten, an deren Qualität man als Autor selbst zweifelt, wenn man besagte Texte, gerade als Literat, der sich die „Begründung des Luxemburger Literaturarchivs4“ auf die Fahnen schreiben kann, ebenso gut beim CNL in Mersch hätte abgegeben können, wo sie aufbewahrt werden für den Fall, dass sich einmal jemand für die Einzelheiten des literarischen Werdegangs interessiert?

1 Vgl. Umberto Eco: Nachschrift zum ‚Namen der Rose’. [1983] München u. Wien 1986. S. 9-14.
Elise Schmit
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