Globales Index-Abkommen

Auf „nichts“ einigen

d'Lëtzebuerger Land du 11.04.2014

„Wir sind in einer Phase extrem niedriger Inflation und es sieht so aus, als ob das noch eine Zeitlang so bleibt“, so Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) gegenüber dem Land. In seiner Rede zur Lage der Nation hatte Staatsminister Xavier Bettel (DP) vergangene Woche noch gemeint, „die beste Art und Weise, sowohl die Kaufkraft, wie auch die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, liegt in einer wirksamen Bekämpfung der Inflation“, und festgestellt: „gerade in diesem Bereich haben wir in letzter Zeit Fortschritte gemacht“. Das war natürlich ein bisschen geflunkert, denn dass die Inflationsrate seit Anfang 2013 von Werten über zwei Prozent auf 0,8 Prozent vergangenen Monat fiel, ist vielmehr dem Rückgang der Erdölpreise geschuldet als einer voluntaristischen Anti-Inflationspolitik. Doch auch die Kerninflation, also die Inflation unter Ausschluss der Mineralölprodukte war vergangenen Monat mit 1,5 Prozent niedrig.

„Deswegen stellt sich die Frage, ob ein Weiterschreiben der Indexmodulation, so wie sie im Moment im Gesetz vorgesehen ist, der beste Weg ist, um die Interessen der Lohnabhängigen wie auch der Arbeitgeber gerecht zu werden“, fuhr Bettel also fort. Er kündigte an, noch vor dem Sommer werde die Regierung versuchen, mit den Sozialpartnern eine „globale Einigung“ in Sachen Index zu finden. Obwohl sich Bettel während der darauffolgenden Debatten bemühte, zu erklären, was darunter zu verstehen sei, konnten sich weder Oppositionspolitiker noch Sozialpartner unter der „globalen Einigung“ richtig etwas vorstellen. Was vielleicht daran liegt, dass sich die Regierung mit den Sozialpartner auf „nichts“ einigen möchte, also darauf, nichts zu unternehmen.

Denn, so Schneider gegenüber dem Land, obwohl die Mehrwertsteuerhausse am 1. Januar 2015 erfolge und sich damit „voll in der Inflationsrate“ bemerkbar mache, könne man das Modulationsgesetz „auslaufen“ lassen. Nach den derzeitigen Berechnungen, sagt er, „brauchen wir kein Gesetz“, denn „wir bleiben wohl bei einer Tranche jährlich, ohne zu regulieren.“ Ein neues Modulationsgesetz, so der Wirtschaftsminister, „wäre für den Notfall, wenn wir das Ziel nicht erreichen“, also „frühestens Mitte nächsten Jahres, wenn wir sehen würden, dass die Berechnungen falsch sind“.

Doch wenn Schneider „eine Tranche jährlich“ sagt, meint er damit im Durchschnitt, über die Legislaturperiode von fünf Jahren gesehen, nicht eine Tranche genau alle zwölf Monate. Denn wegen der angekündigte Mehrwertsteuerhausse könnte es dazu kommen, dass zwei Tranchen näher aneinanderrücken, vielleicht nur elf statt zwölf Monate dazwischen liegen, dafür würde sich die darauffolgende Tranche weitaus länger als zwölf Monate hinauszögern.

Ob sich die Arbeitgeber darauf einlassen werden? Im Regierungsprogramm hatten die Koaltionspartner festgehalten: „Dans la mesure où il est constaté que le Luxembourg n’est pas complètement sorti de la crise économique, le Gouvernement procèdera, après consultation des partenaires sociaux, à l’adaptation de la législation en matière d’indexation automatique des salaires selon le modèle actuellement en vigueur.“ Das war das Versprechen einer neuerlichen Modulation.

Ohnehin taten und tun sich die Arbeitgeberverbände und Lobbys immer noch schwer damit, einzusehen, dass es derzeit keine nennenswerte Inflation gibt, und sie seit 2011 und im vergangenen Jahr besonders schnell fällt. Vergangenen Oktober „entmystifizierte“ Carlo Thelen, damals Chefvolkswirt und heute Direktor der Handelskammer, noch auf seinem Blog die „komplette Desindexierung“ der Luxemburger Ökonomie, eine Forderung, auf die sich die Arbeitgebervertreter quer durch alle Kammern, Verbände und Föderationen im Vorfeld der Kammerwahlen geeinigt hatten. Da betrug die nationale Infla­tionsrate 1,16 Prozent, und in der Eurozone ging schon die Angst vor einer Deflation um. Dabei sind die Preise nach Auffassung der Europäischen Zentralbank, oberste Instanz für Preisstabilität in der Währungszone, dann stabil, wenn die Inflationsrate knapp unter zwei Prozent liegt. Diesen Zahlen zum Trotz wiederholt die Handwerkskammer in ihrem kürzlich vorgelegten Gutachten zum Haushaltsentwurf 2014 die Forderung nach der Desindexierung. Die Handelskammer verzichtet darauf, weist aber dennoch darauf hin, dass die Inflationsrate in Luxemburg vergangenes Jahr mit 1,7 Prozent über dem Durchschnitt der Eurozone (1,5 Prozent) lag.

Dass nach der Mehrwertsteuererhöhung „die Zähler auf Null“ gestellt werden, damit sie die Inflationsrate nicht antreibe und dadurch eine vorzeitige Indextranche auslöse, fordern indes beide Kammern in ihren Gutachten. Dabei ist gar nicht genau vorherzusagen, wie sich die Anhebung aller Mehrwertsteuersätze, außer dem superreduzierten Satz von drei Prozent, auf die Preisentwicklung auswirkt, weil es viele unbekannte Faktoren gibt. Vieles hängt von der Reaktion der Verbraucher ab. Davon, ob sie beispielsweise Ausgaben vorziehen, um auf größeren Posten die höhere Mehrwertsteuer zu sparen, oder danach der Hausse erst einmal ihren Verbrauch einschränken, um ihre zu entgehen. Oder davon, ob der Handel sie überhaupt an die Kunden weitergibt oder lieber die eigene Marge ein wenig senkt, um die Verbraucher nicht zu erschrecken.

Mit Gewissheit lässt sich nur die Hausse der Mehrwertsteuersätze auf den im Indexkorb enthaltenen Waren im Voraus berechnen. Viele davon werden nicht mit dem Regelsatz besteuert – „zwei Drittel aller Produkte, die man im Supermarkt kaufen kann, sind von dieser Hausse nicht betroffen“, so Xavier Bettel in seiner Rede – und so ergibt sich, rein mechanisch, eine Steigerung der Inflationsrate um ein Prozent, wie die BCL in ihrem Bulletin 1-2014 berechnet hat. Die BCL rechnet für 2014 mit einer Inflationsrate von 1,2 Prozent, die zur Jahreswende 2014/2015 dann wieder auf 1,6 Prozent ansteigen würde. Im ersten Trimester 2015 ergebe sich demnach laut BCL mit Mehrwertsteuererhöhung eine Rate von eher um die 2,6 Prozent. Dabei ist der Januar inflationstechnisch gesehen immer ein Ausnahmemonat, weil durch den Winterschlussverkauf die Preise im Warenkorb zurückgehen. So dass die Mehrwertsteuererhöhung von Januar 2015 erst im Februar 2015 spürbar werden dürfte und dann nach Jahresfrist wieder mechanisch absorbiert wird. Das Statec beveröffentlicht erst Anfang Mai neue Vorhersagen für das kommende Jahr, in denen die TVA-Hausse nach langem Hin und Her berücksichtigt werden kann.

Michèle Sinner
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