Die Gewerkschaften und die neue Regierung

Misstrauen

d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2013

Der Regierungswechsel, die überraschende Kaltstellung der CSV und der resolute Antritt von DP, LSAP und Grünen hatten den Gewerkschaften einen Monat lang die Sprache verschlagen. Mit ungewohnter Hartnäckigkeit lehnten sie die Interviewwünsche von Presse, Funk und Fernsehen ab. Während der Koalitionsverhandlungen hatte die Salariatskammer lediglich dem mit der Regierungsbildung beauftragten Xavier Bettel eine kaum beachtete Refutation der Notiz des Comité de prévisions zugestellt und vage suggeriert, dass mit politischen Hintergedanken das Staatsdefizit und die Staatsschuld künstlich aufgebläht würden. Anders als die Unternehmerverbände verbreiteten die Gewerkschaften dann weder hoffnungsvolle, noch andere Communiqués, um die neue Regierung zu begrüßen, die sich selbst mit etwas altbackenem Kolonistenhumor „Gambia-Koalition“ nennt.

Während der LCGB weiter an seiner Schlappe bei den Berufskammerwahlen zu laborieren scheint, ging es der ohnehin nie durch gute Laune auffallenden CGFP-Führung auf der jährlichen Vorständekonferenz vergangene Woche nicht anders als dem Präsidenten des OGBL diese Woche. Als Jean-Claude Reding nach der Sitzung seines Nationalvorstands erstmals öffentlich Stellung zur neuen Koalition bezog, war ihm gar nichts von der Euphorie anzumerken, die andere bei der Aussicht auf einen politischen Wechsel ergriffen hatte. Beim besten Willen schien ihn das Versprechen seines Parteikollegen Etienne Schneider, „die Fenster weit aufzureißen“, nicht ins Schwärmen zu bringen.  Dabei bemüht sich auch der OGBL aus taktischen Gründen, der neuen Regierung erst einmal eine Schonfrist einzuräumen, um nicht gleich vor der Öffentlichkeit und einem Teil der LSAP-Mitglieder als ewiger Miesmacher dazustehen.

Doch anders als die DP/LSAP-Koalition von 1974, die nach der von den Gewerkschaften organisierten großen Mobilisierung vom 9. Oktober 1973 zustande kam, ist die angebliche Oktoberrevolution 30 Jahre später eher eine Palastrevolution. Als die drei Parteien Anfang November während der Koalitionsverhandlungen darauf angesprochen wurden, weshalb sie die deutliche Präsenz von Unternehmervertretern in ihren Delegationen und Arbeitsgruppen nicht durch Gewerkschaftsvertreter ausgeglichen hätten, meinte Xavier Bettel gut gelaunt, dass es nun einmal nicht viele Gewerkschafter in der DP gebe. LSAP und Grünen scheint es offenbar nicht viel besser zu gehen. Auch dass zuerst der Chef einer Unternehmensberaterfirma das Regierungsprogramm mit aushandelte und DP, LSAP und Grüne danach den Direktor der Handelskammer zum Finanzminister machten, um eine neue Sparpolitik durchzusetzen, empfinden die Gewerkschaften nicht gerade als einen Versuch, ihr Vertrauen in die Wiederbelebung des Sozialdialogs zu gewinnen.

Das Koalitionsabkommen können die Gewerkschaften drehen und wenden, es kommt immer nur heraus, dass im Zeichen eines ausgeglichenen Staatshaushalts zuerst am Sozialstaat gespart werden soll. Außer unter Flexibilisierung findet Arbeitsrecht keine Erwähnung, und die geplante Bekämpfung der Arbeitslosigkeit besticht nicht gerade durch Originalität. Für viele einfache Gewerkschaftsmitglieder ist die von der Regierung ins Schaufenster gestellte Trennung von Staat und Kirchen nicht unsympathisch, aber die Dreierkoalition ist für sie doch ganz prosaisch die Regierung der Mehrwertsteuererhöhung und der fortgesetzten Indexmanipulation. Da ist ihnen der viel gepriesene und von jungen, unternehmerfreundlichen Liberalen wie Bettel, Schneider und Braz verkörperte politische Wechsel plötzlich nicht mehr ganz geheuer. Auch wenn sie sich noch nicht dabei ertappen wollen, plötzlich die ungeliebte CSV/LSAP-Koalition als das ewige kleinere Übel anzusehen.

Romain Hilgert
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